Aufruhr im Bundestag: gegen die geplante Einschränkung des Rederechts für Abweichler regt sich massiver Widerstand.

Berlin - Abgeordnete, die in einer Sachfrage nicht die Haltung ihrer Fraktion teilen, sollen im Bundestag weniger Redezeit erhalten. Dieser Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses stößt allerdings bei Grünen, Linkspartei und einzelnen FDP-Abgeordneten auf scharfe Kritik. Am 26. April will das Parlament die Frage des Rederechts von Abweichlern beraten.

 

Es war am 22. September des vergangenen Jahres. An diesem Tag entschied der Bundestag über den Europäischen Rettungsschirm. Damals erteilte Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) auch zwei Abgeordneten das Rederecht, die von ihren Fraktionen nicht als Redner benannt worden waren, weil sie in Sachen Euro eine andere Meinung vertraten als ihre Parteifreunde. Für jeweils fünf Minuten konnten so Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU) im Plenarsaal und vor aller Öffentlichkeit darlegen, warum sie anders abstimmten als die ganz überwiegende Mehrheit ihrer Fraktionen.

Lammert löste bei den Fraktionsführungen von Union und FDP Ärger aus, obwohl sein Tun von der Geschäftsordnung gedeckt war. Zu dem Unmut trug ein Vorgang bei, der mit den Abweichlern nichts zu tun hat, den Ablauf der Debatte aber verzögerte. Viele Abgeordnete der Linkspartei begründeten ihr Votum nicht mit einer schriftlich zu Protokoll gegebenen Erklärung, sondern mit kurzen Reden.

Damit könnte bald Schluss sein. Jedenfalls sieht ein Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses vor, dass Abweichler nur noch für drei Minuten ans Rednerpult treten dürfen – und das auch nur, wenn der Sitzungsleiter (das ist entweder der Bundestagspräsident oder einer der fünf Vizepräsidenten) dies im „Benehmen mit den Fraktionen“ tut. Die Möglichkeit der Abgeordneten, in kurzen Reden ihr Votum zu begründen, soll ganz entfallen.

Es hagelt heftige Kritik

Kaum war dieser Vorstoß am Samstag bekannt geworden, hagelte es Kritik, und zwar nicht von Willsch und Schäffler, sondern auch in einschlägigen Internetforen beklagten viele Bürger einen undemokratischen Akt, der allein dem Machtstreben von Fraktionsführungen geschuldet sei. Während die Linke von einem inakzeptablen Maulkorb spricht, erklärt der Grüne Volker Beck, dass das Konzept nicht entscheidungsreif sei. Für ihn kommt nicht infrage, dass Parlamentarier die Chance verlieren, ein Votum mündlich zu begründen.

Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach hält das Vorhaben sogar für verfassungswidrig. Skeptisch zeigte sich auch Ex-Finanzminister Peer Steinbrück. Vor dem Hintergrund des Zuspruchs für die Piratenpartei, die auf mehr Teilhabe der Bürger am politischen Prozess setzt, dürfe man nicht den „Zipfel des Verdachts“ liefern, dass abweichende Meinungen weniger Rederecht im Bundestag bekämen. Eine übertriebene Aufregung sieht hingegen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Werk. Niemandem solle das Rederecht genommen werden. Wenn der Präsident das „Benehmen“ mit den Fraktionen herstellen müsse, bevor er Abweichler ans Rednerpult treten lasse, folge daraus kein Veto der Fraktionsführungen. Diese sollten vielmehr nur unterrichtet werden.