Quantencomputer können Verschlüsselungen viel schneller knacken als klassische Computer. Darüber hinaus aber müsse man nach sinnvollen Anwendungsgebieten erst noch suchen, meinen US-Forscher, und machen gleich Vorschläge.

Stuttgart - Quantencomputer sollen einmal sehr viel schneller rechnen als herkömmliche Computer. Bisher aber existieren sie nur in Form von Machbarkeitsstudien in Physiklabors. Sie haben noch kein praxisrelevantes Rechenproblem gelöst. Die Expertenwelt ist gespalten in der Einschätzung, wann es den ersten praxistauglichen Quantencomputer geben wird. Manche meinen, er sei gleich um die Ecke, andere veranschlagen hundert oder mehr Jahre als Wartezeit.

 

Wenn allerdings schon morgen der Durchbruch verkündet würde, gäbe es kaum etwas für das Baby zu tun. Denn trotz zwanzig Jahren Forschung kristallisieren sich bisher nur wenige potenzielle Anwendungen heraus. Nur zwei praxisrelevante Methoden versprechen einen klaren Tempovorteil gegenüber klassischen Rechnern: das Knacken von gängigen Verschlüsselungsverfahren wie dem bis heute als sehr sicher geltenden RSA-Code, sowie die schnelle Suche in ungeordneten Datenbanken. Es kommen Zweifel an der Nützlichkeit von künftigen Quantencomputern auf, zumal eine der beiden Anwendungen kaum als „nutzbringend“ zu bezeichnen ist.

Wird es bei dieser Dürftigkeit bleiben? Drei führende Experten vom renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) skizzieren gegenüber dem IT-Portal Golem.de, was man von Quantencomputern erwarten darf und was nicht.

Rechnen mit vielen Möglichkeiten parallel

In der öffentlichen Wahrnehmung gebe es ein großes Missverständnis, meint Scott Aaronson, der das Potenzial und die Grenzen von Quantencomputern erforscht. „Die Leute denken, der Quantencomputer gehe durch eine Überlagerung aller möglichen Antworten und irgendwie schreie die korrekte Antwort laut über alle anderen hinweg, um sich bemerkbar zu machen“, sagt der Informatiker. Doch am Ende der Rechnung bestimme allein der Zufall, welche der Lösungsmöglichkeiten ausgegeben werde, betont der 33-Jährige. Ein Zufallsgenerator liefere das gleiche Resultat.

Er erklärt den Unterschied. „Der Trick ist die sogenannte Interferenz“, sagt Aaronson. „Die Antworten werden im Quantencomputer in Form von Wellen dargestellt und Wellen können sich gegenseitig auslöschen oder verstärken“, erklärt er. „Die Kunst ist, diese Interferenz so zu steuern, dass sich die Wege, die zu den falschen Antworten führen, gegenseitig auslöschen, sodass der Weg zur richtigen Antwort übrig bleibt. Beim Messen erhält man dann sehr wahrscheinlich die richtige Antwort.“

Wie ein Orchester

Seth Lloyd, 53-jähriger Physiker, der den ersten funktionierenden Quantencomputer entworfen hat, drückt es bildhaft aus: „Einen Quantencomputer zu steuern, ist wie ein Orchester zu dirigieren. Das Ziel ist eine passende, gewissermaßen harmonische Interferenz zwischen den Tönen, also den möglichen Antworten.“

Es sei aber nicht für jedes Problem möglich, die richtige Orchestrierung zu finden, betont Lloyd. „Insgesamt scheint es nicht für allzu viele Probleme eine solche Orchestrierung zu geben.“ Die Probleme müssen offenbar eine ähnliche mathematische Struktur haben wie das sogenannte Faktorisierungsproblem, welches dem Knacken des RSA-Codes zugrunde liegt.

Grob erklärt findet der Quantencomputer im Handumdrehen heraus, ob in einer sehr, sehr langen Kolonne von Zahlen Wiederholungen auftreten, auch wenn diese sehr, sehr weit auseinanderliegen. „Die Frage ist, ob es noch andere Probleme als das Faktorisierungsproblem gibt, die derart lange Perioden aufweisen“, sagt Peter Shor. Der 55-Jährige hatte vor genau 20 Jahren den nach ihm benannten Faktorisierungs-Algorithmus entdeckt, woraufhin die Öffentlichkeit erstmals Notiz vom Quantenrechner nahm. „Mir sind keine solchen Probleme bekannt“, fügt der Mathematiker und Informatiker hinzu.

An Manchem scheitert der klassische Computer

Die Grenzen des Quantencomputers könnten also recht eng gesteckt sein: „Es gibt Zehntausende Probleme, von denen viele für Anwendungen interessant sind, die noch sehr viel schwieriger sind als das Faktorisierungsproblem“, sagt Aaronson. Sie haben aber nicht dessen mathematische Struktur. „Wir haben bislang keinerlei Hinweise, dass diese Probleme effizient gelöst werden können, weder von einem normalen Computer, noch von einem Quantencomputer“, sagt Aaronson.

