Daimler-Vorstandsmitglied Wolfgang Bernhard hat umgedacht. Stand er ursprünglich Elektromotoren in Lastwagen skeptisch gegenüber, so drückt er jetzt aufs Tempo und hat schon den Produktionsstandort für einen batteriegetriebenen 26-Tonner im Visier.

Stuttgart - Daimler präsentiert bei der Nutzfahrzeug-IAA in Hannover gleich drei Elektrofahrzeug-Konzepte, um sich auf den Stadtverkehr der Zukunft einzustellen: zwei Lastwagen und einen Transporter. Wolfgang Bernhard, im Vorstand zuständig für die Nutzfahrzeuge, macht im Gespräch klar, dass es hier nicht um die üblichen Fahrzeugstudien geht, die häufig auf Messen gezeigt werden. Der 56-Jährige hat konkrete Pläne, die er sehr schnell in Angriff nehmen will.

 
Herr Bernhard, was ist der Grund für die geballte Ladung E-Mobilität von Daimler auf der Messe in Hannover?
Bei der Elektromobilität zeichnet sich eine Zeitenwende ab. Dabei geht es vor allem um die Kosten für eine Kilowattstunde Batteriestrom, die um 2020 herum von 500 auf 200 Euro sinken. Gleichzeitig steigt die Leistungsdichte von 80 auf 200 Wattstunden pro Kilogramm.
Hat Sie das überrascht?
Ja, die Entwicklung in der Batterietechnik verläuft sehr viel dynamischer als wir das für möglich gehalten haben. Das ist der entscheidende Punkt, der alles andere schlägt. Das übertrifft auch meine kühnsten Erwartungen. Bei so großen Technologiesprüngen wie diesem ist vor allem das Timing wichtig. Wer große Dinge zu früh bringt, verliert ein Vermögen, aber wer zu spät kommt, der verliert den Markt.
Sie haben auch Lehrgeld bezahlt.
Das hat jeder gezahlt. Die entscheidende Frage ist, in welchem Ausmaß. Wir haben bei Daimler immer versucht, Erfahrungen in der Elektromobilität zu sammeln. Wir haben den Elektro-Smart in London eingeführt und waren damit die Ersten, die überhaupt Elektrofahrzeuge angeboten haben. Unter meiner Regie wurde 2009 der Transporter Vito elektrifiziert. Das waren die ersten 200 Transporter, mit denen wir Erfahrungen gesammelt haben.
Wird der Urban eTruck, der Lastwagen, der in Hannover zu sehen ist, auch gebaut?
Ja. Wir zeigen in Hannover sogar zwei vollelektrisch angetriebene Lastwagen für den städtischen Verkehr, den sogenannten Verteilerverkehr. Da geht es um Strecken von 50 oder 100 Kilometern am Tag, allerhöchstens aber 250 Kilometer. Zunächst wird im nächsten Jahr der Leichtlastwagen Fuso Canter als eCanter auf den Markt kommen. Es ist jetzt die dritte Generation, nachdem die beiden vorherigen Prototypen waren. Und als Zweites stellen wir von Mercedes-Benz unseren Urban eTruck vor. Die Elektrifizierung ist bei diesem 26-Tonner schwieriger, denn es sind Batterien erforderlich, die zusammen 2,5 Tonnen wiegen. Wir glauben, dass wir den Urban eTruck in den Jahren ab 2020 anbieten können. Wir reden also nicht von einer fernen Zukunft, sondern von Fahrzeugen, die schon kurz- und mittelfristig Realität werden können.
Wie sehen die Planungen für Produktion und Verkauf aus?
Wir haben keine präzise Stückzahlplanung, auch für den eCanter nicht. Die Nachfrage ist nur sehr schwer abzuschätzen, zumal wir ja die Ersten auf dem Markt sind. Wir streben einen „Soft Launch“ an, also eine ganz behutsame Einführung, keinen großen Knall. Naturgemäß gibt es noch keine Bestellungen, aber Kunden, die konkretes Interesse signalisiert haben. Das Fuso-Modell werden wir in Portugal produzieren, wo auch die Modelle mit Verbrennungsmotor herkommen.
Und den Urban eTruck?
Da gibt es noch keine endgültige Entscheidung. Aber klar ist, dass unser zentrales Montagewerk in Wörth auf der Liste ganz oben steht; das Werk bietet sich einfach an.
Was würde ein vollelektrisch angetriebener Lastwagen heute kosten verglichen mit einem Diesel-Lastwagen vergleichbarer Größe?
Der Urban eTruck würde noch einen fünfstelligen Eurobetrag als Aufpreis haben. Auch der Fuso eCanter wird etwas teurer sein, aber da sind wir im vierstelligen Bereich.
Das würden Ihre Kunden, die Spediteure, wohl kaum akzeptieren.
Wir glauben, dass sich der neue eCanter in weniger als drei Jahren rechnen kann. Die Stromkosten sind um 40 Prozent günstiger als die Spritkosten. Gleichzeitig gehen die Servicekosten runter, weil zum Beispiel der Ölwechsel entfällt, auch Verschleißteile fallen weg. Beim Urban eTruck sind wir noch nicht so weit. Ziel muss es aber sein, dass er sich im Preis einem vergleichbaren, konventionellen Modell wie dem Antos, der heute etwa 80 000 Euro kostet, noch weiter annähert. Dann würde sich das bei einer Fahrleistung von etwa 60 000 Kilometer pro Jahr innerhalb von fünf Jahren rechnen.