Dear Reader glänzen im Kulturzentrum Merlin in Stuttgart mit farbenprächtigen Songs zwischen Folkpop und Kunstlied. Die Indie-Pop-Band um die Südafrikanerin und Sängerin Cherilyn MacNeil sorgt dabei für ein Klangerlebnis der besonderen Art.

Stuttgart - Die Gitarre ist in der Popmusik quasi allgegenwärtig, aber manchmal braucht man sie nicht wirklich. Ein multinationales Trio (die Schlagzeugerin aus Russland, eine Keyboarderin aus New York, ein Multiinstrumentalist mit Schwerpunkt elektrisches Cello aus Sardinien) hat Cherilyn MacNeil für ihre aktuelle Tournee um sich geschart, zwei ihrer Mitstreiter bedienen dabei vor allem diverse synthetische Klangerzeuger. Natürlich taucht die eine oder andere Gitarre, akustisch wie strombetrieben, im Verlauf des Abends dann doch noch auf.

 

Extravagante Lieder

Aber es sind die elektronischen Momente, in denen die Musik von MacNeils Bandprojekt Dear Reader im bestens besuchten Merlin am eindrücklichsten funktioniert. Hier wirken die Lieder der in Johannesburg geborenen, 2010 in Berlin hängengebliebenen Sängerin so extravagant wie das Bühnenoutfit ihrer Truppe, eine Mischung aus karnevaleskem Flickenkleid und osteuropäischem Volkstanzkostüm. Wenn MacNeil dann noch ihren auch in hohen Tonlagen souveränen Sopran sampelt und sich via Festplatte als ihr eigenes Echo wieder zuspielen lässt, entsteht ein Sound zwischen Kunstlied und avantgardistischem Folkpop – umso mehr, als ihre Mitstreiterinnen mit polyphonen Gesangslinien assistieren und die Bandleaderin immer wieder ihren afrikanischen Background aufblitzen lässt. Eher als die Gitarre, die manchen Song fast unnötig konventionell wirken lässt, vermisst man da schon die Holzbläser ihrer aktuellen Disc „Day Fever“, die aber vermutlich das Tourbudget gesprengt hätten.

Holzbläser fehlen

Gut, dass dafür Schlagzeugerin Olga ein bisweilen hübsch vertracktes Rhythmusgerüst entwirft, mit resolutem Punch aber auch die nötigen dynamischen Akzente setzt. So entstehen Songs zwischen Traum und Albtraum, mal märchenhaft versponnen, mal voll fast triphop-artiger Düsternis. Nach 90 Minuten und einer zur Akustikballade heruntergebrochenen, etwas übertrieben andachtsvollen Version von Bruce Springsteens „Dancing in the Dark“ als Finale: viel verdienter Applaus eines hochaufmerksamen Publikums für einen Auftritt voll unverbrauchter Klänge und intensiver Stimmungsbilder.