Kyle ist Berufsverbrecher, ein brutaler Kerl, der lamentiert, dass ihm Unrecht getan wurde. Aber er selbst kennt keine Regeln. Erlaubt ist, was Kyle Nutzen bringt.

Stuttgart - Bei einem Besuch in New York bekommt Kyle Nevin schlechte Laune. Also geht der unlängst nach acht Jahren Haft wieder in die Freiheit Entlassene nachts alleine durch den Central Park, in der Hoffnung, von jemandem überfallen zu werden. „Mehrere wären besser“, wie der Ich-Erzähler von „Paria“ sagt. Ja, dieser Berufsverbrecher aus South Boston löst nicht nur Geldprobleme, sondern auch emotionale Krisen mit Gewalt.

 

In „Paria“ gärt eine große Wut. Kyle will sich an Red Mahoney rächen, seinem ehemaligen Boss, der ihn ans FBI verraten hat und nun abgetaucht ist. Der Autor Dave Zeltserman gibt Kyle zunächst einen Tunnelblick, eine Energie, eine fransenlose Sprache, die an die Klassiker der Hardboiled-Literatur erinnern. Aber er verzichtet darauf, Kyles Härte als massive Schale für einen guten Kern auszugeben, wie wir sie von manchem Hardboiled-Helden kennen. Der Egomane Kyle, zu dessen schönsten Jugenderinnerungen das Verprügeln argloser Passanten gehört, macht sich über dieses Klischee selbst böse lustig.

Einzige Anstandsregel: Klappe halten

Zeltserman ist so raffiniert, uns Lesern ganz allmählich den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Kyle klagt anfangs über den Verfall der Sitten in South Boston, über den von Mahoney verschuldeten Schwund an Rückgrat und Anstand. An diese Tiraden könnte sich der Leserwunsch anheften, den Erzähler als Slum-Tarzan eben doch zu mögen, als einen, der innerhalb seiner brutalen Welt doch so etwas wie Werte kennt und wie wir alle am Werteschwund leidet. Aber unter Ganovenehre versteht Kyle eben einzig das Klappehalten gegenüber der Polizei.

Er ist auf miese Weise egoistisch und schikanös, sein Rohlingcharme nur Mittel zum Zweck, und was immer er etwa über die Liebe zu seinem Bruder verzapft, hat nur so lange Bestand, bis dieser Bruder nicht so funktioniert, wie Kyle das will. „Paria“ ist ein Buch monströser Selbstgerechtigkeit, in dem Kyle noch die letzten Scheußlichkeiten als einzig mögliches Handeln ausgibt.

Blut lässt sich fein verkaufen

Aber Zeltserman demontiert ihn nicht einfach, in einer schönen Volte lässt er den Blutbesudelten in die Fänge eines Literaturbetriebs geraten, der den Gruselfaktor solcher Typen bestens zu vermarkten weiß.

Wenn die miese Unterwelt von South Boston und die gelackte Verlagswelt von New York aufeinandertreffen, dann macht sich Zeltserman nicht einfach übers Mediengewerbe und den Kulturbetrieb lustig. Er stellt offen genau das in Frage, was er selbst bravourös betreibt, die Verwandlung des Kriminellen in Gruselkitzel. Wer „Paria“ liest, kann nicht einfach fasziniert wegschmökern, sondern muss zu seiner eigenen Antwort finden, warum er das eigentlich tut.

Dave Zeltserman: „Paria“. (Originaltitel: Pariah). Mit einem Vorwort von Roger Smith. Aus dem Englischen von Frank Nowatzki und Angelika Müller. Pulp Master, Berlin. 369 Seiten, 13,80 Euro. Auch als E-Book, 9,99 Euro.