Um darauf zu reagieren. Mit den Messwerte wird der eigene Körper vermessen und mit Hilfe der Statistik soll der Lebensstil und damit die Gesundheit, Fitness und Leistungsfähigkeit optimiert werden. Dabei geht es nicht nur um das Kalorienzählen beim Essen, um die Pfunde nach Weihnachten purzeln zu lassen. Oder um beim Joggen mittels der Pulsuhr das Laufen und damit die Kondition zu verbessern. Es geht vielmehr darum, sich selbst komplett zu erfassen, am Tag und in der Nacht. Doch möglicherweise könnte der Selbstquantifizierer in eine Art Rausch verfallen, ähnlich einem Magersüchtigen, der seinen Körper in eine bestimmte Richtung manipulieren möchte – und dies nicht unbedingt zum eigenen Wohle. „Die einfach gewordene ständige Eigenbeobachtung und Selbstvermessung kann eine Reihe folgenschwerer psychischer Probleme nach sich ziehen“, schreibt die angehende Wirtschaftsingenieurin Marcia Nißen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in einer Seminararbeit. Sie zitiert zudem eine kürzlich veröffentlichte amerikanische Studie, die besagt, dass in der fanatischen Selbstkontrolle die Gefahr einer „Über-Überwachung“ der eigenen Person lauere. Kritisch seien zudem Fragen der Datenspeicherung und der Sicherheit.

 

Allerdings ist es schwierig, das schreibt auch Nißen, Quantified Self wissenschaftlich zu beurteilen, da es bisher kaum veröffentlichte Untersuchungen dazu gibt. Doch die Wissenschaft interessiert sich immer mehr dafür. Schließlich bieten die Foren der sich selbst vermessenden Menschen einen kostenlosen Datenpool, auf den man mühelos zurückgreifen kann. So sehen etwa Pharmafirmen die Chance, ihre Medikamente, deren Nebenwirkungen und mögliche Wechselwirkungen mit anderen Mitteln in einer Art breit angelegter Versuchsreihen mit gesunden Menschen beurteilen zu können – immerhin notiert der gründliche Selbstquantifizierer nicht nur technische Daten, sondern auch Mahlzeiten, Nahrungsergänzungsprodukte und Medikamente ebenso wie den Wohlfühlfaktor und Wetterfühligkeit. Allerdings sind derartige Erhebungen wissenschaftlich nicht haltbar, da sie kaum eine fundierte Überprüfung nach wissenschaftlichen Kriterien schaffen würden.

Auch die medizinische Forschung hat die Bewegung für sich entdeckt. Bei der Erforschung und Entwicklung der personalisierten Medizin, was die maßgeschneiderten Therapie jedes einzelnen Patienten bedeutet, schauen sich Wissenschaftler gerne in den Datenbanken der Quantified Self-Anhänger um. Da sich eine Krankheit bei jedem Menschen anders auswirkt, sind nicht nur genetische Daten, sondern auch der Lebensstil bei einer individualisierten Medizin wichtig. Man könne aus diesen Daten beispielsweise Präventionsmaßnahmen ableiten, sagt Bärbel Hüsing vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Menschen dieser Bewegung hätten ein anderes Gesundheitsempfinden im Vergleich zur Normalbevölkerung. Ein Mensch, der seinen Körper stets beobachte, möchte auch selbst die Verantwortung für seine Gesunderhaltung tragen. In Zukunft, so erklärt die Wissenschaftlerin, werde der Patient auch unabhängig dieser Bewegung mehr Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen.

Seitdem Wolf und Kelly 2007 die Website quantifiedself.com ins Leben gerufen haben, wurde aus einigen wenigen Nerds und Technikfans eine Bewegung, die inzwischen auch in Europa und Deutschland angekommen ist. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde die erste deutsche Gruppe in Berlin gegründet. Seit 2011 treffen sich Gleichgesinnte auf internationalen Konferenzen, auf denen sich Wissenschaftler, Pharmaforscher und der Handel die Klinke in die Hand geben. Schließlich kann sich auch die Marktforschung von Sportutensilien, technischen Geräten und Software hier bestens informieren. Auf diesen Konferenzen können neue Produkte vorgestellt werden – bessere Versuchspersonen findet man nicht so schnell. Und mit jedem neu erworbenen Smartphone wird die Selbstquantifizierung relevanter. Am Anfang beschränkt sie sich sicherlich auf Apps, die eine Laufstrecke abrufen oder Aufenthaltsort checken lassen. Die komplette Vermessung wird zunächst aber sicherlich noch die Ausnahme bleiben – schon alleine aufgrund des fehlenden technischen know-hows der meisten Menschen.