Nathalie Wolff und Matthias Bumiller haben sich Mitte der 90er Jahre in der Kassenschlange der Villa Borghese in Rom kennengelernt. Seither sind sie in der Welt unterwegs, fotografieren absonderliche Dinge und erschaffen schöne Bücher.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Stuttgart - Geheimnisvoll und sphärisch geistert ein Instrument durch die Literatur: Viele deutsche Dichter – Schiller, E. T. A. Hoffmann, Mörike, Goethe sowieso – haben die Äolsharfe, benannt nach Aiolos, dem Herrscher der Winde in der griechischen Mythologie, in ihre Verse verwoben, bisweilen verbunden mit tiefster Tragik. Nur wenige Tage vor ihrer beider gemeinsamem Pistolentod schrieb die sterbenskranke Henriette Vogel ihrem Liebsten, Heinrich von Kleist: „Mein Heinrich, mein Süßtönender, mein Hyazinthenbeet . . . meine Äolsharfe.“ Wer bei Weinsberg unterwegs ist und Äolsharfen hören möchte, kann sein Glück in der Burgruine Weibertreu versuchen. Dort hat Justinus Kerner, schwäbischer Dichter mit Hang zum Okkulten, in die Schießscharten des Geschützturms solche Harfen einbauen lassen. Allerdings erwachen sie nur zum Leben, wenn der Wind aus einer entsprechenden Richtung und mit der richtigen Stärke weht. Wem das zu mühsam ist, der kann auch bei Youtube nach der Äolsharfe suchen. Doch Vorsicht: es droht der Tod der Poesie in  Form von Videoschnipseln, in denen ein länglicher Holzkasten als Resonanzraum die Töne von gespannten Saiten je nach Windstärke mal mehr, mal weniger verstärkt – was ganz schön schräg klingt.

 

Der Feuilletonist und Schriftsteller Rolf Michaelis widmete der Äolsharfe in der Literaturbeilage des Wochenmagazins „Die Zeit“ im Dezember 2003 eine ganze Seite. Der Anlass war das im Herbst davor veröffentlichte Buch „Luftmusik – Über die Äolsharfe“, eine 64 Seiten lange Hommage an das Instrument. Verfasst haben es Matthias Bumiller und Nathalie Wolff. Er ist gebürtig aus Jungingen auf der Alb, sie aus Strasbourg. Seit den späten 90er Jahren sind die beiden ein Paar, leben und arbeiten in Stuttgart und Paris, bisher mochten sie sich nicht für einen gemeinsamen Ort entscheiden. Die Früchte ihrer Liebe sind die Bücher, von denen alle ein bis zwei Jahre eines herauskommt – in der „édition totale éclipse“, benannt nach der totalen Sonnenfinsternis am 11. August 1999, was an sich schon wieder eine Ironie ist, denn genau genommen ist jedes Büchlein für sich eine Sonne, die jeweils einen ganz eigenen Kosmos erhellt – zum Beispiel jenen der Äolsharfe.

Am Anfang steht ein kleiner Scherz übers Wechselgeld

Angefangen habe alles in der Schlange an der Kasse der römischen Villa Borghese, erzählt Matthias Bumiller am Tisch in seiner Heslacher Altbauwohnung, wo er seit bald 20 Jahren lebt. Er zahlte für Postkarten, bekam 1000 Lire Wechselgeld wieder und bedankte sich artig mit „Grazie mille“. Sie zahlte nach ihm und dankte für die 2000 Lire Rückgeld mit „Grazie due mille“. Der kleine Witz übers Wechselgeld reichte für einen Caffè in der nächsten Bar, wo Bumiller mit seiner Liebe zur französischen Kultur Eindruck zu machen suchte, bis er bei dem Komödianten Jacques Tati landete und es der Umworbenen gelang einzuwerfen, sie habe soeben einen Aquarellzyklus zu Tatis „Die Ferien des Monsieur Hulot“ fertig gestellt. Matthias Bumiller schlug vor, was jeder entflammte Grafiker tun würde, der seine Chance wahren und den Kontakt halten möchte: „Daraus müssen wir ein Buch machen!“

Inzwischen sind es zwölf kleine Werke geworden, und im Grunde ist das Künstlerpaar auf den Spuren von Jacques Tati geblieben, wörtlich und im übertragenen Sinne: Das Büchlein mit den Aquarellen zu  Tatis Filmmeisterwerk erschien 1999, nicht fehlen durfte eine Stippvisite in dem Hotel im Saint-Marc-sur-Mer, das als Filmkulisse für „Monsieur Hulot“ diente. Bereits damals entschieden sich die beiden für eine Hör-CD als Beilage zum Buch, mit der akustischen Kulisse des bretonischen Strandlebens. Wenn es einen Zeitpunkt gebe, ab dem man sie als Paar bezeichnen könnte, dann sei er wohl in der Woche in der Bretagne zu suchen, sagen Nathalie Wolff und Matthias Bumiller.