In Repair Cafés wird den Besitzern defekter Dinge geholfen. Das kostet wenig, bringt aber viel – nicht nur dem Einzelnen, sondern der gesamten Gesellschaft.

Region: Verena Mayer (ena)

Tübingen - Bis das Werkstatthaus öffnet, dauert es noch eine halbe Stunde, doch draußen warten schon die ersten Besucher. Und es kommen immer mehr. Die Leute drinnen bauen Tische auf und rücken Stühle dazu. Jemand kocht Kaffee und setzt Wasser für Nudeln auf. Das Geschirr fehlt noch, die Kuchen müssen aus dem Lagerraum geholt werden. Schnell noch das Knabberzeug ansehnlich drapieren. Und das Preisschild, wo ist nur das Preisschild? Trotz der Betriebsamkeit drinnen und der wachsenden Schlange draußen kann man sagen: Das ist die Ruhe vor dem Sturm.

 

Muße zum Essen hat in den kommenden vier Stunden niemand. Die Tische sind ständig übervoll, und die Stühle reichen auch nicht. Irgendwer muss immer warten, und irgendwer muss immer stehen. Wie das halt ist, wenn Reparaturcafé-Abend im Tübinger Werkstatthaus ist. Jeden letzten Mittwoch im Monat.

Um kurz vor 18 Uhr ruft eine Frau, die zum Werkstatt-Team gehört: „Reparateure, holt ihr eure Namensschilder?“ Dann erklärt sie den Schlangestehern, dass das Erdgeschoss sozusagen die Elektroabteilung ist, sich im ersten Stock die Schneiderei befindet und im Keller alles erledigt werden kann, das mit Holz, Schweißen und Fahrrad zu tun hat. Außerdem muss sich jeder Kunde mit seinem Anliegen in eine Liste eintragen. Und dann, dann geht es endlich los!

Eine Dinosauriermaschine

Günter Kröneck ist mit seinen beiden Gabrieles aus Balingen angereist. Die 45-minütige Fahrt sind ihm die elektrischen Triumph-Schreibmaschinen schon noch wert. Jahrelang, ach was, jahrzehntelang hat der Malermeister darauf Rechnungen getippt und Angebote. Jetzt ist Günter Kröneck in Rente. Ab und zu etwas schreiben muss er immer noch, doch die Gabrieles wollen nicht mehr. Die eine, Gabi 100, fiepst nur noch, sobald sie angeschaltet wird. Die andere, Gabi 9009, macht nicht mal das. Günter Kröneck hat in allerhand Fachgeschäften nachgefragt und immer die gleiche Antwort bekommen: Dass er diese Dinosauriermaschinen doch einfach entsorgen soll. Wobei, einer hätte die Gabis vielleicht richten können, aber das wäre richtig teuer geworden. So teuer, dass der Spezialist den Preis gar nicht erst genannt hat. „Der hat wahrscheinlich Angst gehabt, dass mich der Schlag trifft“, vermutet Günter Kröneck. Als er im Fernsehen einen Bericht über das Reparaturcafé in Tübingen gesehen hat, da wusste der 75-Jährige, dass es für seine beiden Gabrieles nicht zu spät sein muss. „Wenn die nicht helfen können, kann ich die Maschinen immer noch rausschmeißen“, sagt Günter Kröneck.

Im Reparaturcafé helfen rastlose Tüftler ratlosen Kunden. Vielleicht gehört die alte Zahndusche gar nicht in den Elektroschrott, nur weil ein kleines Kabel durchgerostet ist. Warum sollte es für eine geerbte Tiffany-Lampe keine Verwendung mehr geben, wenn man doch nur den Stecker austauschen muss. Und natürlich muss kein neuer Stuhl angeschafft werden, solange man das abgebrochene Bein anschweißen kann. Ein Reparaturcafé ist sozusagen der Reparaturbetrieb der Wegwerfgesellschaft.

