Das Schulsystem der Zukunft ist zweigliedrig, sagt Grün-Rot. Doch die Regierung zeigt nicht auf, wie der Umbau funktionieren soll, klagt der Städtetag. Die Opposition befürchtet, das Gymnasium werde die wahre Gemeinschaftsschule.

Stuttgart - Eins, zwei oder drei? Die Frage, wie viele Glieder das Schulsystem haben sollte, ist auch nach der Einführung der alle Bildungsgänge umfassenden Gemeinschaftsschule nicht vom Tisch. Der pragmatische Ministerpräsident und seine grüne Landtagsfraktion propagieren das zweigliedrige Schulsystem. Gymnasium und Gemeinschaftsschule bilden nach diesen Vorstellungen mittelfristig die Säulen, auf die die Schüler im Südwesten ihre Bildung gründen sollen. Mehr Glieder seien weder aus pädagogischen Gründen noch angesichts sinkender Schülerzahlen notwendig und weger knapper Kassen auch nicht finanzierbar.

 

Grüne wollen langfristig „eine Schule für alle“

Doch einige Grüne intervenieren. Ihrer reinen Lehre widerspricht es, das Schulsystem überhaupt zu gliedern. „Eine Schule für alle“, lautet das Credo der Partei, deren Bildungspolitiker nicht bereit sind, ihre lange Jahre favorisierte Basisschule mir nichts, dir nichts der Regierungsräson zu opfern. Das ist das Schreckgespenst für die Opposition. Und Thekla Walker, die Landesvorsitzende der Grünen, relativiert nach beiden Seiten: „Die zwei Säulen sind das nächste Etappenziel.“ Das trügen die Grünen als Zwischenstation mit, doch stehe aus pädagogischen und planerischen Gründen die „eine, integrative und inklusive Schule nicht umsonst in unserem Programm“. Doch sei dieses Ziel ein sehr langfristiges und stehe in dieser Legislaturperiode sicher nicht an, bekräftigt die Parteivorsitzende den Standpunkt der Fraktion.

SPD: Es läuft auf zwei Säulen hinaus

Die SPD vermeidet Grundsatzdebatten. „Die Realität schafft Fakten“, konstatiert Stefan Fulst-Blei, der bildungspolitische Sprecher der Fraktion. Und die faktische Lage sei so, dass das System auf ein Zwei-Säulen-Modell hinauslaufe. Dabei ist der Koalition besonders wichtig, dass auch die zweite Säule nicht mit dem mittleren Bildungsabschluss endet, sondern Anschlussmöglichkeiten zum Abitur eröffnet. Man setzt auf Freiwilligkeit. Vorübergehend wolle man auch noch die Mehrgliedrigkeit akzeptieren, sagt Fulst-Blei. Doch die Realschulen, die seit der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung noch stärker gefragt seien als bisher, sieht er „unter einem ziemlichen Handlungsdruck, sich Richtung Gemeinschaftsschule zu bewegen“.

FDP vermutet „Anschlag auf das Gymnasium“

Dass das Gymnasium bedroht sei, weist Fulst-Blei zurück. Gerade die SPD habe das System vielmehr geradezu stabilisiert, indem die Partei das neunjährige Gymnasium wiederbelebt habe. Die FDP befürchtet dennoch, Grün-Rot wolle schon jetzt durch die Hintertür den Gymnasien ans Leder. Ihr Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke spricht sogar von einem „geplanten Anschlag auf das Gymnasium“. Die subversiven Umtriebe gehen nach Ansicht der FDP vom SPD-geführten Kultusministerium aus. Dort werden demnächst die neuen Bildungspläne erarbeitet, und die sollen künftig für alle Schularten gleich sein. „Das ist die Vorarbeit für ein Einheitsschulsystem“, warnt Timm Kern, der bildungspolitische Sprecher der FDP. „Das Gymnasium wird nur noch ein Aufsetzer im Anschluss an den mittleren Bildungsabschluss sein“. Die freie Schulwahl der Eltern hat die Bandbreite der Begabungen an den Gymnasien schon sehr ausgedehnt. Wenn dann auch noch wahr werde, dass die Gymnasien schwache Schüler nicht mehr an Real- und Werkrealschulen abgeben dürften, dann sei das Gymnasium die wahre Gemeinschaftsschule, und das Schulsystem total vereinheitlicht. Das geht für die FDP gar nicht. Da wäre ein zweigliedriges Schulsystem noch das kleinere Übel, findet Rülke. „Die Zweigliedrigkeit ist nicht unser Ziel. Wir können sie jedoch wohl nicht verhindern. Mit dem Erhalt des Gymnasiums ist die Zweigliedrigkeit noch besser als überall die Gemeinschaftsschule zu haben“.

Das Kultusministerium weist die Vorwürfe der FDP als „nicht nachvollziehbar“ zurück. Es treffe überhaupt nicht zu, dass durch die Weiterentwicklung der Bildungspläne einzelne Schularten abgeschafft würden, auch sei gar keine Rede davon, dass Kinder nicht an eine andere Schulart verwiesen werden dürften.

