Dan Brown hat mit „Inferno“ ziemlich genau den Thriller geschrieben, den der Markt von ihm erwartet hat. Aber irgendwie scheint der Spaß am Geheimzeichenspiel auf der Strecke geblieben zu sein.

Stuttgart - Schon verrückt: Über diesen Roman, dessen Plot, dessen Motive und Themen monatelang als Geheimsache gehütet worden waren, wussten bereits 12 Stunden nach Freigabe zu Kauf, Lektüre und Diskussion fast alle Interessierten viel zu viel. Nichts leichter, als einen auf Überraschungen und Enthüllungen basierenden Thriller kaputt zu spoilern und dann aus der Sabotage gebannter Lektüre den Beweis abzuleiten, das Buch – Dan Browns „Inferno“ – bringe dem Leser nichts.

 

Wir verriegeln die Stalltür trotzdem, auch wenn der Stier schon in den Klee entkommen scheint. Man muss allenfalls ein paar Dinge wissen: Ja, „Inferno“ hat wieder den Symbolexperten Robert Langdon, ein echtes Entschlüsselungskäpsele, als Helden. Die Schnitzeljagd mit hohem Einsatz – es geht um ein Mordkomplott gegen mehrere Milliarden (!) Menschen – führt durch Florenz. Dantes Höllenbeschreibung „Die Göttliche Komödie“ spielt eine wichtige Rolle.

Florenz und Massenmord – was kann da schiefgehen?

Wer Dan Browns „Sakrileg“ mochte, wer solche Fastfood-Literatur gelegentlich gern verschlingt, wer von einer Boxautofahrt keine Bildungsreise erwartet, auch wenn die Fahrgeschäftsbude innen und außen mit edlen Kunstpostkarten dicht beklebt ist, der denkt jetzt vielleicht: da kann ja nix schiefgehen.

Aber etwas geht schief mit „Inferno“, obwohl oder weil das Buch nach Klempnermeisterart solide zusammengeschraubt ist.Langdon und eine weibliche Begleiterin jagen von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit nach Informationen und werden dabei selbst gejagt. Überall gibt es etwas zu entdecken, zu entziffern oder zu erklären, und schwupp, schon geht’s weiter. Die Cliffhanger kommen so verlässlich, dass man sie nicht mehr als Elemente des Inhalts wahrnimmt, sondern als grafische Zeichen, als Achtung-Stufe-Signal: Nicht stolpern, Kapitelende!

Punkt, Punkt, Komma, Strich ...

Brown läuft gelegentlich zu Cleverness auf, aber meist wirkt er bemüht. Er baut wie gehabt ein Rattenlabyrinth aus Wikipediawissen und lässt seine Figürchen darin herumhetzen und nach den Geheimtürchen suchen. Aber er scheint nicht mehr jenen Spaß zu empfinden, der die besseren seiner bisherigen Bücher prägte, nicht mehr jenes subversive Behagen an der Konspirationsaufladung des Vertrauten. Dan Brown wirkt geschlaucht von der Verpflichtung, erneut eine filmtaugliche, reiseführertaugliche, Enträtselungsbegleitbücher provozierende Dan-Brown-(geschütztes-Markenzeichen)-Schwarte liefern zu müssen.

Die Sprache, die Blicklenkung, die Punkt-Punkt-Komma-Strich-Technik der Figurenpräsentation – sie waren in Browns besten Büchern nicht viel anders (und in seinen schlechten wie „Diabolus“ um einiges mieser) als hier. Aber die kleine Verschiebung reicht schon, dass man ein nerviges Quietschen wahrnimmt, wo man nur das Sausen der Rädchen genießen möchte.

Der Hype liest mit

Überhöhte Erwartungen? Überstürzte Lektüre? Übersättigte Thrillergaumen? Falls jemand „Inferno“ mit Begeisterung lesen sollte, wird er den „Inferno“Kritikern diese Probleme gewiss unterstellen dürfen. Der Hype bleibt nicht ohne Wirkung, er lässt einen vermutlich wirklich anders, genervter lesen.

Nächste Woche wird, vielleicht zurückgelehnter, abgeklärter, fieberfreier, der Kollege Markus Reiter in der Printausgabe dieser Zeitung etwas über das Phänomen Dan Brown schreiben (Edit: der Text ist mittlerweile erschienen und hier nachzulesen). Wir sind gespannt. Aber im Moment tut er uns, ehrlich gesagt, auch ein bisschen leid. Puh, wir haben das „Inferno“ hinter uns.

Dan Brown: „Inferno“. Roman. Aus dem Englischen von Axel Merz und Rainer Schumacher. Bastei Lübbe. 688 Seiten, 26 Euro. E-Book 19,99 Euro. Audiobook UVP 26 Euro. Als ungekürztes Hörbuch 34,95 Euro.