Der Datenskandal bei der Deutschen Bahn wird teilweise neu aufgerollt. Der Konzern geht belastenden Hinweisen nach.  

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Der Datenskandal bei der Deutschen Bahn wird teilweise neu aufgerollt. Der Staatskonzern lässt die Verantwortung des früheren Vorstandschefs Hartmut Mehdorn mit Blick auf Schadenersatzansprüche nochmals prüfen. Erstmals hat die Bundesregierung zudem den hohen Millionenschaden der Affäre offiziell bestätigt.

 

Mit einiger Verspätung hat das Bundesverkehrsministerium eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag zur Haftung im Datenskandal beantwortet (Drucksache 17/5649). Die Stellungnahme liegt dieser Zeitung exklusiv vor und markiert einen Kurswechsel. Denn bisher betrachteten Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), Bahn-Chef Rüdiger Grube und Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht die Vorgänge ausdrücklich als abgehakt.

Brisantes Protokoll ist aufgetaucht

Nun aber gibt es neue Nachforschungen. "Die DB prüft derzeit, ob Ergänzungen oder Nachträge zu den damaligen Ermittlungs- und Prüfungsergebnissen erforderlich sind", bestätigt das Ministerium. Konkret beziehen sich die Nachprüfungen demnach auf die Mitwisserschaft und mutmaßlich aktive Rolle Mehdorns im Datenskandal sowie auf ein Gutachten der Prüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC) für den damaligen Aufsichtsrat, das den Vorstand entlastete und von Schadenersatzklagen abriet.

Die Regierung betont in der Antwort zwar, dass der Konzern "die Affäre aufgearbeitet und sowohl personelle als auch organisatorische Konsequenzen gezogen" habe. Sollten aber neue Erkenntnisse auftauchen, gehe die Bundesregierung davon aus, dass sich "die DB AG wie in der Vergangenheit intensiv um eine Aufklärung bemühen wird". Solche neuen Erkenntnisse gibt es. Wie berichtet, ist erst jetzt ein brisantes Protokoll vom März 2009 aufgetaucht, das Mehdorn belastet. Es schildert die Befragung des damaligen Leiters der internen Revision der Bahn durch zwei Sonderermittler von KPMG. Demnach sollen Mehdorn und andere Spitzenmanager von den Schnüffeleien und illegalen E-Mail-Überwachungen gewusst und eine aktive Rolle gespielt haben.

Niemand an der Konzernspitze übernahm Verantwortung

Der frühere DB-Aufsichtsrat unter dem Vorsitz von Werner Müller verzichtete auf eine Schadenersatzklage, nachdem PwC davon abgeraten hatte. Doch niemand in der Konzernspitze übernahm dafür die direkte Verantwortung oder wurde belangt. Der als "streng vertraulich" deklarierte PwC-Abschlussbericht vom 7. August 2009 für den Aufsichtsrat liegt dieser Zeitung exklusiv vor. Untersucht wird darin, ob der DB-Vorstand zwischen 1995 und Februar 2009 seine aktienrechtliche Pflicht zur "rechtskonformen Unternehmensführung" vernachlässigt hat.

Ein Verschulden der Vorstände könne "nicht festgestellt werden", lautet das Fazit der 75-seitigen Studie. Eine Klage könne man "nicht empfehlen". PwC hatte jedoch ausdrücklich den Auftrag, keine eigenen Ermittlungen anzustellen und sich auf die Ergebnisse der Sonderermittler zu stützen. Einige Sachverhalte bewertet aber auch PwC als "zweifelhaft". Ausdrücklich verwiesen wird dabei wörtlich auf "die Beteiligung des Vorstandsvorsitzenden Mehdorn an den Projekten "Holunder", "Rubens", "Sputnik", "Traviata" sowie "Twister".

Vier Jahre lang ausgeforscht

Beim Projekt mit dem internen Tarnnamen "Rubens" zum Beispiel hatte Mehdorn ein anonymes Schreiben erhalten, das mehrere Mitarbeiter des DB-Einkaufs der Bestechlichkeit bezichtigte. Die Mitarbeiter wurden im Auftrag der Bahn daraufhin von der Detektei Network bis in den privaten Bereich hinein bespitzelt und vier Jahre lang ausgeforscht, bis sich der Verdacht dann als haltlos erwies. Die Ermittler stellten später auch hier zahlreiche Rechtsverstöße fest.

Die Grünen im Bundestag fordern die Offenlegung des PwC-Berichts und die erneute Einschaltung der Sonderermittler zur Aufklärung der neuen Erkenntnisse. "Den Ankündigungen der Regierung müssen nun Taten folgen", sagte der Verkehrssprecher der Partei, Anton Hofreiter, dieser Zeitung. Zu klären sei vor allem, warum der Staatskonzern bisher trotz der belastenden Aussagen und Erkenntnisse und trotz der großen Schäden auf eine Schadenersatzklage gegen Mehdorn verzichtet habe.

Der Datenskandal kostete die Bahn 45 Millionen Euro, wie aus der Antwort auf die Kleine Anfrage ebenfalls hervorgeht. Damit bestätigen die Bundesregierung und die Bahn erstmals die Recherchen dieser Zeitung. Allein 18,5 Millionen Euro zahlte der Staatskonzern den Angaben der Bundesregierung zufolge für die Ermittlungen und als Bußgeld. Weitere 26,5 Millionen kosteten die Abfindungen für die Spitzenmanager, die wegen der Vorfälle gehen mussten. Die hohen Kosten, die in vertraulichen Unterlagen des Aufsichtsrats genau beziffert sind, hatte die Bahn bisher trotz mehrfacher Nachfragen offiziell immer verschwiegen.