Städte verlangen Perspektiven

Doch auch die Zweigliedrigkeit birgt ihre Probleme. Diese zeigt der Städtetag auf. Der Vorstand fordert das Land „dringend auf, sich klar zur Weiterentwicklung des allgemein bildenden Schulwesens in Richtung Zweigliedrigkeit zu bekennen und allen Schularten demgemäß ihre Perspektiven aufzuzeigen“. Norbert Brugger, der Bildungsdezernent der Städte, betrachtet es als unerlässlich, das System umzuwandeln. Neben dem Gymnasium sei dauerhaft nur noch für eine weitere Schulart Platz. Brugger verzeichnet einen bundesweiten Trend zur Zweigliedrigkeit.

Er rechnet damit, dass der Übergang zehn Jahre dauern werde. Von der Landesregierung verlangt er eine Zeitplanung, aus der hervorgehen müsse, in welchen Stufen Realschule, Werkrealschule, Hauptschule und Gemeinschaftsschule zu der zweiten Säule zusammengeführt werden sollten. Für die Übergangsphase müsse die Regierung Mindestgrößen für die verschiedenen Schularten vorschreiben. „Ansonsten entsteht ein Flickenteppich, der nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zur zweiten Säule zusammengeführt werden kann“, warnt der Bildungsexperte. Brugger erwartet, dass das Land vor allem den Realschulen Brücken baut, wie sich diese zu Gemeinschaftsschulen entwickeln können.

Noch steht laut Brugger ohnehin das Schulgesetz einer allgemeinen Umwandlung des Schulsystems im Wege. Es schreibt vor, dass jede Schulart, die im Gesetz verankert ist (und das sind gegenwärtig alle), in zumutbarer Nähe angeboten werden muss. Eine Gesetzesänderung ist damit für den Städtetag unabdingbar. Das erscheint jedoch für das Parlament als vergleichsweise einfache Übung.

Lehrer kämpfen für das Gymnasium

Das Kultusministerium lässt neue Bildungspläne erarbeiten, die anders als die bisherigen nicht mehr auf die einzelnen Schularten ausgerichtet sind. Die Pläne sollen verbindliche gemeinsame Bildungsstandards für alle Schularten enthalten. Darin wird festgelegt, über welche Kompetenzen Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügen müssen. Die Ministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) will so erreichen, „dass das individuelle Lernen in allen Schularten umgesetzt wird“. Gleichzeitig wolle man die soziale Gerechtigkeit erhöhen und die Leistungsfähigkeit der Schulen verbessern.

Die Standards bis zum mittleren Bildungsabschluss sollen 2015 fertig sein. Erst danach werden die Bildungspläne für die Oberstufe an Gymnasien weiterentwickelt. Die Standards bis zum mittleren Abschluss werden in Niveaustufen gegliedert.

„Von oben nach unten durchplanen“

Das genügt den Vertretern der Gymnasien bei weitem nicht. Die Direktorenvereinigungen in Baden-Württemberg finden, das Ministerium beginne am falschen Ende. „Ein gymnasialer Bildungsplan muss vom Abitur als angestrebtem Abschluss ausgehen und von oben nach unten durchgeplant werden“, erläutert Michael Burgenmeister für seine Kollegen. „Die jetzt gestartete Reform gefährdet den Fortbestand und die Zukunftsfähigkeit unserer Gymnasien.“ Der gymnasiale Bildungsplan sei nicht mehr als ein „Aufsetzer auf einen Gemeinschaftsschulplan“. Doch in dem von der Landesregierung angestrebten Zwei-Säulen-Modell sollte das Gymnasium „genauso wichtig sein wie die andere Säule“, verlangen die Direktoren. Immerhin werde zurzeit etwa die Hälfte der Schüler eines Jahrgangs am Gymnasium angemeldet. Mit Blick auf die Studierfähigkeit kritisieren die Direktoren, „die bessere Abstimmung von Schulausbildung und Studienanforderung“ werde durch die einheitlichen Pläne behindert statt gefördert.

Keine „defizitären Lehrmethoden“

Der Philologenverband protestiert ebenfalls scharf gegen den „schulartunabhängigen Einheitsbildungsplan“. Die Begründung des Ministeriums betrachten die Gymnasiallehrer als „eine Unterstellung, dass die Lern- und Lehrmethoden an den traditionellen Schularten defizitär seien und die einzelnen Schüler nicht im Mittelpunkt aller Bemühungen stünden“. Das weist der Philologenverband „als völlige Verkennung der Realitäten“ zurück.

Die soziale Gerechtigkeit werde nicht durch die „immer wieder als innovativ beschworene Lernkultur der Gemeinschaftsschule“ erhöht. Die geringe Quote an Wiederholern und Schulabbrechern im Land zeige vielmehr, dass „kein Einheitsbildungsplan vonnöten sei“, um die soziale Gerechtigkeit an den Schulen zu erhöhen. Die Antwort auf die Pluralität der Gesellschaft könne nicht die Einebnung verschiedener Bildungspläne und -gänge sein.