Am Donnerstag diskutiert der Bundestag über die Sterbehilfe. Kann der Gesetzgeber die Grenzsituation zwischen Leben und Tod verbindlich regeln? Ein Überblick über die Situation – auch im Ausland.

Berlin - Beschlüsse werden nicht fallen, wenn der Bundestag am Donnerstag das Thema Sterbehilfe berät. Vielmehr geht es um eine „Orientierungsdebatte“, auf die eventuell im nächsten Jahr eine Entscheidung folgt. Wie diese aussehen könnte, ist offen. Fest steht nur, worum es nicht geht. Niemand im Parlament will aktive Sterbehilfe legalisieren – also das in Holland oder Belgien erlaubte Verfahren, bei dem ein Arzt selbst den Tod eines Kranken herbeiführt. Im Bundestag geht es nur um den sogenannten ärztlich assistierten Suizid.

 

Dafür hat ein Kreis von Abgeordneten um Carola Reimann (SPD), Karl Lauterbach (SPD) und Peter Hinze (CDU) einen Vorschlag unterbreitet. Bei einer „irreversibel zum Tode führenden Erkrankung und einer daraus resultierenden extremen Leidenssituation des Patienten“ soll es Ärzten erlaubt sein, Beihilfe zur Selbsttötung des Kranken zu geben. Dies setzt voraus, dass der Kranke volljährig und einsichtsfähig ist, über palliativmedizinische Angebote informiert ist und seine Diagnose von einem zweiten Arzt bestätigt wurde. Für psychische Krankheiten soll der Vorschlag nicht gelten. Die Grünen-Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe sehen darin eine „Institutionalisierung der Sterbehilfe“, was sie ablehnen. Die Suizidhilfe soll straflos sein, wenn sie von Angehörigen oder von Ärzten geleistet wird, die die Beihilfe nicht regelmäßig in organisierter Form erbringen.

Die SPD setzt sich für Suizidbeihilfe ein

Ähnlich argumentiert der CDU-Abgeordnete Michael Brand: „Ärzte, die im Einzelfall einem Patienten ein Medikament zum Suizid zur Verfügung stellen, geraten nicht in die Gefahr der Strafverfolgung, wenn sie es nicht zum regelmäßigen Gegenstand ihres ,Behandlungsangebots’ machen“, heißt es in Brands Papier. Vermutlich wird sich ein Großteil der CDU/CSU-Fraktion hinter Brands Position versammeln.

Die SPD-Abgeordneten Eva Högl und Kerstin Griese lehnen ein Verbot ärztlicher Suizidbeihilfe ab. Die Beihilfe dürfe aber kein Rechtsanspruch und nicht zum Normalfall werden. Sie fordern die Ärzte auf, in ihrem Standesrecht zu regeln, was mit Blick auf die Suizidbeihilfe gelten soll. Der Kreis um Reimann hingegen will dies im Bürgerlichen Gesetzbuch regeln.

Die CSU lehnt ärztliche Beihilfe ab

Der CSU-Vorstand hat ein Papier beschlossen, in dem es heißt: „Die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung lehnen wir ab.“ Die CSU meint aber auch, dass eine Regelung nicht alle „Fallkonstellationen einzelscharf abbilden kann“. Der Arzt müsse in seiner ethischen Verantwortung ausreichend Entscheidungsspielräume bekommen.

Alles im Leben hat seinen Preis. Eine Freitodbegleitung der Schweizer Organisation Exit etwa kostet für Nicht-Mitglieder 900 bis 3500 Franken. Mitglieder, die drei Jahre oder länger dabei sind, werden gratis begleitet. Eine Jahresmitgliedschaft in der größten Schweizer Sterbehilfeorganisation schlägt mit 45 Franken (etwa 37 Euro) zu Buche. Wer sein Ableben im Voraus planen kann, spart ein paar Hundert Euro.

2012 feierte der Verein sein 30-jähriges Bestehen, er richtete dazu einen Kongress der Sterbehelfer aus. Organisationen aus aller Welt kamen in die Schweiz, das Land, das als eines der liberalsten in Sachen Sterbehilfe gilt. Einem anderen beim Suizid zu helfen ist nur dann verboten, wenn es aus selbstsüchtigen Motiven geschieht.

Exit hat nach eigenen Angaben mehr als 60 000 Mitglieder – also auch viele, die den Verein aus Überzeugung unterstützen und keinerlei Suizidabsichten haben. 459 Menschen begleitete Exit 2013 in den Tod. Nicht alle sind todkrank: Etwa 20 Prozent der begleiteten Menschen litt an Gebrechen, die ihr Leben erschweren, aber nicht beenden. Das kann zum Beispiel eine rheumatische Erkrankung mit starken Schmerzen sein.

In der Schweiz wird die Suizidbeihilfe toleriert: Umfragen zufolge ist sie für zwei Drittel der Bürger in Ordnung. Kritik kommt aus dem Ausland, wo viel striktere Regeln gelten. Hier wird der „Sterbetourismus“ sehr kritisch gesehen und das „Geschäft mit dem Tod“, das viele Deutsche, Franzosen und Engländer in die Schweiz zieht, abgelehnt.

