Die Initiative glaubt, dass der Umbau in einen Stadtboulevard ohne Senkung des Verkehrsaufkommens gelingen kann. Die Stadt widerspricht. Der Protestmarsch auf der B 14 wird als „grandioser Erfolg“ gefeiert. Doch von CDU und Linken gibt es Kritik.

Stuttgart - Der Fernsehjournalist Wieland Backes bezeichnet die sonntägliche Protestaktion für eine autofreie Kulturmeile seiner überparteilichen Initiative Aufbruch Stuttgart als „grandiosen Erfolg“. Mit 1000 Teilnehmern habe er gerechnet, nun seien es doppelt so viele geworden. So viel Begeisterung und Zustimmung wie bei dieser Demonstration habe er selten erlebt. Erfreulich sei, dass sich OB Fritz Kuhn in seiner Rede festgelegt und die „Verwandlung der Kulturmeile in ein lebendiges Kulturquartier“ zugesagt habe. Die Planung wird in einem zweistufigen Ideen- und Realisierungswettbewerb gebündelt, und Backes wird „alles daransetzen, dass wir in den Prozess des Wettbewerbs einbezogen werden“. Für ihn steht außer Zweifel, wem der Fortschritt zu verdanken ist: „Noch vor einem halben Jahr galt das Thema als tot. Niemand kann ernsthaft bezweifeln, dass wir es waren, die ihm wieder Leben eingehaucht haben.“

 

Beifall und Pfiffe aus dem Rathaus

Die Initiative wird in der Verwaltung grundsätzlich mit Wohlwollen betrachtet, weil ihr die Stadtentwicklung am Herzen liege, gleichzeitig gibt es aber auch genervte Stimmen. Behauptungen wie die, ohne Backes & Co hätte es keinen Wettbewerb gegeben, und Aussagen wie „Schon wenige Wochen nach ihrer Gründung bringt die Initiative Aufbruch Stuttgart Bewegung ins Rathaus“ werden als überheblich ausgelegt. Backes’ Mantra, der Verein habe „ungewöhnliche Betriebsamkeit“ ausgelöst, wird mit dem Hinweis auf den Ratsbeschluss vom Dezember 2015 gekontert, Planungsmittel von 400 000 Euro für diverse Varianten der Kulturmeile bereitzustellen. Das Bündnis für Mobilität hat später weitere 260 000 Euro genehmigt, um den kompletten City-Ring neu zu planen.

Bisher war nur klar, was die Initiative will (einen Stadtboulevard), nicht aber, welche verkehrlichen Voraussetzungen für eine Umwandlung der Bundesstraße sie für nötig erachtet. Auf StZ-Anfrage erklärte Backes nun, dass nach Ansicht der Initiative zuerst bauliche Fakten geschaffen werden, also etwa Einfädelspuren aufgegeben werden müssten. Dann würde sich der Verkehr von alleine „einregeln“. Die Verwaltung geht jedoch davon aus, das Aufkommen um mindestens 20 Prozent reduzieren zu müssen. Dies sei nötig, weil begrünte Ränder allein noch keine Überquerung ermöglichten. Dafür bedürfe es Überwege, die aber den Verkehrsfluss behinderten.

Keine zwei Großbaustellen

Kuhn stellt klar, dass bis 2018 Klarheit darüber herrsche, wie der Stadtboulevard aussehen werde. Backes’ Optimismus, die Schneise sei „bald Vergangenheit“, teilt er nicht. Erst müsse die S-21-Baustelle beendet sein (vermutlich nicht vor 2023), bevor die nächste aufgemacht werde. Die neue Initiative beschränkt sich bislang auf die Entwicklung eines Kulturviertels. Neben der besseren Erreichbarkeit der an der B 14 befindlichen Einrichtungen fordert sie ein Konzerthaus und unterstützt die Sanierung der Oper. In diesem Zusammenhang hatte sich Backes für eine provisorische Spielstätte auf dem Eckensee ausgesprochen, unter der Voraussetzung, dass es auf eine Interimslösung für die Oper hinauslaufe und hinterher dieses Parkstück in altem Glanz erstrahle. Mittlerweile hält er es für nicht dienlich, wenn sich die Initiative in bauliche Details vertiefe. Es gehe ihr in erster Linie um Visionen. Bei der Aufbruch-Aktion protestierten S-21-Gegner gegen die Eckensee-Variante, die auch von der Rathausspitze abgelehnt wird.

Die Linken üben Kritik am Verein

Die Linken im Gemeinderat sind genervt von den Auftritten der Kulturviertel-Förderer. Für Stadtrat Tom Adler passt es ins Bild, „dass Herr Backes und Freunde den fürs Stadtklima und die meisten Stuttgarter völlig indiskutablen Interimsstandort Eckensee pushen“. Kritik übt er auch an den geschätzten Kosten für das Opernprojekt von 600 Millionen Euro: Die „ausufernden Wünsche zur Luxussanierung und Luxuserweiterung, die in Aufbruch-Kreisen unterstützt werden“, hält er für „aus der Zeit gefallen“. Die Modernisierung sei nötig, „aber bitte mit dem Blick auf das, was für ein besseres Leben für alle Stuttgarter gebraucht wird, statt nur die kleine Kulturelite zu bedienen“. Den Vorwurf Adlers, von einem „Aufbruch Stuttgart“ könne keine Rede sein, weil man sich nur mit einer Straße beschäftige, kontert Backes mit dem Hinweis, man fange doch gerade erst an. Die Bebauung des Rosensteinviertels und die Stadt am Fluss bedürften auch der Begleitung des Vereins.

Kritik kommt nicht nur von links: Auch CDU-Fraktionschef Alexander Kotz hat seine Probleme mit dem Auftritt der Initiative. Im Vorfeld der Aktion äußerte er die Vermutung, das Happening sei nur deshalb als Demonstration angemeldet gewesen, um Kosten zu sparen. Wie Adler hat er am Sonntag keine „Bürgerbewegung“ wahrgenommen. Der Zuspruch sei doch eher gering gewesen – auch vor dem Hintergrund, dass die Museumsdirektoren Gratiseintritt angeboten hätten. Eine solche Vorzugsbehandlung wünsche er sich beim Kreishandwerkertag auch, sagt er. Es gibt dennoch Gemeinsamkeiten zwischen CDU und der Initiative. Auch Kotz ist gegen Fahrverbote, die das Verkehrsaufkommen eindämmen. Ein neues Konzerthaus gönnt er dem Verein aber nicht. Die stärkste Gemeinderatsfraktion befürwortet den Bau eines Kultur- und Kongresszentrums hinter dem Bahnhofsgebäude mit integrierter Philharmonie. Das neue Linden-Museum oder ein „Haus der Kulturen“ müsse, wenn überhaupt nötig, dann am anderen Ende des Rosensteinviertels Platz finden, so Kotz.

Bau und Betrieb einer Interimsoper auf dem Eckensee hält die CDU für verträglich, vor allem wenn eine weitere Großbaustelle hinzukommen sollte: Die Schlossgartenbau-AG „untersucht derzeit unterschiedliche Machbarkeiten“ für die Gebäude Königstraße 1 a bis c und das Hotel am Schlossgarten, erklärt Sprecherin Brigitte Reibenspies auf StZ-Anfrage. Es gebe noch keine Ergebnisse. Die Eigentümer waren schon vor Längerem bei der Stadt wegen des Abrisses und Neubauten vorstellig geworden.