Die ehemalige Regierungspartei CDU muss ihr historisch schlechtestes Ergebnis verkraften: Nach dem Absturz bahnt sich in der CDU eine Machtprobe zwischen Spitzenkandidat und Landeschef an.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es ist ein Witz, über den bei der CDU niemand lacht. „Jaa, zweistellig“, ruft ein Scherzbold, als bei den im Neuen Schloss versammelten Christdemokraten um 18 Uhr die erste Prognose über die Bildschirme läuft. Doch selbst für Galgenhumor hat die einstige Dauerregierungspartei an diesem Abend keinen Sinn mehr. Nur noch gut 27 Prozent, rund fünf Prozentpunkte hinter den Grünen – damit haben sich die schlimmsten Befürchtungen  erfüllt. Unvorstellbar schien ein solcher Wert noch vor wenigen Monaten, und entsprechend sprachlos sind die ersten erschienenen CDU-Funktionäre. Der Landesgeneralsekretärin Katrin Schütz bleibt es vorbehalten, die Zahlen einigermaßen konsterniert zu kommentieren: Sie seien natürlich „alles andere als erfreulich“, sagt Schütz tapfer. Was sie für die Partei bedeuteten, wie und mit wem es weitergehe – das müsse man nun in Ruhe analysieren.

 

Ruhe wird der ehedem machtverwöhnten Partei nach dem historischen Absturz freilich nicht vergönnt sein. Das wird deutlich, als der Spitzenkandidat Guido Wolf wenig später erst vor die Parteifreunde und dann vor die Kameras tritt. Noch hat ihm niemand aus der CDU offen den Kampf angesagt, doch in vielen Gesprächen wird ihm ein Großteil der Schuld für das Desaster gegeben: ein schwacher Frontmann sei er gewesen, schwere Fehler habe er gemacht, vor allem durch seinen unklaren Kurs in der Flüchtlingskrise. Der 54-jährige Tuttlinger ist freilich nicht gewillt, sich beiseiteschieben zu lassen. Weniger zerknirscht, eher kämpferisch sind seine Auftritte an diesem Abend. „Natürlich kann uns dieses Ergebnis nicht zufriedenstellen“, sagt er schon fast geschäftsmäßig; aber man habe ja auch den vielleicht schwierigsten Wahlkampf in der Geschichte der Landes-CDU hinter sich. Dann geht er schon wieder zum Angriff über. „Grün-Rot ist abgewählt“, verkündet Wolf, nun müsse eben eine andere Mehrheit geschmiedet werden; dabei könne es um „Konstellationen ganz neuer Art“ gehen. Welche, lässt er zunächst offen. Davon, dass er    noch vor Kurzem Grün-Schwarz ausgeschlossen hat, ist keine Rede mehr.

Planspielen einen Riegel vorschieben

Doch eben das scheint manchen CDU-Strategen die weitaus wahrscheinlichere Variante als ein wackeliges Dreierbündnis mit SPD und FDP. Statt Wolf müsse dann eben Thomas Strobl den Posten des Vizeministerpräsidenten übernehmen, meinen sie. Solchen Planspielen – wiewohl noch nicht offen ausgesprochen – versucht der Spitzenkandidat umgehend einen Riegel vorzuschieben: Für die Partei habe er den „steinigen Weg“ auf sich genommen, nun werde er ihn auch weitergehen.

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Mehrfach erinnert Wolf daran, dass er ja in einem Mitgliedervotum gekürt worden sei. Eine „stärkere Legitimation“ könne es kaum geben. Das stimmt einerseits, andererseits ließe sich fragen, ob Wolf denn die Erwartungen der Basis erfüllt habe. Nun müsse „jeder an seinem Platz“ die Verantwortung übernehmen, fordert er jedenfalls – soll heißen: der Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Thomas Strobl in Berlin, er selbst in Stuttgart. Einer von beiden, lautet ein oft zu hörender Tipp in den Reihen der CDU, werde am Ende wohl Innenminister und Vizepremier in einer grün-schwarzen Koalition. Nur wer?

Betroffen vom Absturz der CDU

Strobl gibt etwaige Ambitionen an diesem Abend nicht offen zu erkennen. Auch er zeigt sich betroffen vom Absturz der CDU, auch er feiert das Aus für Grün-Rot. Nun gehe es darum, eine „Politik ohne Ideologie“ durchzusetzen – etwa im Bildungs- oder Verkehrsbereich. Eine „Deutschland-Ampel“ mit SPD und FDP nennt er „absolut vorstellbar“, die CDU sei schließlich „angetreten, den Ministerpräsidenten zu stellen“. Ob das wirklich dem Wählerwillen entsprechen würde? Diese Frage kontert der Parteichef mit einem Verweis auf 2011: Damals sei die CDU mit 39 Prozent die bei Weitem stärkste Partei geworden, aber dann doch in der Opposition gelandet. Seine Botschaft: so wie es damals Stefan Mappus erging, könnte es nun auch Winfried Kretschmann ergehen. Aber dafür müsste erst einmal ein Bündnis gegen die Grünen gelingen.

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Strobl oder Wolf, wer setzt sich durch? Das sei die spannendste Frage in dieser Woche, analysierten CDU-Strategen. Nach dem Basisvotum hatten der Landesvorsitzende und der Fraktionschef zwar lange harmonisch zusammengearbeitet, zumindest nach außen. Doch in den letzten Wochen des Wahlkampfs waren zunehmend Risse zwischen ihnen erkennbar geworden. Besonders erbost soll Strobl über den Alleingang Wolfs in der Flüchtlingspolitik gewesen sein. Die Differenzen gipfelten in seiner – angeblich versehentlichen – Weigerung, dem Spitzenkandidaten einen Platz in der Kommission zu garantieren, die über Koalitionen verhandelt. Natürlich sei Wolf da dabei, korrigierte er sich flott.

Desaströses Ergebnis

Schon an diesem Montag, am Abend im Präsidium und im Landesvorstand, wird ein erstes Kräftemessen zwischen Strobl und Wolf erwartet. Dort dürfte es auch darum gehen, welchen Anteil der Spitzenkandidat an dem desaströsen Ergebnis hat – und welchen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Eher liberale Landesvorständler sahen die weitaus größere Verantwortung bei Wolf; „80 zu 20 Prozent“, meinte einer sogar. Letztlich müssten es „die beiden unter sich ausmachen“, wer künftig der starke Mann in der enorm geschwächten Landes-CDU sein werde.

Guido Wolf scheint ans Zurückstecken nicht zu denken. An diesem Dienstag, kündigte er an, werde er sich, wie vor der Wahl geplant, als Fraktionschef zur Wiederwahl stellen – in einer um rund ein Drittel geschrumpften Abgeordneten-Truppe. Wichtig, betonte Wolf, sei ihm auch das Vertrauen der neuen Kollegen.

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