Belgien – extrem liberal

Von den gläubigen Belgiern sind die meisten Katholiken, weshalb es immer wieder überraschend anmutet, dass in dem Elf-Millionen-Einwohner-Land ein extrem liberales Sterbehilfegesetz gilt. Wer jedoch weiß, dass sich eine Mehrheit von Flamen und Wallonen als Agnostiker oder Atheisten bezeichnet und der Staat auch nicht-religiöse Weltanschauungsgemeinschaften finanziell unterstützt, ist weniger verblüfft darüber, dass es gerade Belgien ist, in dem immer wieder Tabus in diesem ethisch sensiblen Bereich fallen.

Seit 2002 erlaubt ein Gesetz das Töten auf Verlangen unter bestimmten Voraussetzungen. So muss der „Antragsteller“ im Moment, da er den Todeswunsch äußert, zurechnungsfähig sein und diesen freiwillig, überlegt und ohne äußeren Druck formuliert haben. Zudem muss sich der Patient in einer medizinisch ausweglosen Situation befinden, deren Leid nach Einschätzung von Ärzten nicht mehr gelindert werden kann. Wurde die erlaubte aktive Sterbehilfe 2002 noch 24 Mal in Anspruch genommen, so waren es 2011 bereits 1133 Fälle.

Unter großem Protest ist der Wirkungskreis des Gesetzes zu Jahresbeginn ausgeweitet worden – auf Kinder. So kam im Parlament eine Mehrheit dafür zustande, die Altersbegrenzung von 18 Jahren zu streichen. Damit geht Belgien weiter als die Nachbarn in den Niederlanden, wo die Grenze bei zwölf Jahren liegt. Schlagzeilen machte vor kurzem eine Gerichtsentscheidung, die erstmals ein psychisches Leiden als Grund für die Sterbehilfe akzeptierte. Für den Mann, der seit 30 Jahren wegen Mord und Vergewaltigung im Gefängnis sitzt, hatte es einem Gutachten zufolge keine weiteren Therapiemöglichkeiten gegeben.

Großbritannien

Sterbehilfe ist in Großbritannien seit Jahren ein heißes Thema. In England, Wales und Nordirland ist sie bis heute ausdrücklich verboten. Ein 1961 erlassenes Suizid-Gesetz stellt Ermutigung zu oder direkte Assistenz bei einem Suizid-Versuch unter Strafe. Wer gegen das Gesetz verstößt, kann sich theoretisch 14 Jahre Gefängnis einhandeln. In Schottland gibt es zwar kein Suizid-Gesetz, aber Gesetze gegen vorsätzliche Tötung.

Allerdings liegt es im Ermessen britischer Gerichte zu entscheiden, ob Sterbehilfe aus Mitleid oder aus böser Absicht geleistet worden ist. Das hat in der Praxis dazu geführt, dass zum Beispiel nie jemand für die Begleitung eines Sterbenden in die Schweiz, zu Dignitas oder Exit, vor Gericht gestellt worden ist. Andererseits hat unter dem Gesetz von 1961 auch kein Angehöriger und kein Arzt je eine Garantie auf Straffreiheit, wenn sie einem Sterbewilligen „auf den Weg helfen“ wollen – schon gar nicht, wenn es im eigenen Land geschieht.

Kampagnen zur Lockerung dieser Bestimmungen gibt es seit langem. Einen neuen Reformvorstoß hat in diesem Sommer das britische Oberhaus unternommen. Die Vorlage will künftig Sterbehilfe erlauben, wo Menschen todkrank sind und eine Lebenserwartung von nicht mehr als sechs Monaten haben. Zwei Ärzte sollen in einem solchen Fall darüber befinden, ob es freier Wille dieser Kranken ist zu sterben. Kommen beide Ärzte zu dieser Überzeugung, sollen sie dem Betreffenden eine tödliche Dosis aushändigen dürfen. Der Patient selbst soll entscheiden, wann er diese Dosis einnimmt. Ob diese Vorlage vor den Neuwahlen im kommenden Mai verabschiedet wird, ist unklar.

Niederlande – mobile Kliniken

In den Niederlanden ist die aktive ärztliche Sterbehilfe seit dem 1. April 2002 möglich und gesetzlich geregelt. Holland war das erste Land der Welt, das ein „Euthanasie-Gesetz“, wie es hier heißt, im Parlament verabschiedet hat. Die Sterbehilfe unterliegt strengen Auflagen: ein Mensch muss unheilbar krank sein, unerträglich leiden und den Todeswunsch bei vollem Bewusstsein ausgesprochen haben. Außerdem muss, bevor ein Arzt aktive Sterbehilfe leisten kann, die Zweitmeinung eines anderen Arztes eingeholt werden. Sterbehilfe muss zudem der Ärztekammer gemeldet werden.