Das offizielle Konzept dazu stammt aus den Niederlanden. Dort veranstaltete Martine Potsma im Oktober 2009 das erste Repair Café. Ein Jahr später gründete die Journalistin eine Stiftung, die inzwischen Gruppen auf der ganzen Welt professionell bei der Gründung ihrer eigenen ehrenamtlichen Werkstätten berät. Außer einem dicken Handbuch gibt es ein eigenes Logo, Vorlagen für einheitliche Flyer und Poster und die Verpflichtung, bei „jeglicher Form der Kommunikation“ auf die offizielle Homepage der Stiftung zu verweisen. Mehr als 700 dieser offiziellen Repair Cafés gibt es aktuell zwischen Australien und Amerika, rund 200 davon in Deutschland. Allein in Stuttgart sind vier registriert. Hinzu kommen ungezählte nichtnormierte Initiativen wie die Tübinger.

Ein Handy wird geföhnt

Günter Kröneck ist an der Reihe. An Tisch Nummer vier sitzt Sebastian Wondrak, ein junger Mann mit Rastalocken und einer Apple-Uhr am Armgelenk. Wondrak nimmt sich der Gabriele 100 an – und auch ihres Eigentümers. „Setzen Sie sich her und schrauben Sie das Verdeck ab“, sagt der Reparateur. Die Leute sollen etwas lernen, damit sie sich beim nächsten Problem möglichst selbst helfen können. Aber Günter Kröneck lacht und sagt: „Ich kann nicht viel.“ Schraubt Sebastian Wondrak halt selbst. Der Blick ins Innere offenbart keinen erkennbaren Schaden. Also Stecker in die Dose und Maschine anschalten: sie fiepst. Dann raus mit dem Farbband und ein bisschen an dem Teil drücken, das Kenner „Wagen“ nennen. Gabriele fiepst. Vielleicht mal Papier einlegen und den Wagen anschieben? Es bleibt beim Fiepsen.

Am Platz daneben befreit ein Reparateur André Rieus „Rosen aus dem Süden“ aus dem CD-Wechsler einer bekümmerten Dame. Seit Weihnachten hatte sich die Disc dort verschanzt.

Ein junger Mann föhnt sein Handy, damit sich das zersplitterte Display leichter ablösen lässt. Wenn es klappt, muss er das Gerät nicht einschicken. 150 Euro würde das kosten. Ziemlich viel. Lieber föhnen.

Die Menschen strömen in Scharen

Ein starker Kerl schleppt einen riesigen Flachbildfernseher ins Werkstatthaus. Er tut nicht mehr. Der Berater am Kundentelefon meinte, wahrscheinlich sei das Netzteil hinüber. Doch der Reparateur im Werkstatthaus stellt fest, dass nur ein Kabel nicht fest genug im Bildschirm steckt. „Super“, sagt der starke Kerl.

Das Reparaturcafé im Werkstatthaus ist vor 15 Monaten eingerichtet worden. Und noch immer ist es so, dass an jedem neuen Öffnungsabend noch mehr Besucher kommen als beim vergangenen Mal. Dieses Mal sind es 57. „Das Interesse explodiert“, sagt Christina Just, die das Projekt koordiniert – und seinen Erfolg noch immer nicht ganz fassen kann. Das Werkstatthaus haben gemeinsinnige Bewohner des Französischen Viertels schon vor 13 Jahren gegründet. In dem Gebäude gibt es alles, was man zum Regalbauen, Fahrradschrauben, Hosekürzen oder Anhängerschweißen braucht. Außerdem wird hier neben dem Werkzeug schon immer Hilfestellung angeboten. Doch erst seit die niederländischen Repair Cafés wie Arabicabohnen am Strauch sprießen und im Werkstatthaus die monatliche Elektroabteilung eingeführt wurde, strömen die Menschen in Scharen. Am Anfang reichten 15 ehrenamtliche Helfer, inzwischen sind 30 im Einsatz.

