Originelle Ideen sind nicht mehr das Wichtigste im Kino. Viel wichtiger sind Figuren und Welten, die viele Fortsetzungen und gigantische Nebenumsätze abwerfen. Hollywood liefert, was das Publikum heute will: Verlässlichkeit.

Stuttgart - Im alten Hollywood, in den goldenen Kinozeiten vor dem Aufkommen des Fernsehens, war der Auftrag an die Drehbuchautoren schwer genug. Sie mussten Stoffe finden, die das Publikum mitrissen, aber nicht zu sehr verschreckten. Aber diese Suche war nichts gegen das, was die Ideenentwickler der Traumfabrik heute zu bewältigen haben. Sie sollen nicht eine einzelne, nur einen Film tragende Idee haben, sie sollen Franchises entwickeln: Figuren und Welten, die man in Fortsetzungen auf die Leinwand bringen, die man in anderen Medien wie TV, Buch, Comic und Computerspiel auswerten und die man teuer lizenzieren kann: also an Partner vermieten, die daraus Kinderspielzeug, T-Shirts oder auch mal eine Uhrenkollektion machen.

 

Nebengeschäfte kann man das längst nicht mehr nennen. Bei gut laufenden Franchises ist der Kinofilm vielleicht der Imagemotor, aber noch lange nicht der profitabelste Teil des Gesamtpakets. Diese Woche ist weltweit „Star Wars: Die letzten Jedi“ ins Kino gekommen, und der soll möglichst viel auf jene 7,6 Milliarden Dollar drauflegen, die bislang mit Filmen aus dem „Star Wars“-Universum in die Kinokassen kamen. Aber dass mit dem Merchandising zur Filmserie bislang 32 Milliarden Dollar umgesetzt worden sein sollen, muss man eher als keinesfalls fantasieberauschten Schätzwert sehen. Die Nebengeschäftsverträge der Filmindustrie, ihrer Klauseln und Subklauseln, sind notorisch geheim, nicht einmal über ihre Verkäufe von DVDs und Blu-rays geben die großen Studios konkrete Auskünfte. Nur hie und da wird mal triumphierend ein Rekord vermeldet.

Es geht um Milliarden

Die Franchise-Manie, die Gier nach Fortsetzungen, nach multimedialer Vermarktbarkeit und nach Spielzeugtauglichkeit, habe Hollywood nahezu in die Verblödung getrieben, beklagen Cineasten schon seit Jahren. Für das anspruchsvolle Erzählen erwachsener Geschichten fehle es an Mut und Vision, an Budgets und sogar an Leinwänden, bilanzieren sie verbittert. In den letzten Wochen vor der Oscar-Verleihung mag einem das ein wenig übertrieben erscheinen, aber man sollte bedenken: Alle großen Studios konzentrieren ihre seriösen Einzelfilme mittlerweile in diesem Zeitraum, um ihre Oscar-Chancen zu erhöhen. Der Rest des Jahres gehört nun vor allem den Superheldenfilmen und ähnlich markenstarker Ware.

Man kann darüber spotten, man kann verbittert über die Verhunzung einer großen Tradition auch des amerikanischen Films schimpfen, aber bevor man da sinnlos Kräfte verschwendet, sollte man sich die einschüchternden Zahlen anschauen, mit denen Franchises das Denken und Trachten der Studiomanager ganz und gar in Beschlag genommen haben. Die Superheldenfilme, die auf den Comics des Hauses Marvel basieren, haben in jüngerer Zeit allein im Kino 13,5 Milliarden Dollar eingespielt. Die Konkurrenz der DC-Superhelden-Verfilmungen bringt es, rechnet man die erfolgreichen älteren „Batman“-Filme dazu, auf 10 Milliarden Dollar. Nahe dran an diesen mit sehr vielen Filmen zusammengebrachten Summen ist die Filmreihe aus der „Harry Potter“-Welt. Zehn Werke, rechnet man „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ sowie einen Imax-Film hinzu, haben 8,5 Milliarden Dollar eingebracht. Noch weniger Filme, nur 6 nämlich, hat Peter Jackson gebraucht, um mit Leinwandvarianten von Tolkiens „Herr der Ringe" und "Der Hobbit“ sogar 8,8 Milliarden umzusetzen - Popcorn- und Colaverkäufe im Kino natürlich noch gar nicht eingerechnet.

Schon Tarzan war Serienheld

Ein gutes Franchise ist eine Industrie für sich, und von raschen Moden darf man da nicht immer reden. Das Faszinosum James Bond hatte seinen ersten Auftritt in einem Roman von Ian Fleming im Jahr 1953, zehn Jahre später erst kam der darauf basierende Film „Casino Royal“ ins Kino. Bis heute haben die Bond-Filme 5,6 Milliarden Dollar umgesetzt, und allein die Heimkinoverkäufe auf diversen Datenträgern dürften ähnlich beeindruckende Summen gebracht haben. Das „Tarzan“-Franchise ist noch älter: Im Jahr 1912 veröffentlichte der Autor Edgar Rice Burroughs die erste Geschichte um den Herrn des Dschungels, seitdem ist er dank wechselnder. aber immer mal wieder auch rasender Beliebtheit in allen Medien in bunter Folge präsent, auch mal auf den Musical-Bühnen.

Doch als Hollywood 1932 mit Johnny Weissmuller in der Hauptrolle eine große Tarzan-Tonfilmreihe begann (zuvor gab es schon diverse Stummfilme um den Riesenaffenzögling), da war eine Qualitätsfilmreihe um die immer gleiche Figur eher die Ausnahme. Kinoserien gab es durchaus, solche mit einstündigen Billigfilmen, meist Western und Krimis, oder gar Serien aus Viertel- und Halbstündern, die wie die Wochenschauen vor den Hauptfilmen liefen: die Science-Fiction-Reihe „Flash Gordon" etwa. Aber solch ein offensichtliches Wiederholen der Figuren, Konflikte, Szenerien galt als mindere Sättigungsbeilage, nicht als Hauptattraktion. Ein lockender Kinofilm hatte gefälligst so zu tun, als sei er ein unvergleichliches Einzelstück: Heute schaute man sich „Vom Winde verweht“ an, nächste Woche ging man dann in „Der Zauberer von Oz“.

Die Verkehrung der Rangordnung von einst, die Wertsteigerung des in Wiederholung Ausgewalzten und die Zurücksetzung des Originellen, lässt darauf schließen, dass weltweit ein Bedürfnis nach Verlässlichkeit wächst, nach Beständigem, nach Ritualen. Dass diese Sehnsucht nach Solidem beim Kinopublikum nun höher ist als in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, das kann man auch ein wenig beunruhigend finden.