Wie wirken sich Krippe und Kita auf die Kinder aus? Lange standen die späteren schulischen Leistungen im Fokus - nun die Gesundheit.

Bremen - Eine in Berlin lebende französische Journalistin geißelte kürzlich die Gepflogenheiten ihres Heimatlandes, wo man Babys die abgepumpte Muttermilch in die crèche reiche und Kinder selbst bei 39 Grad Fieber in der Krippe abgebe. Wenn es ums Stillen gehe, zähle Frankreich zu den europäischen Schlusslichtern, beim Antibiotikaverbrauch sei es dagegen Spitzenreiter, wetterte Geneviève Hesse. "Als Baby möchte ich nicht in Frankreich geboren werden, verzeihe es mir, Maman", ließ sie ihre Leser in der Zeitschrift "Emotion" wissen.

 

Und in Großbritannien sorgte der Psychologe und Biologe Aric Sigman mit seinem Artikel "Mother superior?" für hitzige Diskussionen. Sigman trug im Fachblatt "Biologist" Dutzende Studien zusammen, die die Folgen frühkindlicher Stressbelastung aufzeigen. Zugleich kritisierte er, dass Forscher, die ihre Bedenken gegen institutionelle Fremdbetreuung öffentlich äußern, "attackiert" würden. Diese sei aber ein "evolutionäres Novum", das gerade deshalb sehr gründlich beobachtet werden müsse.

Schaden oder Nutzen für das Kind?

Auch wenn hierzulande oft der Eindruck erweckt wird, als seien Krippen in den Nachbarländern längst etabliert und viele Fragen dort schon geklärt, ist bisher offen, ob der Besuch einer Krippe dem Kind nützt oder schadet.

Der Medizinkolumnist der britischen Zeitung "Guardian", Ben Goldacre, warf Sigman "Rosinenpickerei" vor: Die Auswahl seiner Studien sei einseitig. Sigmans Rechtfertigung im selben Blatt: Er habe sich bewusst auf diese Studien konzentriert, weil sie in der Öffentlichkeit bislang wenig bekannt waren. Es würden Studien die öffentliche Debatte bestimmen, die sich auf das Sozialverhalten und die schulischen Leistungen konzentrieren, moniert Sigman. Biologische Studien würden hingegen vernachlässigt.

Studien müssen kritisch betrachtet werden

Die Ansicht vertritt auch Rainer Böhm. Vor einigen Wochen publizierte der Bielefelder Sozialpädiater einen Artikel im Fachmagazin "Kinderärztliche Praxis", der sich mit den Auswirkungen frühkindlicher Gruppenbetreuung auf die Entwicklung und Gesundheit der Kinder befasste. Außerdem organisierte er auf der diesjährigen Jahrestagung der Kinderärzte in Bielefeld ein Symposium (die StZ berichtete). Mit welchen Tücken ein Experte rechnen muss, der die Kehrseiten der Krippenbetreuung überhaupt nur erwähnt, führte Böhm dort anschaulich vor. So hätte die Redaktion der "Kinderärztlichen Praxis" zwei Sätze aus seinem Artikel gestrichen, die Böhm aber für so wichtig hielt, dass er sie in Bielefeld an die Wand beamte: "Betreuungsstudien, die von wirtschaftsnahen und politischen Einrichtungen (wie Bertelsmann-Stiftung, Wirtschafts-Instituten, Ministerien) durchgeführt oder in Auftrag gegeben werden, müssen besonders kritisch betrachtet werden, vergleichbar mit Pharmaindustrie-gesponserten Studien in der Medizin." Und weiter: "Die derzeitigen Planungen zum Krippenausbau sind vor allem von ökonomischen Aspekten bestimmt und ignorieren weitgehend gesundheitliche Aspekte."

Fakt ist: die gesundheitlichen Aspekten stehen erst im Fokus, seit sich Forscher dem Stresshormon Cortisol zuwenden. Untersuchungen haben belegt, dass Krippenkinder unter zwei Jahren ungünstige Cortisol-Tagesprofile entwickeln. In einem gesunden Körper findet man die stärkste Cortisol-Konzentration morgens zwischen 7 und 8 Uhr. Im Laufe des Tages fällt der natürliche Cortisolspiegel kontinuierlich ab. Abweichungen von diesem Tagesverlauf deuten auf Stress hin.

Eltern-Kind-Kontakt hat sich stark verringert

Auf das Ergebnis der sogenannten Wiener Krippenstudie, deren Zwischenergebnisse ein Forscherteam um die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert bereits präsentiert hat, wird mit Spannung gewartet. Die Studie an 65 Kleinkindern, die bei Krippeneintritt zehn bis 36 Monate alt waren, läuft noch bis zum kommenden Frühjahr. Allerdings gilt bereits jetzt als gesichert, dass selbst qualitativ hochwertige Krippen die stressausgleichende Wirkung der häuslichen Umgebung für die Kleinen nicht ersetzen können. Mit fortschreitender Krippenbetreuung flachten die Tagesprofile der Probanden ab und spiegelten damit eine ungünstige Stressverarbeitung wider. Auch sicher an die Erzieherin gebundene Kinder blieben nicht verschont: Bei ihnen trat der Effekt nur zwei Monate später ein.

Die Cortisol-Veränderungen sind für Forscher ein Alarmsignal, weil damit eine dauerhafte Veränderung der sogenannten HPA-Achse, eines neuronalen Schaltkreises, verbunden ist, was wiederum ein hohes Risiko für die psychische Entwicklung nach sich zieht. In der Zeitung "Göteborgs Posten" wies die Neurobiologin Anna Dahlström darauf hin, dass die erste schwedische Generation, die viel Zeit mit Krippen- und Tagesstättenpersonal verbracht habe, heute eine vielfach erhöhte Depressionsrate aufweise. Der Eltern-Kind-Kontakt habe sich gegenüber den Jahren der Vor-Krippen-Zeit vor 1980 um 50 Prozent verringert.