Daniel Puntas traut sich was. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie man eine Reportage schreibt – und heute gibt der Journalist in Zürich ein Magazin heraus, das nichts anderes versammelt als: brillante Storys.

Stuttgart - In Feuerland lebt eine Frau, die als Letzte ihre Sprache spricht. Sie heißt Yamana, und es gibt darin ein Wort, für das wir einen Satz brauchen, bei dem es  uns den Atem verschlägt.“ „Kathryn Johnston war bis zu dem Abend, an dem die Polizei kam, recht fidel.“ „Daniel Puntas Bernet hatte nicht die geringste Ahnung, wie man eine Reportage verfasst, als er die Chuzpe besaß, über einen Tunneleinsturz zu schreiben, den die meisten Schweizer Medien nur am Rande behandelt hatten.“ „Die Polizei von Arraial d’Ajuda im Süden von Bahia, Brasilien, stieß auf das Tagebuch von Hans G., zusammen mit dem Pass, der ihn als siebzigjährigen Schweizer auswies, nachdem sie den nackten Körper, schon im Stadium der Verwesung, im Badezimmer gefunden und ordentlich fotografiert hatte.“

 

Es ist natürlich ein billiger Trick, für den Einstieg in eine Geschichte über ein Magazin, das nur Reportagen enthält, sich einiger der besten ersten Sätze zu bedienen, mit denen die Reporter um die Neugier ihrer Leser werben. Aber dieser Trick erfüllt in mehrfacher Hinsicht seine Aufgabe. Zum einen zeigt er, wie wichtig bei einer Reportage der erste Satz ist. Er versetzt den Leser in die Stimmung, in der der Autor ihn haben möchte. In ihm blitzt auf, was ihn bis zum Ende der Geschichte nicht mehr loslassen soll. Der Trick demonstriert also, was die große Qualität der Storys ausmacht, die der Leser in dem Magazin „Reportagen“ findet. Zugleich kann man dabei mitten unter diesen ersten Sätzen den ersten Satz verstecken, der die Geschichte genau dieses Magazins erzählt.

Daniel Puntas Bernet (den letzten Teil des Namens lässt er meistens weg) ist nämlich der Chefredakteur der Schweizer Zeitschrift, die sich nicht irgendeinen schick klingenden Namen gegeben hat, sondern die Gattungsbezeichnung für ihren Inhalt als Titel wählte. Und er hatte in der Tat noch nie eine Reportage geschrieben, als er 2002 über den Einsturz eines Eisenbahntunnels im Schweizer Mittelland recherchierte, der von dem Medien fast unbeachtet geblieben war. Ein Polier hatte damals Risse in den Wänden entdeckt, ein mulmiges Gefühl bekommen, seine Kollegen alarmiert und sie im letzten Moment aus der Tunnelröhre hinausgeführt. Eine so starke Geschichte zu erkennen beweist einen guten journalistischen Instinkt. Er muss Daniel Puntas angeboren sein, denn zu diesem Zeitpunkt hatte er sich in zahlreichen journalismusfernen Professionen versucht. Er hatte Bankkaufmann gelernt, in New York als Börsenhändler gearbeitet, als Pizzabäcker und Weinbauer, als Assistent eines Sportmanagers Boris Becker vom Flughafen abgeholt und Sponsoren betütelt, hatte spanische und deutsche Literatur studiert und dabei eine Zeit lang in Spanien und Lateinamerika gelebt.

Keine Fotostrecken, nur Texte

Das ist schon verrückt genug. Noch verrückter ist, dass seine Reportage über das Tunnelunglück sogleich in der angesehensten Zeitung der Schweiz, der „Neuen Zürcher“, erschien und dass ihm deren Redaktion eine Stelle anbot. Für die Sonntagsausgabe schrieb er fortan lange Texte, am liebsten über globale Rohstoffmärkte, über Kupferbergbau in Sambia oder Kobaltminen im Kongo. Am verrücktesten aber dürfte es sein, dass Puntas den Redakteursjob bei der „NZZ am Sonntag“ nach zehn Jahren aufgab, um sich in ein so gewagtes Experiment wie „Reportagen“ zu stürzen. „Ich mag Reportagen“, sagt er, „weil ich glaube, dass man die großen Themen wie Klimawandel und Kriege herunterbrechen muss auf Geschichten, in denen die Leser ein Stück Welt erleben.“ Tatsächlich fand der inzwischen 47-jährige Journalist eine Reihe von Geldgebern, die diese Leidenschaft teilten.

Das Magazin wagte sich nämlich auf einen Markt, der mit „Geo“ und „National Geographic“ vom finanzstarken Hamburger Verlag Gruner + Jahr gut besetzt ist. Anders als die Konkurrenz will Puntas deshalb nicht mit teuren Fotoreportagen punkten. Stattdessen gibt es in dem Heft so gut wie keine Fotos – nur Schrift, Grafiken und hin und wieder eine Zeichnung. „Wir konzentrieren uns auf die spannende Geschichte“, sagt er. Dafür konnte er renommierte Autoren gewinnen, die mit ordentlichen Honoraren bezahlt werden, damit sie zwei, drei Wochen an einer Reportage arbeiten können.

So viel Zeit, so viel Sorgfalt und Neugier aufzubringen ist in der kriselnden Branche der Printmedien nicht mehr üblich. Das erlebte Puntas selbst, als er nach den Bombenanschlägen 2004 in Madrid dem Islamismus im marokkanischen Tanger nach-recherchierte. Als er eintraf, waren die Reporter der großen Medien schon wieder auf dem Rückflug. Sie hatten zwei Tage an der Bar eines Hotels gesessen und ein paar Gespräche untereinander geführt. „Einige hatten die Geschichten, die sie später abliefern sollten, bereits auf dem Hinflug im Flieger geschrieben“, erzählt Puntas. Gibt es, fragt sich der Journalist schon damals, genug Leser, die mehr Dinge von der Welt erfahren wollen, als sie vorher zu wissen glauben? Heute hofft er, dass der ehrgeizige, starke Anfang von Reportagen einen glücklichen Schluss findet.