Denn 1994, zur Eröffnung der Winterspiele im norwegischen Lillehammer, veranlasste der damalige IOC-Chef Antonio Samaranch, dass der Opfer der Belagerung von Sarajevo gedacht wurde. Und 2002 in Salt Lake City, wenige Monate nach dem Attentat auf das World Trade Center, trugen die US-Sportler eine angesengte US-Fahne ins Stadion. Hinter ihnen schritten fünf New Yorker Feuerwehrmänner und Polizisten. „Jeder ist damals minutenlang aufgestanden“, erinnert sich Spitzer.

 

Den gleichen Respekt wünscht sie sich für die elf ermordeten Athleten. Gerade weil ihr die olympische Idee, der Wettkampf der Nationen im Dienste der Völkerverständigung, viel bedeutet. Deshalb hat die Gruppe der Angehörigen auch ihre Kinder 1996 mit nach Atlanta genommen. „Unsere Kinder sind doch alle im Schatten von Olympia aufgewachsen. Sie sollten erleben, dass Olympische Spiele eigentlich etwas Tolles sind.“ Zu ihrer kleinen Zeremonie zum Gedenken an die toten Väter und Ehemänner luden sie auch die palästinensische Delegation ein, die 1996 erstmals an den Spielen teilnahm. „Das Beste war, dass die Palästinenser tatsächlich kamen“, sagt Spitzer. Der Osloer Frieden habe es möglich gemacht. „Wir bemühten uns, unsere Kinder ohne Hass aufzuziehen“, sagt Spitzer. „Und diese palästinensischen Sportsvertreter hatten nichts mit dem Anschlag zu tun.“

Längst bestimmt wieder der Nahostkonflikt das Verhältnis. Kürzlich traf Ankie Spitzer auf Jibril Rajoub, den Präsidenten des palästinensischen olympischen Komitees. Von ihrer Petition wollte der nichts hören. „Warum nur eine Schweigeminute für elf Israelis? Es sind in München auch fünf Palästinenser umgekommen“, habe Rajoub schroff erwidert. Außerdem sollten die Israelis auch die andere Seite sehen. Als Beispiel nennt Rajoub den Fußballspieler Mahmud Sarsuk aus Gaza, der zum Nationalteam in die Westbank reisen wollte und stattdessen für zwei Jahre in israelischer Vorbeugehaft landete. Gerade erst kam er nach wochenlangem Hungerstreik und internationalen Protesten frei.

Ankie Spitzer sieht beide Seiten. Als Journalistin ist sie in Israel wie in den palästinensischen Gebieten unterwegs. Ihr persönliches Schicksal lässt sie dabei außen vor. Kein leichter Spagat. Aber sie will den Menschen unvoreingenommen begegnen. So wie André, der damals im Münchner Olympiadorf libanesischen Athleten die Hände schüttelte. Über den Sport hatten auch André Spitzer und Ankie sich kennengelernt. Er, ein aus Rumänien stammender Israeli, war ihr Trainer in einer Fechtschule in Den Haag. Es war Liebe auf den ersten Blick. Bald wurde geheiratet, die 26-jährige Ankie konvertierte im Schnelldurchlauf zum Judentum. „Ich habe mich bei dem Rabbiner etwas schwangerer gemacht, als ich tatsächlich war.“ Sie lacht. Ihre Stimme klingt unbeschwert, wenn sie von diesen glücklichen Zeiten erzählt. Gemeinsam brachen sie und André im Sommer 1972 mit der neugeborenen Tochter Anouk nach München auf.

Das Baby ließ sie bei den Eltern in Holland. „André brauchte mich mehr.“ In der Stadt mietete das junge Paar für sich ein Zimmer. Im Olympiadorf schliefen die Teammitglieder dann strikt nach Männern und Frauen getrennt. Tagsüber schlich sich Ankie zu ihrem Mann auf das locker bewachte Gelände. Nur die Eingänge wurden kontrolliert, nicht die Ausgänge. „Ich war täglich aufs Neue überrascht, wie einfach ich da durchkam“, wundert sie sich noch heute. Deutschland legte damals Wert auf „heitere Spiele“. Zu viel Polizeipräsenz passte nicht ins Bild.

Wenn Ankie Spitzer sich zu etwas entschlossen hat, ist sie nicht aufzuhalten. Auch nach vierzig Jahren ist das noch so. 66 Jahre alt ist sie heute und unerschrocken wie je. Die Nahostkorrespondentin für das belgische und holländische Fernsehen schont sich nicht. Nicht beruflich – „ich habe ja noch drei studierende Kinder aus zweiter Ehe zu versorgen“. Und privat erst recht nicht. Voller Energie kämpft sie mit ihrer Schicksalsfreundin Ilana Romano gegen das Vergessen und Verdrängen. Alle vier Jahre wieder. „Wir kommen zurück“, sagt sie und lacht – „wie ein Jo-Jo.“ So lange, bis das Olympische Komitee (IOC) sich zu einer offiziellen Schweigeminute zum Gedenken an die elf ermordeten israelischen Athleten durchringen kann.

