Darmstadt 98 kämpft mit fast unmöglichen Mitteln um den Klassenverbleib – bislang sehr erfolgreich.

Darmstadt - Es ist wohl Zufall zu nennen, dass der in Frankfurt tätige Wirtschaftsjurist Rüdiger Fritsch seine Tätigkeit aus Büros in der Darmstädter Landstraße verrichtet. Jene vierspurige, verkehrsreiche Hauptader der Mainmetropole, die durch das Radrennen „Rund um den Henninger Turm“ am 1. Mai einige Berühmtheit erlangte. Hier sprinteten einst Stars wie Erik Zabel um den Sieg, ehe der Radklassiker nach dem Rückzug des Hauptsponsors eine andere Streckenführung bekam. Die Anlehnung an den Radsport bemüht der Präsident des SV Darmstadt 98 dennoch gerne, um die ungleichen Wettbewerbsbedingungen in der Fußball-Bundesliga zu beschreiben. „Wir haben uns mit dem Holland-Rad auf die Tour de France begeben“, hat der 54-Jährige einmal gesagt – und viel Gelächter geerntet.

 

Dabei handelte es sich um eine durchaus ernst gemeinte Zustandsbeschreibung. Die „Lilien“ sind das kleinste Licht der Liga, was die finanzielle und strukturelle Grundausstattung angeht. „Es ist definitiv so, dass wir das Abenteuer Bundesliga mit sehr wenig Geld angehen und in allen Tabellen, die damit zu tun haben, mit Abstand an letzter Stelle stehen“, sagt Fritsch: „Wenn wir in diesem Millionengeschäft bestehen sollten, wäre das für mich die größte Sensation. Das würde auch die beiden Aufstiege toppen.“ Nur zur Erinnerung: die Südhessen waren 2013 eigentlich sportlich abgestiegen, ehe der Lizenzentzug des Nachbarn Kickers Offenbach den Sturz in die Viertklassigkeit verhinderte. Erst danach begann der wundersame Marsch durch den deutschen Profifußball.

Das Präsidium arbeitet ehrenamtlich

Präsident Fritsch spricht offen aus, dass die Entwicklung seines Clubs auf vielen Ebenen nicht mit Erfordernissen für die Bundesliga mithalten kann. „Wir sind da durch den rasanten sportlichen Erfolg reingespült worden, formal aber immer noch aufgestellt wie ein Kegelverein. Das kann man nicht so laufen lassen.“ Das Präsidium arbeitet klassisch ehrenamtlich, die meisten der nur 20 hauptamtlichen Mitarbeiter schuften gefühlt rund um die Uhr. Dass der Dauerreservist Michael Stegmayer nebenher noch den Teammanager gibt, spricht Bände. Ebenso wie die Tatsache, dass die Väter von Cheftrainer Dirk Schuster und Co-Trainer Sascha Franz – Eberhard Schuster und Horst Franz – lange als alleinige Scouts eingespannt waren.

Deshalb hat der Aufsteiger am Mittwoch die Verpflichtung von Holger Fach bekanntgegeben. Der frühere Nationalspieler wird ab sofort die Kaderplanung und das Scouting verantworten. Nach seiner 2011 öffentlich gemachten Krebserkrankung war es um ihn zuletzt stiller geworden, doch Schuster-Assistent Franz hielt stets engen Kontakt – beide arbeiteten einst für den kasachischen Erstligisten FK Astana zusammen. „Ich möchte dazu beitragen, dass sich die Lilien weiter im Profifußball etablieren“, sagt der 53-Jährige.

Was schwer genug wird. Das Stadion Am Böllenfalltor bietet zwar den mit Abstand höchsten Nostalgiefaktor der Liga, fällt aber mit seinen nicht überdachten Stehrängen oder der zugigen Mixed Zone am Schuhputzbecken in allen Bereichen aus der Zeit. Statt VIP-Publikum tummeln sich auch auf der Haupttribüne Hardcorefans. Eine komplett neue Spielstätte ist zwar geplant, aber der mal avisierte Termin 2017 ist von städtischer Seite schon jetzt wieder hinfällig. „Wir brauchen adäquate Bedingungen“, fordert Fritsch. „Mit dem derzeitigen Stadion liegen wir 40 Jahre zurück.“

Eine verschworene Gemeinschaft

Auch daher ist die erfolgreiche Arbeit des Trainers Dirk Schuster nicht hoch genug zu bewerten. „Unser Trainer hängt nicht Visionen nach, die unerfüllbar sind“, sagt Fritsch. Verein und Fans, Trainer und Mannschaft sind zur verschworenen Gemeinschaft geworden. Kaum ein Gegner ist unbequemer als dieses auf defensive Disziplin gepolte Ensemble der anderswo Aussortierten. Deren Widerspenstigkeit soll am Samstag auch gegen den VfB Stuttgart wieder greifen. Und wenn es spielerisch nicht so recht läuft, hilft der Instinkt von Torjäger Sandro Wagner (elf Tore).

Zuletzt verspielte Darmstadt gegen Augsburg und Wolfsburg allerdings in letzter Minute noch den Sieg. „Wenn wir ab der 60. Minute die Bälle nur noch wegkloppen, brauchen wir uns nicht zu wundern“, kritisierte der Offensivmann Jan Rosenthal, der gegen den VfB verletzt ausfällt. Gleichwohl ist Fritsch optimistisch, bis zu einem Sprint auf der Zielgeraden mithalten zu können: „Ich glaube, dass der Abstiegskampf per Zielfoto entschieden wird.“ So wie oft genug das Radrennen vor seinem Büro.