Der Kunstverein und das Spendhaus zeigen in Reutlingen die Schau „Weltenwechsel“.

Reutlingen - Wenn das Alte geht und das Neue noch nicht da ist, entsteht oft eine Lücke, durch die das Unerhörte hereinbricht. So wie in der Endzeit der DDR, deren Künstler den traditionellen Realismus mit der neuwilden Expression des Westens zu einer ebenso kraftvollen wie kritischen Figurenmalerei vereinigten. In Reutlingen nehmen der Kunstverein und das Kunstmuseum Spendhaus dieses Übergangsjahrzehnt der achtziger Jahre nun aufschlussreich in den Blick. Unter dem Motto „Weltenwechsel“ präsentiert die Gemeinschaftsausstellung knapp siebzig Gemälde aus der Privatsammlung von Siegfried Seiz. Der Textilunternehmer kaufte schon Kunst aus der DDR, als noch kein BRD-Galerist den Namen Neo Rauch kannte und ein Willi Sitte als kommunistischer Malerfunktionär verschrien war.

 

Schon das älteste Stück der Auswahl, Hans Vents an Edvard Munch angelehnte Sterbebettszene „Der Kranke“ von 1979, hält einem siechen System den allegorischen Spiegel vor. Und auch andere verkleiden die Agonie des Honecker-Staates hinter Fantasmen der Auflösung. Seien es die schiefäugigen Wahnsinnspferde von Heinrich Tessmers apokalyptischer Reitergruppe oder Werner Liebmanns „Laternenlied“: ein halb dämonisches, halb karnevalistisches Nachtstück, das offizielle Parteirituale grotesk parodiert.

Malen, was kaputt macht

Sie malten das, was sie kaputt machte. Als surreale Totenstädte erscheinen bei Konrad Knebel Dresden und Ostberlin mit ihrer verfallenen Bausubstanz.

Andere sind über diese Phase der verschlüsselten Kritik bereits hinaus. Während bei Hubertus Giebe ein aufgeschwemmter Monsterkörper wie ein Geschoss gegen eine Mauer fliegt, lässt Klaus Killisch einen giftgelben Porträtkopf irgendetwas in die Welt hinausspucken.

Im Vergleich mit BRD-Zeitgenossen wie Martin Kippenberger fehlt dieser Malerei zugegebenermaßen die Souveränität des Ironischen, das reflexive Spiel mit den Konventionen des Kunstmarkts. Doch dafür ist das letzte Jahrzehnt der DDR unmittelbarer, vitaler auch in seinen rumorenden Gesten, noch von dem Anspruch beseelt, Lebensgefühle direkt auszudrücken.

Nicht nur die schroff hingesudelten Farbmonster, die Hartwig Ebersbach auf dem Boden des Spendhauses verteilt, deuten an, wie viel von der Punk- und Sponti-Kultur des alten Berliner Westens über die Zonengrenze gesprungen ist. Von ihren eigenen Lehrern mitnehmen konnten die Ostrebellen den grob gegen die bürgerliche Ikonografie gebürsteten Historismus des Altleipzigers Bernhard Heisig und die buntschmutzige Körperlichkeit Sittes, der sich etwa mit dem Geschlechter-Ringkampf „Das Paar“ aus den Zwängen offizieller DDR-Ästhetik herauswindet.

Rauch fand zur Vergangenheit zurück

Deutlich wird aber auch, dass die Künstler ihren Elan da verlieren, wo sie das Figürliche preisgeben. Ausgerechnet Neo Rauch, der heute erfolgreichste deutsche Maler mit Ost-Biografie, gibt in seiner misslungenen Grünabstraktion „Der Gärtner“ (1990) zu erkennen, dass mit dem Vergessen der Herkunft die Zukunft fehlt. Und so fand der heutige Kopf der Neuen Leipziger Schule bald zur eigenen Geschichte zurück. Rauchs „Tankstellen“ von 1996 beschwören mit surreal-melancholischer Note noch einmal die Architekturtristesse im zerbröckelnden SED-Regime.

Die subversive Dynamik der Bilder indes blieb auf jene kurze historische Sattelzeit der Achtziger beschränkt, wie die zum Vergleich aufgebotenen jüngeren Werke der vertretenen Künstler illustrieren. Diese verlassen sich entweder allein auf die Finessen des Pinsels (so in der gediegenen Neusachlichkeit von Clemens Gröszers Porträts) oder sie erstarren wie Peter Hoppes „Quittenfiguren“ im Formalismus einer mit Stilllebenmotiven garnierten Aktstudie. Als gäbe es nun nicht mehr viel, gegen das aufzubegehren sich lohnte.