Bis heute wiesen die IOC-Offiziellen pünktlich zu diversen Olympischen Spielen das Anliegen zurück. Sie wollten nicht die arabischen Staaten brüskieren. Nicht riskieren, dass finanzstarke Sponsoren aus Protest die Eröffnungszeremonie verlassen. „Die dachten, die beiden Witwen werden irgendwann Ruhe geben“, sagt Spitzer. Doch Spitzer und Ilana Romano sind zwei, die nicht aufgeben. Hinter sich wissen sie 35 Angehörige der elf Opfer, die auf sie zählen. In diesem Jahr, dem 40. Jahrestag des Massakers von München, hat ihre Kampagne enorm Fahrt aufgenommen.

Das IOC will die Witwen nicht erhören

Die Internetpetition „Just One Minute“ haben rund 100 000 Menschen aus allen Erdteilen unterzeichnet. Israels Staatspräsident Schimon Peres hat zugesagt, die Unterschriften bei der Eröffnungsfeier in London zu übergeben. IOC-Präsident Jacques Rogge lehnte zwar bereits im Mai das israelische Gesuch höflich ab. Bei aller Sympathie, hat er Ankie Spitzer in Lausanne erklärt, seine Hände seien gebunden. Ein Votum für eine Schweigeminute würde im Komitee auch nicht durchgehen. Er schicke aber gerne eine Abordnung zu einer alternativen Gedenkveranstaltung außerhalb der olympischen Stätten, die von den Angehörigen für den 6. August in London geplant ist. Den Witwen und ihren Mitstreitern ist das nicht genug. „Die elf Athleten lebten im Olympiadorf, als sie überfallen wurden“, sagt Ankie Spitzer. „Und deshalb ist die Zusammenkunft der olympischen Familie der richtige Platz, um an sie zu erinnern.“

Der Druck auf das Internationale Olympische Komitee ist groß, die abschlägige Entscheidung zu revidieren. Guido Westerwelle setzt sich dafür ein, ebenso der Bundestag. Auch die Parlamente in Australien und Kanada stimmten für eine Schweigeminute. Die Gegenargumente klingen fadenscheinig. Man müsse die Politik aus den Spielen heraushalten. Das Protokoll lasse eine Schweigeminute nicht zu. „Es war auch nicht im Protokoll vorgesehen, dass mein Mann im Sarg heimkehrt“, hält Ankie Spitzer dem entgegen. Ihr Sarkasmus hat sich geschärft im Umgang mit immer wieder gehörten Ausflüchten.

Angst vor der Arabischen Welt

Denn 1994, zur Eröffnung der Winterspiele im norwegischen Lillehammer, veranlasste der damalige IOC-Chef Antonio Samaranch, dass der Opfer der Belagerung von Sarajevo gedacht wurde. Und 2002 in Salt Lake City, wenige Monate nach dem Attentat auf das World Trade Center, trugen die US-Sportler eine angesengte US-Fahne ins Stadion. Hinter ihnen schritten fünf New Yorker Feuerwehrmänner und Polizisten. „Jeder ist damals minutenlang aufgestanden“, erinnert sich Spitzer.

Den gleichen Respekt wünscht sie sich für die elf ermordeten Athleten. Gerade weil ihr die olympische Idee, der Wettkampf der Nationen im Dienste der Völkerverständigung, viel bedeutet. Deshalb hat die Gruppe der Angehörigen auch ihre Kinder 1996 mit nach Atlanta genommen. „Unsere Kinder sind doch alle im Schatten von Olympia aufgewachsen. Sie sollten erleben, dass Olympische Spiele eigentlich etwas Tolles sind.“ Zu ihrer kleinen Zeremonie zum Gedenken an die toten Väter und Ehemänner luden sie auch die palästinensische Delegation ein, die 1996 erstmals an den Spielen teilnahm. „Das Beste war, dass die Palästinenser tatsächlich kamen“, sagt Spitzer. Der Osloer Frieden habe es möglich gemacht. „Wir bemühten uns, unsere Kinder ohne Hass aufzuziehen“, sagt Spitzer. „Und diese palästinensischen Sportsvertreter hatten nichts mit dem Anschlag zu tun.“

Längst bestimmt wieder der Nahostkonflikt das Verhältnis. Kürzlich traf Ankie Spitzer auf Jibril Rajoub, den Präsidenten des palästinensischen olympischen Komitees. Von ihrer Petition wollte der nichts hören. „Warum nur eine Schweigeminute für elf Israelis? Es sind in München auch fünf Palästinenser umgekommen“, habe Rajoub schroff erwidert. Außerdem sollten die Israelis auch die andere Seite sehen. Als Beispiel nennt Rajoub den Fußballspieler Mahmud Sarsuk aus Gaza, der zum Nationalteam in die Westbank reisen wollte und stattdessen für zwei Jahre in israelischer Vorbeugehaft landete. Gerade erst kam er nach wochenlangem Hungerstreik und internationalen Protesten frei.

