Das Hotel Bellevue in Gaisburg ist seit mehr als hundert Jahren im Besitz der Familie Widmann. Eins war es ein beliebtes und bekanntes Ausflugsziel, heute gibt es keine Gartenwirtschaft und auch keinen großen Saal mehr. Das Hotel hat noch sechs Gästezimmer, das Restaurant wird gerne von Stammgästen besucht.

S-Ost - Die Geschichte des Hotels Bellevue ist vor allem eine Geschichte starker Frauen. Angefangen hat alles vor fast genau einem Jahrhundert mit Katharina Widmann – einer jungen Frau, die jahrelang einen großen Wunsch hegte: einmal ein eigenes Gasthaus in Gaisburg zu führen. 1913 ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Katharina Widmann übernahm das Hotel Bellevue im Stuttgarter Osten.

 

Diese Geschichte erzählt Corina Widmann gerne, es ist die ihrer Urgroßmutter. „Katharina war eine richtige Grande Dame“, sagt sie. Heute ist die Urenkelin die Inhaberin des Hotels, das noch immer an der Schurwaldstraße 45 steht. Sie ist in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten, die das Hotel vor ihr führten und noch immer voll im Betrieb im Einsatz sind. Carola Widmann ist die Köchin des Hauses, Walter Widmann serviert, Tochter Corina ist überall im Einsatz. Sieben Tage die Woche ist die Familie vor Ort. Sie arbeiten nicht nur im Hotel, sondern leben auch dort. Ein Job, den man nur machen kann, wenn man ihn aus Leidenschaft macht. Seit Katharinas Übernahme 1913 befindet sich das Bellevue in Familienhand. Kaum einer, der sich im Stuttgarter Osten auskennt, geht ins Bellevue, sondern zu den Widmanns. Das war schon immer so.

Keine Gartenwirtschaft und kein Saal mehr

Anderes aber hat sich verändert in den vergangenen hundert Jahren. Das Hotel ist kleiner geworden, es gibt keine große Gartenwirtschaft mehr, auch keinen Saal für hundert Personen wie in den Anfangszeiten. „Der Saal ist für verschiedene Zwecke genutzt worden“, erzählt Corina Widmann. Unter anderem sei dort zeitweise eine Schokoladenfabrik untergebracht gewesen. Nach den Kriegsjahren war es das Verdienst von Wilhelmine Widmann, der Schwiegertochter Katharinas, dass das völlig zerstörte Haus wieder aufgebaut worden ist. Zweimal war während des Krieges der Dachboden ausgebrannt, kurz vor Ende im Jahr 1944 wurde das Hotel dem Erdboden gleichgemacht.

Geändert hat sich auch das Leben im Stadtteil, sagt Carola Widmann, die heute 76 Jahre alt ist. Früher sei das Vereinsleben noch anders gewesen, im Bellevue seien große Feste gefeiert worden. Besonders die Faschingsfeiern sind Corina Widmann von ihrer Kindheit noch im Gedächtnis. „Da kamen die Hotelgäste im Schlafanzug runter in den Gastraum, haben sich Stühle geholt und mitgefeiert“, sagt sie.

Noch sechs Gästezimmer sind übrig

Auch wenn es heute ruhiger zugeht und seit drei Jahren nur noch sechs Gästezimmer übrig geblieben sind, fühlen sich die Widmanns immer noch ihrem Namen verpflichtet. Die Gäste sollen merken, dass sie hier nicht in einer Hotelkette unterkommen, sondern in einem Familienbetrieb. „Einmal hat hier sogar ein Adliger zehn Tage lang übernachtet“, sagt Corina Widmann. Wer es war, möchte sie nicht verraten. Doch sie ist sichtlich stolz, dass einer ihr kleines Bellevue einem noblen Hotel im Zentrum vorgezogen hat.