Forderungen der Immobilienwirtschaft nach immer neuen Wohnquartieren in der Landeshauptstadt stoßen im Gemeinderat weitgehend auf Ablehnung. Die CDU fordert, die Grenzen des Wachstums der Stadt zu definieren.

Stuttgart - Es ist mittlerweile bekannt, dass es in Stuttgart, aber auch in München, Hamburg oder Frankfurt an bezahlbarem Wohnraum fehlt. Der Zustrom der Flüchtlinge verschärft die Situation, die Immobilienlobby und die Wohnungswirtschaft drängen die Politik, neue Baugebiete auszuweisen, und berufen sich dabei gern auf Studien – etwa des Pestel-Instituts – die sie erstens selbst in Auftrag gegeben haben und deren Datengrundlage zweitens von kommunalen Vertretern immer wieder in Zweifel gezogen wird. Gemeinsamer Tenor aller Expertisen: die Städte müssten mehr bebaubare Flächen ausweisen. Doch mitunter scheitern Bauvorhaben schlicht am Widerstand jener Bürger, die schon eine Wohnung haben oder aus Angst vor sozialen Verwerfungen gegen eine Nachverdichtung opponieren. Derweil wird im Rathaus der Ruf nach einer Diskussion über die Grenzen des Wachstums laut – seitens der CDU.

 

In der Landeshauptstadt ist das Thema Flächenverbrauch seit Jahrzehnten sensibel. Die topografische Lage der Stadt im Kessel macht das Freihalten von Frischluftschneisen notwendig. Nachdem die Grünen bei der Kommunalwahl 2009 zur stärksten Fraktion im Rathaus avanciert waren, wurden auf ihre Initiative hin diverse Baugebiete auf der grünen Wiese aus der sogenannten Zeitstufenliste Wohnen gestrichen, seinerzeit gegen den erbitterten Widerstand von CDU, Freien Wählern und FDP. Die aktuelle Fortschreibung der Liste weist perspektivisch aber immer noch 174 Areale mit einer Fläche von 247 Hektar aus, das entspricht einem längerfristigen Potenzial von 21 415 Wohneinheiten, bis 2020 wäre der Bau von mehr als 9000 Wohnungen realisierbar. Das Problem: die Genehmigungsverfahren nach den Buchstaben des Baugesetzbuchs sind häufig kompliziert und langwierig – kommen Bürgerbeteiligung und politische Auseinandersetzungen hinzu wie etwa beim geplanten Quartier Neckarpark, zieht sich die Sache hin.

Bürger im Fasanenhof potestieren gegen Nachverdichtung

Nicht mehr enthalten in der Zeitstufenliste ist die geplante Nachverdichtung am Ehrlichweg im Fasanenhof. Dabei waren die Voraussetzungen durchaus stimmig: Gleich mehrere Wohnungsbaugenossenschaften wollten dort auf ihnen bereits gehörenden Grünflächen insgesamt rund 100 Wohneinheiten an verschiedenen Stellen errichten, eine Bürgerbeteiligung war bereits anberaumt, wurde dann aber kurzfristig wieder abgesagt. Über die Gründe dafür gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ein Zusammenhang mit der nahezu zeitgleichen Entscheidung der Stadt, am Ehrlichweg ein Flüchtlingswohnheim für mehr als 300 Asylsuchende zu errichten, ist jedenfalls nicht auszuschließen – in der aufgeladenen Stimmung zu diskutieren erschien der Stadt offenbar nicht opportun. Fakt ist aber auch: die Nachverdichtung im Fasanenhof wird von den Anwohnern schon seit Langem größtenteils abgelehnt. Der dortige Bürgerverein hatte 450 Unterschriften gegen das Neubauvorhaben gesammelt, weil Zweifel am „offenen Ausgang“ der Bürgerbeteiligung bestanden hätten, heißt es in einem Schreiben an den Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne). Sprich: eine generelle Ablehnung des Vorhabens habe seitens der Stadt nicht zur Debatte gestanden. Aber auch die örtliche CDU sieht die Lebenqualität im Fasanenhof durch die Nachverdichtung „gefährdet“ und verweist auf bereits realisierte Wohnungsbauprojekte wie den Europaplatz. In einem Brief an OB Fritz Kuhn (Grüne) schrieb der Chef der Möhringer Christdemokraten, Matthias Scheible, die Verwaltung dürfe die von den Grünen postulierte Politik des Gehörtwerdens nicht konterkarieren.

Zwar ist die Unionsfraktion im Gemeinderat in dieser Frage an der Seite der CDU-Ortsgruppe. „Die Qualität des Umfelds darf nicht durch die Nachverdichtung leiden“, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Phillip Hill. Andererseits weist er aber auch die Forderungen der Immobilienwirtschaft nach Ausweisung neuer Baugebiete am Stadtrand in ihrer Pauschalität zurück: „Wir haben im Moment einen Überhang von circa 5000 Wohneinheiten in der Stadt, die unumstritten, genehmigt, aber aus unterschiedlichen Gründen noch nicht auf Baustelle sind.“

Hill spricht sich zudem nachdrücklich dafür aus, über die Grenzen des Wachstums einer Großstadt eine offene Debatte zu beginnen: „Wir müssen erst definieren, wie viele Einwohner Stuttgart verträgt, und dann daraus die richtigen Konsequenzen ziehen.“ Wohnungen auf Vorrat zu errichten, weil die Landeshauptstadt als Standort so attraktiv für viele Menschen sei, lehne die CDU ab. Hill: „Wir können nicht jeden Bedarf befriedigen.“ Zwischen ihn und seinen Fraktionschef Alexander Kotz passe in dieser Frage kein Blatt Papier, behauptet Hill.

Die SPD-Fraktion freut sich dagegen über die Unterstützung aus der Immobilienwirtschaft – gehen die Forderungen doch mit sozialdemokratischen Anträgen und den Forderungen des Stuttgarter Mietervereins konform: „Mitte September haben wir die Stadt aufgefordert, sich beim bezahlbaren Wohnungsneubau ehrgeizigere Ziele zu setzen“, so Fraktionschef Martin Körner in einer Reaktion auf das Ansinnen von Marc Bosch, Vorsitzender der Immobilienwirtschaft Stuttgart (IWS), nach 8000 neuen Wohnungen pro Jahr.

Im kommenden Doppeletat will die SPD die Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau verdoppeln. Körner wirft CDU und Grünen vor, etwa durch den Lärmschutz für die Wagenhallen oder im Schafhaus Wohnungsbau zu blockieren. Der neue Baubürgermeister Pätzold wiederum begreift das Thema bezahlbarer Wohnraum auch als regionale Aufgabenstellung: „Das ist nicht nur ein Stuttgarter Problem.“ Die Zeitstufenliste Wohnen zeige, dass in der Landeshauptstadt ausreichend Potenzial vorhanden sei, ohne dass Kaltluftentstehungsgebiete zugebaut werden müssten.

Baubürgermeister sieht auch die Region in der Pflicht

Das sieht auch BUND-Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer so: Der Ruf nach Trabantenstädten auf der grünen Wiese sei wenig hilfreich, solange die vorhandenen Potenziale nicht ausgeschöpft seien. Auch Pfeifer plädiert für mehr regionale Zusammenarbeit. Im Umfeld der Landeshauptstadt gebe es Gemeinden, in deren Zentren ganze Häuser leer stünden. Und mit ein bisschen Fantasie könne man auch in Stuttgart Wohnraum generieren: Der Umweltschützer verweist auf Modelle in anderen Städten, wo etwa auf den ungenutzten Obergeschossen von Parkhäusern Interimswohnungen entstanden seien.