Ankie Spitzer sieht beide Seiten. Als Journalistin ist sie in Israel wie in den palästinensischen Gebieten unterwegs. Ihr persönliches Schicksal lässt sie dabei außen vor. Kein leichter Spagat. Aber sie will den Menschen unvoreingenommen begegnen. So wie André, der damals im Münchner Olympiadorf libanesischen Athleten die Hände schüttelte. Über den Sport hatten auch André Spitzer und Ankie sich kennengelernt. Er, ein aus Rumänien stammender Israeli, war ihr Trainer in einer Fechtschule in Den Haag. Es war Liebe auf den ersten Blick. Bald wurde geheiratet, die 26-jährige Ankie konvertierte im Schnelldurchlauf zum Judentum. „Ich habe mich bei dem Rabbiner etwas schwangerer gemacht, als ich tatsächlich war.“ Sie lacht. Ihre Stimme klingt unbeschwert, wenn sie von diesen glücklichen Zeiten erzählt. Gemeinsam brachen sie und André im Sommer 1972 mit der neugeborenen Tochter Anouk nach München auf.

Das Baby ließ sie bei den Eltern in Holland. „André brauchte mich mehr.“ In der Stadt mietete das junge Paar für sich ein Zimmer. Im Olympiadorf schliefen die Teammitglieder dann strikt nach Männern und Frauen getrennt. Tagsüber schlich sich Ankie zu ihrem Mann auf das locker bewachte Gelände. Nur die Eingänge wurden kontrolliert, nicht die Ausgänge. „Ich war täglich aufs Neue überrascht, wie einfach ich da durchkam“, wundert sie sich noch heute. Deutschland legte damals Wert auf „heitere Spiele“. Zu viel Polizeipräsenz passte nicht ins Bild.

Tatsächlich war die Nacht des Attentats die erste, die André Spitzer in der Mannschaftsunterkunft verbrachte. Weil die kleine Anouk plötzlich Fieber bekommen hatte, waren die beiden am Vortag nach Holland gefahren. Ankie blieb bei ihrer Tochter, André nahm den Zug zurück nach München. Fast hätte er ihn verpasst, wenn sie nicht mit ihm im Auto der Eltern zur nächsten Station gerast wäre. Im Rückblick eine tragische Fügung. Lebend sah Ankie Spitzer ihren Mann nur noch einmal: Im Fernsehen, als er im Unterhemd, ohne seine dicken Brillengläser, auf die er so angewiesen war, am Fenster stand, einen Gewehrlauf in seine Seite gepresst.

Alles, was schief laufen konnte, lief schief

Wegen seiner guten Deutschkenntnisse musste Spitzer im Namen der Terroristen mit dem Krisenstab verhandeln. Der Schwarze September verlangte die Freilassung von 232 Palästinensern aus israelischer Haft und ein Flugzeug, um mit den Geiseln auszufliegen. Premierministerin Golda Meir lehnte ab, entsandte stattdessen die israelische Eliteeinheit Sayeret Matkal, die wiederum von der Einsatzleitung vor Ort vom Geschehen ferngehalten wurde. Was dann passierte, gehört zu den dunkelsten Stunden bundesdeutscher Polizeigeschichte. „Alles ging schief, was schieflaufen konnte“, bringt es Ankie Spitzer auf den Punkt. Der Befreiungsversuch auf dem Flugfeld in Fürstenfeldbruck, wohin Geiseln und Geiselnehmer in zwei Hubschraubern gebracht worden waren, endete in einem Fiasko. Keiner der gekidnappten Athleten überlebte. Auch ein Polizist und fünf Terroristen starben im Kugelhagel.

Die Akten, die das ganze Ausmaß des polizeilichen Versagens belegen, hat Ankie Spitzer erst zwanzig Jahre später erhalten. Ihre Existenz hatte Bonn lange Zeit geleugnet. Bis ein Archivarbeiter für Spitzer ein paar Seiten mitnahm. Da hat sie Nervenstärke bewiesen und Klaus Kinkel, seinerzeit Justizminister, gesagt, sie werde nicht weggehen, bis sie Einblick in alles bekomme: 9000 Fotos und 40 000 Seiten. Ein nicht minder langwieriger Prozess folgte, der mit einem Vergleich schloss: drei Millionen Euro Entschädigung, abzüglich der Verfahrenskosten. Viel blieb da nicht für über dreißig Angehörige.

Um Geld ging es ihr auch nicht. „Für mich zählt, dass Deutschland endlich Mitverantwortung übernommen hat“, sagt Spitzer. „Ich bin nicht besessen“, verteidigt sie sich und bleibt dennoch hartnäckig. Für die Witwe zählt nur eins, dass ihr Marathon, die Kampagne für eine Schweigeminute, das Ziel in London erreicht.