Städter verwandeln öffentliche Grünflächen in Ackerland. Autofahrer kaufen kein eigenes Fahrzeug, sondern teilen sich eins mit anderen. Leser legen ihre Bücher in ehemaligen Telefonzellen aus, wo sie neue Besitzer finden. Designer zaubern aus ausrangierten Verpackungen schicke Taschen oder coole Klamotten. Und jetzt nehmen die Leute auch noch ihre defekten Sachen selbst in die Hand. Was ist da los? Der Soziologe Harald Heinrichs hat erforscht, dass sich der Wert von Besitz relativiert hat, die Maßlosigkeit in Zeiten des Überflusses ermüdend ist. Der Volkswirtschaftler Reinhard Loske fand heraus, dass die Teilnahme an der sogenannten Sharing Economy auch ökologische und ökonomische Motive hat. Und der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech propagiert als Ausweg aus der Umwelt- und Sinnkrise der Menschheit schon lange: mehr Eigenleistung, mehr gemeinschaftliche Nutzung von Gütern und die Stärkung regionaler Märkte.

Das Fahrrad ohne Hinterrad

Spuren die Gärtner, Teiler und Reparateure womöglich den Weg zu einem postkapitalischen Wohlstandsverständnis, in dem Wachstum nicht alles ist? Spiegelt sich in ihrer Arbeit ein neuer Umgang mit der Umwelt wider? Christina Just ist auf jeden Fall froh, dass sie an diesem Abend zwei Besuchern aus Balingen und Dusslingen das Tübinger Tüftelprinzip erklären darf: Vielleicht entstehen dort dann zwei neue Reparaturcafés. „Das wäre eine Entlastung.“

Im ersten Stock rattert eine Nähmaschine – Musik in den Ohren von Jakob Schenk, dem Nähmaschinenmechaniker. Schenk ist 73 und hat sofort Ja gesagt, als seine Fertigkeiten im Reparaturcafé gefragt wurden. Der Profi hat bis jetzt jede noch so alte Maschine repariert bekommen. Eine Garantie für ein ewiges Geräteleben gibt es allerdings auch im Werkstatthaus nicht.

Im Keller hängt ein Fahrrad ohne Hinterrad von der Decke. Es hat einen Platten. Markus Weiß hilft dem Besitzer. Hauptberuflich ist er Förster, mit Reifen, Bremsen, Schaltungen und Rost kennt sich der 45-Jährige aus, seit er als Jugendlicher in einem Fahrradgeschäft gejobbt hat. Machen die ehrenamtlichen Reparateure dem Fachhandel keine Konkurrenz? Nein, sagt Markus Weiß. Das Werkstatthaus bestelle beim Profi um die Ecke Ersatzteile, und der schicke seine vermeintlich hoffnungslosen Fälle ins Werkstatthaus.

Klasse Reparationsleistung!

Im Erdgeschoss knöpft sich Lauro Conti eine Playstation vor. Mal schauen, ob er gleich erkennt, warum sie spinnt. Der angehende Physiker nimmt defekte Radios, Wasserkocher und weiß Gott was auseinander, seit er einen Schraubenzieher halten kann. „Andere fechten, ich tüftle“, sagt er. Angst, dass er an den fremden Geräten noch mehr kaputt machen könnte, hat er nicht. Aber die Besucher des Werkstatthauses wissen, dass sie auf eigenes Risiko kommen.

Gabriele 100 macht Sebastian Wondrak nicht glücklich. Er bringt sie einfach nicht zum Schweigen. Vielleicht findet der hauptberufliche Informationstechniker im Internet noch eine Bedienungsanleitung für die alte Dame. Vielleicht aber findet er auch den Defekt bei Gabriele 9009. Günter Kröneck wuchtet seine zweite Schreibmaschine auf den Tisch. Der Reparateur nimmt das Verdeck ab und blickt in ihr Innerstes. Er greift an die Schreibwalze und zieht ein Stück loses Löschband heraus. Stecker rein, Schalter rum, Gabi leuchtet auf und surrt gesund. „Tut doch“, sagt Sebastian Wondrak und wendet sich einem Laptop zu, dessen Ladekabel ständig aus der Buchse flutscht.

Günter Kröneck staunt und strahlt. Bevor er geht, steckt er zehn Euro in die Spendenkasse. Klasse Reparationsleistung!