Darunter fielen Optimierungsaufgaben wie das „Problem des Handlungsreisenden“, bei dem die kürzeste Reiseroute zwischen vielen Städten gefunden werden muss. Mit jeder zusätzlichen Station vervielfacht sich die Zahl der Möglichkeiten, was jeden klassischen Rechner früher oder später kapitulieren lässt. Solche Optimierungsprobleme treten in der Praxis häufig auf, etwa bei der Ressourcenplanung in einer Fabrik oder der Planung einer Raumfahrtmission, weshalb auch die Nasa am Quantencomputing interessiert ist.

Auf der Suche nach Problemen für die Lösung

Dass nach zwanzig Jahren Forschung das Anwendungsprofil des Quantencomputers noch recht dürftig ist, liegt demnach nicht daran, dass es keine Anwendungen gäbe, sondern dass diese sehr schwer zu finden sind. Peter Shor meint, dass die Hürden erst genommen werden, wenn es praxistaugliche Quantencomputer gibt. „Als es klassische Computer gab, wurde eine Menge neuer Algorithmen entdeckt, weil die Leute sie an den Geräten ausprobieren konnten. Das gleiche könnte mit Quantencomputern geschehen“, sagt Shor.

Unter den wenigen absehbaren Anwendungen seien allerdings einige hoch relevante, meint Seth Lloyd. „Eine davon ist die Entdeckung versteckter Muster. Darunter fallen Dinge wie maschinelles Lernen oder Big-Data-Anwendungen. Für klassische Computer haben sich zum Beispiel Sprach- oder Handschrifterkennung als sehr schwierig erwiesen. Sie geben dem Computer zehntausend Beispiele der handgeschriebenen Ziffer fünf und zehntausend Beispiele der Ziffer sieben. Danach kann er selbstständig handgeschriebene Fünfen und Siebenen unterscheiden. Wir glauben, dass Quantencomputer das sehr viel schneller lernen könnten.“

Auch beim Analysieren großer Datenmengen werde der Quantencomputer punkten, meint Lloyd. Für Aaronson ist es hingegen „Spekulation“, dass Lloyds Beispiele die ersehnte Quanten-Beschleunigung bringen. Einig sind sich die Experten, dass Quantencomputer das Cloud-Computing sicherer machen können. Mit einer Technik namens „Blind Quantum Computing“ kann ein Nutzer eine Aufgabe an den Quantencomputer eines Dienstleisters senden, dort lösen lassen und das Ergebnis empfangen, ohne dass der Dienstleister die Daten einsehen könnte, ja noch mehr: ohne dass er erfährt, um welche Art von Rechnung es sich handelt. Sobald es leistungsfähige Quantencomputer gebe, könne das realisiert werden, meint Scott Aaronson.

Google ist nicht begeistert

Ein Protokoll für eine Quanten-Suchmaschine hat Seth Lloyd entwickelt, er nennt sie Quoogle. „Man sendet Quoogle eine Anfrage, und es antwortet. Wenn das Protokoll eingehalten wurde, kann man absolut sicher sein, dass Quoogle die Frage nicht weiß.“ Er warb um Förderung dieser Technik bei den Google-Gründern Sergey Brin und Larry Page, doch diese sagten ihm mit der Begründung ab, Quoogle würde Googles Geschäftsmodell untergraben.

Es gibt Forscher, die einen praxistauglichen Quantencomputer für unmöglich halten, weil er zu vielen störenden Umwelteinflüssen ausgesetzt wäre, als dass die diffizile Orchestrierung gelingen könnte. Scott Aaronson ficht das nicht an. „Wenn wir entdecken sollten, dass es einen tiefen Grund gibt, warum Quantencomputer unmöglich sind, dann würde das ironischerweise das aufregendste Resultat sein! Denn wir müssten dann die Physikbücher umschreiben, um dem neuen Verständnis Rechnung zu tragen. Wahrscheinlicher jedoch ist der langweiligere Befund: Dass man Quantencomputer bauen kann. In beiden Szenarien werden wir etwas Interessantes lernen.“

Rechnen mit Quantentechnik

Halbleiter-Bits
Heutige Computer verarbeiten Daten in aufeinanderfolgenden Schritten. Für manche Aufgaben muss eine Unzahl von möglichen Lösungswegen getestet werden. Computer brauchen dafür äußerst lange. Darauf beruht die Sicherheit von häufig im Internet genutzten Verschlüsselungsverfahren.

Quanten-Bits
Laut Quantenphysik können Teilchen wie Atome oder Elektronen mehrere Möglichkeiten gleichzeitig speichern. Sie können sich zum Beispiel gleichzeitig an zwei Orten aufhalten. Ein Quantencomputer nutzt solche Teilchen als Speicherzellen. Er kann daher sehr viele mögliche Lösungswege in einer Art Überlagerung speichern. Beim Rechnen verarbeitet er all diese Möglichkeiten parallel und kommt daher sehr schnell zum Ergebnis. Deshalb gilt diese Art von Rechnern als Bedrohung für Verschlüsselungsverfahren und damit die Internetsicherheit.