Die Blauen gegen die Grünen, die Widerständler gegen die Erleuchteten: am Samstag hat in Stuttgart ein Großevent des Spiels Ingress stattgefunden.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Ungewöhnlich viele Menschen säumen am Samstag um 13.40 Uhr die Urbanstraße oberhalb des Wagenburgtunnels. Sie stehen in Gruppen zusammen, es wird konspirativ getuschelt, alle haben Handys oder Tablets in der Hand. Bei den einen baumeln blaue Kärtchen um den Hals, andere Gruppen haben grüne. Die Unbekannten taxieren Graffiti in der Straße, dann starren sie auf ihre Handys.

 

Was ist hier nur los?Das scheinen sich so einige Anwohner zu fragen, die die grünen und blauen Gruppen passieren. Sie können ja nicht ahnen, dass sich gleich eine Schlacht in ihrer Straße abspielen wird – wenn auch nur virtuell. Mehr als 1700 Anhänger des Augmented-Reality-Spiels Ingress sind nach Stuttgart gekommen, um sich hier ein Turnier zu liefern: das Darsana Stuttgart.

Drei Spieler sind aus Australien angereist

Sie stehen dafür nicht nur in der Urbanstraße, sondern überall im Innenstadtgebiet. Angereist sind die Spieler aus ganz Deutschland, aber auch aus vielen europäischen Ländern. Den weitestes Weg hätten drei Australier gehabt, berichtet Julia Haug, die das Event mitorganisiert hat, als Anhängerin der blauen Fraktion . Im Laufe des Turniers sollen die Teilnehmer viel von der Stadt sehen, wobei das Areal des Weihnachtsmarktes ausgenommen ist. Dort sei zu viel los, Portale, die hier eingenommen würden, zählten nicht für das Event, erklärt Julia Haug. Vier Wertungen würden vorgenommen, immer zur vollen Stunde, innerhalb von zehn Minuten.

Entsprechend aufgeregt sind die Spieler in der Urbanstraße. 13.45 Uhr, die Zeit tickt. Jürgen,im normalen Leben Zerspanungsmechaniker, jetzt aber der Koordinator des Teams 52 der blauen Fraktion, hat die Aufgaben in seinem elfköpfigen Team bereits verteilt: wer schießt, wer die Portale mittels sogenannter Energieresonatoren stärkt, wer Schilde aufstellt – immer per Fingertipp auf den Touchscreen. Was für Nichteingeweihte eine Geheimsprache ist („Wer deployed?“ – „Du burstest“), wird von den Teammitgliedern ohne Probleme verstanden: vom IT-Spezialisten genauso wie von der Zahnarzthelferin. Es sei toll, dass man über das Spiel Leute aus verschiedenen Berufsgruppen kennen lerne, sagt Kathrin, eine Spielerin aus Regensburg.

„Verteidigen ist leichter als einnehmen“

13.50 Uhr, plötzlich ist eine neue Taktik gefragt. „Scheiße, wir stehen auf zwei Volatiles“, entfährt es Steffi, im normalen Leben Erzieherin, Spielername Marozia. Das bedeute, dass beide Portale in der Urbanstraße das Zehnfache an Punkten zählten. Daniel, ein Mitspieler aus Bern, ruft auf Englisch in sein Handy, fordert Verstärkung an. Schon laufen noch mehr blaue Spieler in die Urbanstraße. Bei der grünen Fraktion passiert das Gleiche – auch hier hat sich die Nachricht herumgesprochen. Team 52 entschließt sich,sofort den Angriff zu starten und sich dabei auf nur ein Portal zu konzentrieren. „Verteidigen ist leichter als einnehmen“, erklärt Daniel, der im realen Leben Software schreibt.

Im Vorfeld des Events hatte es Unruhe gegeben. Aus verschiedenen Städten war gemeldet worden, dass Portale einfach vom Bildschirm verschwunden sein sollen. Im Internet war gemutmaßt worden, was dahinter stecken könnte: ein Fehler im Programm oder Sabotage? „In Stuttgart haben wir noch nichts beobachtet“, so Julia Haug.

Die virtuelle Schlacht an der Urbanstraße wird zumindest nicht manipuliert. Sie geht unentschieden aus. Dem Team 52 gelingt es, das eine Portal zu halten, das zweite Portal geht an die „Erleuchteten“. Damit ist eine von vier Wertungen geschafft. Das Team macht sich auf zum Börsenplatz.

Letzlich wird das Darsana Stuttgart Julia Haug zufolge mit 457 zu 293 Punkten von der Resistance gewonnen.

Hintergründe zum Spiel

Ingress ist ein Augmented-Reality-Spiel, entwickelt von der Google-Tochter Niantic Labs: Die Realität wird um eine Dimension erweitert. Ausgangspunkt des Spiels ist, dass es eine neuartige Energie gibt, die sich ausbreitet und durch Portale zu uns gelangt: Häufig sind dies echte Sehenswürdigkeiten, die die Spieler per GPS aufsuchen. Auch ein Graffito oder eine Wandmalerei kann ein Portal sein. Die Bildschirmansicht erinnert an Google-Maps. Mal lodert es grün, mal blau, je nachdem, wer ein Portal hält.

Es gibt zwei Fraktionen. Die Erleuchteten (Enlightened) stehen der Energie aufgeschlossen gegenüber, der Widerstand (Resistance) ablehnend. Gegenseitig beschimpfen sie sich als Frösche und Schlümpfe. Beide Fraktionen versuchen, möglichst viele Portale zu kontrollieren. Ein Portal kann man nur einnehmen, in dem man sich ihm real nähert. Portale können verbunden werden zu Feldern.