Das Amt für öffentliche Ordnung hat dem Danziger Stüble die Live-Konzerte untersagt. 13 bereits geplante Konzerte mussten abgesagt werden. Wirt und Fans sind schockiert.

Bad Cannstatt - Niemandsland nennen sie das Areal, auch Grenzland. Witz hatten sie am Ende der Nürnberger Straße schon immer, und die nächste Furche ist schon Fellbach. Aber heute Abend scheint der Witz auf der Strecke geblieben: „Groove Petrol. Cancelled. Amt für öffentliche Ordnung. Stadt Kaputtgart“. Das Schwarz-Weiß-Plakat am Eingang wirkt wie ein Trauerblatt. Drinnen scheint der Qualm noch ein bisschen tiefer zu hängen als sonst. Und am Strom fürs Licht wird sowieso gespart. Am Winkelbrett zum Tresen ist noch ein Platz frei: „Jetzt trinkst du erst mal was!“ Man ist unter sich, unter Rock 'n' Rollern, also direkt auf Du und Du.

 

„Weißt du eigentlich, dass du hier in der Russischen Botschaft bist?“ Klar doch! Schließlich hängen hier Hammer und Sichel überm Hinterausgang. Nicht gemalt, handfest. Und gleich werden sich die Werktätigen aller Länder wiedervereinigen. Der Name ist uralt, er stammt aus den Zeiten, als die gegenüberliegende Kaserne noch „Funker-Kaserne“ hieß – und er kommt vom Gerücht, dass im Danziger Stüble spioniert werde: Für den KGB. Mike Schmid läuft über von legendenhaften Storys: „Ich bin hier ja auch seit 38 Jahren Stammgast!“

Mehr als 35 Jahre Live-Musik

Wobei jetzt eigentlich kein Platz wäre für Kneipen-Gespräche. Wenn denn alles seinen gewohnten Gang ginge. Denn es ist Samstagabend, und es wäre entschieden zu laut zum Quasseln, denn jetzt müsste hier eigentlich Groove Petrol spielen. Tun sie aber nicht; die Stadt hat es verboten. Und deshalb muss Mike jetzt erst mal Schnaps nachbestellen. Nüchtern hält man das ja kaum aus. „Mehr als 35 Jahre wurde hier Livemusik gespielt. Und jetzt dürfen wir das nicht mehr. Das ist der Hammer,“, sagt Mike, der das Musikprogramm organisiert. Von Beruf ist er Lehrer. So fällt doppelt auf, dass ihm für einen Moment die Worte fehlen. Eigentlich wäre jetzt schon wieder Zeit für einen Schnaps.

Mike hat selbst x-mal hier gespielt. Zum ersten Mal 1985, mit „Kreschendo Kant“. Eine Premiere, die zu einem Bierautomaten nach Fellbach führte, denn bei 80 bis 100 Leuten, die dem Act gehuldigt hatten, lag die 40 Leute fassende Kneipe irgendwann trocken. Die Geschichten um diese Eckkneipe sind mehr als nur Anekdoten. Sie gehören dazu, weil sie soviel bergen und bewahren. Zeitgeist, Brüche, Mentalitäten, Milieu. Sie spiegeln „die Katastrophe“ (Mike), die das Livemusik-Verbot fürs Danziger Stüble bedeutet: „Nicht nur, weil da der Umsatz fehlt. Da geht etwas kaputt, was uns wichtig ist“, stellt der Impresario fest, der auch im Namen von Saavra sprechen darf, dem Wirt: „Keiner sagt uns, weshalb jetzt nicht mehr geht, was dreieinhalb Jahrzehnte gegangen ist.“

13 Konzerte sind gestrichen

Auch nicht die Gewerbe- und Gaststättenbehörde der Stadt. Da wird auf das offizielle Schreiben verwiesen. Darauf, dass „regelmäßige Musikveranstaltungen über den Umfang der genehmigten Nutzung“ hinaus gingen. 35 Jahre lang lag also „eine unerlaubte Betriebsartänderung“ vor. Was anscheinend auch nicht auffiel, als noch für jedes Konzert eine Stunde Verlängerung der Sperrzeit bis 24 Uhr beantragt werden musste: „Wir haben 40 Mark bezahlt und alles war gut.“ Keine Auskunft auch über den Grund des Sinneswandels, nur der Verweis auf den einschlägigen Passus im Abmahnungsschreiben, das im Falle der Zuwiderhandlung Zwangsgeld androht: „Uns liegen Erkenntnis vor, wonach...“ In die Karten lässt man sich aber nicht gucken. „Wir waren voll bis Jahresende. Jedes Wochenende. Alle 13 Konzerte sind gestrichen. Auch alles, was schon bis in den Februar hinein gebucht war.“

Mike holt noch einmal aus. Er wird dabei so hitzig, dass man im Bollerofen jetzt mal ganz sparsam nachlegen könnte: „Die einzige Kneipe in ganz Stuttgart mit Bollerofen!“ Das prächtige Teil lockert natürlich auch das Reservoir an Geschichten. Und ganz hat Mike die Hoffnung noch nicht auf gegeben, dass links davon mal wieder Tische und Bänke weggeschoben werden könnten: Um einer Band Platz zu machen: „Über den Hauseigentümer wurde uns signalisiert, dass wir vielleicht einmal im Monat spielen dürfen“, erklärt Mike, betont aber: „Bevor nichts Schriftliches da ist, machen wir nichts. Wenn wir Zwangsgeld zahlen müssen, kann man den Schuppen gleich ganz zumachen.“ Möglicherweise gibt es also doch mal wieder Musik in der Russischen Botschaft. Mal abwarten.