StZ-Journalisten erinnern an ihren fast in der Versenkung verschwundenen Lieblingsverein – heute berichtet Politikredakteur Christian Gottschalk über seine Beziehung zu Darmstadt 98.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Bei den 17 000 Fans, die im Mai 2011 das Wiederauferblühen der Lilien im Stadion gefeiert haben, bin ich nicht dabei gewesen. Ein 4:0 gegen Memmingen gab es da, Aufstieg in die dritte Liga, zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder im bezahlten Fußball. Aber gefreut habe ich mich natürlich – und auf den Webseiten der südhessischen Presse noch am Abend nach den Jubelbildern gesucht. Die sahen natürlich keinen Deut anders aus als Jubelbilder aus anderen Stadien, und sie boten auch sonst keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn. Aber es war doch was Besonderes an ihnen, und das ist ein Beleg dafür, dass mein Herz noch immer für Darmstadt 98 schlägt. Zumindest ein bisschen.

 

Das mag daran liegen, dass mein Geburtsort in Hörweite des Stadions am Böllenfalltor liegt, Omas Garten ist sogar noch ein Stück näher dran gewesen. Dort hab ich als Junge oft herumgetollt, und immer wenn die breite, mit Sand bestreute Straße vor dem Haus voll mit kreuz und quer geparkten Autos stand, habe ich gewusst, dass schräg gegenüber wieder Fußball gespielt wurde. Irgendwann einmal hat meine Uroma erzählt, wie sie im Vorbeifahren das Tor von „unseren“ 98ern gesehen habe. Die Gute hatte zu dieser Zeit die 90-Jahres-Grenze schon hinter sich gelassen, ich stand kurz vor Vollendung des ersten Jahrzehnts und war voll des Fußball-Sachverstandes. Die Sache mit dem Seitenwechsel nach 45 Minuten hatte ich jedenfalls komplett durchschaut und konnte ihr erklären, dass es gar nicht so einfach ist, von den beiden Toren eines zweifelsfrei „uns“ zuzuordnen. Auch wenn ich noch nie im Stadion war.

Ein Drama, ohne Aussicht auf einen Schimmer Hoffnung

Ich glaube, es war ein Spiel gegen Nürnberg, in dem ich meine persönliche Tribünenpremiere feierte. Stehplatz ging nicht, weil die Nürnberg-Fans als besonders hitzig galten, fast schon so schlimm wie die von Offenbach, und mein Onkel wollte die Gesundheit seines Neffen nicht gefährden. Wie das Spiel ausging, weiß ich heute nicht mehr, aber dass sich Rote und Blaue kräftig geschlagen haben, drüben auf den Stehrängen, das weiß ich noch. So spannend wie das Spiel war das allemal anzuschauen.

Zumal wir zu dieser Zeit schon bei Stuttgart gewohnt haben, der VfB hatte sich in meinem Herzen vor die Lilien geschoben. Dass Darmstadt seine erste Bundesligasaison mit einem 1:7 gegen Hansi Müller, Georg Volkert und Co. beendete, hat mich daher nicht weiter gestört. Im Übrigen war das die höchste Darmstädter Niederlage seit dem 0:6 gegen Waldhof Mannheim im Jahr 1920 – und bleibt bis heute die deftigste Schlappe, sagt Darmstadts Statistikpapst Ralf Panzer. Und wem, wenn nicht dem VfB, soll es erlaubt sein, die Lilien so derb zu knicken? Das sage ich.

Ich besitze kein Fan-Accessoire aus Darmstadt und bin seit Jahren nicht mehr dort im Stadion gewesen. Aber ich schaue jedes Wochenende gleich nach dem Blick auf die Bundesligaergebnisse, wie es den 98ern ergangen ist – ganz egal, in welcher Liga sie gerade spielen. Und ich weiß: dass sie im Augenblick die Tabelle von unten ansehen, das hat exakt gar nichts zu bedeuten. Geboren wurde ich vier Tage nach dem Ende der Spielzeit, in der das Team den schlechtesten Saisonstart aller Zeiten hingelegt hatte. Da gab es zehn Niederlagen in elf Spielen. Ein Drama, ohne Aussicht auf einen Schimmer Hoffnung. Dann allerdings kam die grandiose Aufholjagd, eine Rückrunde, ganz so, wie sie der VfB Stuttgart in den letzten Jahren hinbekommen hat, und am Ende stand da für die Darmstädter der wunderbare Klassenverbleib.

Das klappt auch in diesem Jahr noch mal so. Ganz sicher.