Es gibt auch die Möglichkeit, über eine Patientenverfügung die Sterbehilfe festlegen zu lassen für den Fall, dass man dement werden sollte. Fest steht: immer mehr unheilbar kranke Niederländer wollen freiwillig aus dem Leben scheiden. Es gibt sogar eine aktive mobile Sterbehilfe-Klinik, die „Levenseindekliniek“. Die Ärzte dieser mobilen Klinik kommen zu den Menschen nach Hause. Im Ballungszentrum Randstad – das ist die Region Amsterdam, Den Haag, Rotterdam, Utrecht mit rund 10 Millionen Menschen – beträgt die Wartezeit für die Sterbehilfe der Klinik vier Monate. Obwohl die Zahl der Teams von fünf auf 17 erhöht wurde. Im ersten Jahresbericht der Klinik heißt es: 2013 wollten 714 Menschen aus dem Leben scheiden, weil sie unheilbar krank waren. Die Anfragen gehen jedoch in die Tausende.

USA – Hilfe zum Freitod

Brittany Maynard nahm sich das Leben – auch, damit andere Menschen das Recht bekommen sollten, den Zeitpunkt ihres Todes selbst festlegen zu dürfen. In Videobotschaften sagte sie zuvor, allen Menschen in den USA müsse es erlaubt sein, selbst zu entscheiden, wann das Leben zu Ende gehen solle. Das verstand die 29-Jährige, die an einem unheilbaren Gehirntumor litt, unter Sterben in Würde. Seit sie am 1. November die Pillen nahm, die ihr ein Arzt verschrieben hatte, und ihr Leben beendete, kocht die Debatte um den ärztlich begleiteten Freitod in den USA hoch.

Noch ist der ärztlich begleitete Freitod nur in drei Bundesstaaten möglich. In Oregon gilt das „Death with Dignity“-Gesetz seit 1998. Darin ist festgeschrieben, dass Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, an einer unheilbaren Krankheit leiden müssen und innerhalb von sechs Monaten höchstwahrscheinlich sterben. Ähnliche Vorschriften gibt es im Staat Washington seit 2009 und in Vermont seit 2013. In New Mexiko und in Montana gibt es keine Gesetze zur Sterbehilfe. Jedoch sind dort Ärzte vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt, wenn sie Hilfe zum Freitod leisten. In acht Bundesstaaten (New Hampshire, Connecticut, Hawaii, Kansas, Massachusetts, New Jersey, Pennsylvania und Colorado) haben Sterbehilfe-Befürworter Anträge auf gesetzliche Regelungen eingereicht. Auch in Kalifornien soll ein Anlauf unternommen werden. Das ist Brittany Maynards Heimatstaat. Sie musste zum Sterben nach Oregon umziehen.

Frankreich – Streit der Richter

Die gesetzliche Regelung der Sterbehilfe greift zu kurz, es muss nachgebessert werden. Darüber zumindest herrscht Einigkeit in Frankreich. Der Rest ist Ratlosigkeit. Das als unzulänglich empfundene Gesetz stammt aus dem Jahr 2005. Es trägt den Namen des Abgeordneten, der es auf den Weg gebracht hat, Jean Leonetti, und erlaubt innerhalb enger Grenzen die passive Sterbehilfe, also den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen. Voraussetzung ist, dass der Patient oder, falls sein Wille nicht zu ermitteln ist, die Angehörigen und ein Ärztegremium den Abbruch der Behandlung wünschen. Dazuhin müssen die lebensverlängernden Maßnahmen „unangemessen und unnütz“ erscheinen.

Was aber heißt unangemessen und unnütz? Die Gerichte sind uneins, die Experten auch. Fast jedes Sterbehilfe-Urteil wird angefochten und an die nächsthöheren Instanzen weitergereicht. Anstatt Rechtsfrieden zu stiften, hat das Leonetti-Gesetz neue Verunsicherung geschaffen. Sie ist umso größer, als die Gesellschaft dem Gesetzgeber weit vorausgeeilt ist. Während das Gesetz nur passive Sterbehilfe gestattet, befürworten laut Umfragen neun von zehn Franzosen eine aktive Sterbehilfe: Ärztliche Hilfe für schwer und unheilbar Erkrankte, die ihr Leben beenden wollen. Aktive Sterbehilfe aber ist in Frankreich strafrechtlich verboten. Ein Arzt, der Beihilfe zur Selbsttötung leistet, muss mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen.

Eine Zeit lang schien es so, als wollte Frankreichs Staatschef François Hollande zur Reform schreiten. Im Wahlkampf 2012 versprach er, aktive Sterbehilfe unter engen Voraussetzungen (unheilbare Krankheit, schweres Leiden des Patienten) zuzulassen. Nach Massenprotesten gegen die Homo-Ehe verspürt Hollande wenig Neigung, eine weitere gesellschaftspolitische Front zu eröffnen. Jedenfalls hat er das heikle Thema einer „Kommission über das Ende des Lebens“ überantwortet. An diesem Mittwoch wird Jean-Luc Romero vor der Kommission aussagen. Der Vorsitzende des „Vereins für das Recht in Würde zu sterben“ hat angekündigt, er werde „im Namen von 57 907 Vereinsmitgliedern und 96 Prozent der Franzosen“ dafür plädieren, dass Beihilfe zur Selbsttötung nicht mehr bestraft wird. Die Kommission und der Gesetzgeber zeigen wenig Neigung, sich diesem Votum anzuschließen.