Der Schriftsteller Henning Mankell und der Politiker Horst Köhler unterhalten sich in Tübingen über Afrika – und verfehlen ihr Thema.

Stuttgart - Wenn Menschen und Industrien über Kontinente wandern, prallen verschiedene Kulturen aufeinander. Und Globalisierung erscheint als Kolonialismus in anderer Form. Damit es zu einer Entwicklung kommt, die allen Beteiligten dient, muss man die Werte des Gegenübers respektieren und mit den eigenen Werten vermitteln.

 

Diesem Zukunftsthema gilt ein mehrtägiges Symposium an der Universität Tübingen mit Wissenschaftlern und Künstlern aus aller Welt. Jetzt haben auch der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler und der Romancier Henning Mankell vor großem Publikum miteinander diskutiert. "Welche Werte entscheiden?" hieß die Frage. Entschiedene Antworten gab es aber kaum. Vielmehr wurde deutlich, wie schnell Europa auch die eigenen Werte verletzt.

Köhler: "Das finde ich unfair"

Die entscheidende Szene ereignete sich gegen Ende. Köhler hatte begeistert von Begegnungen im äthiopischen Hochland erzählt, wo Karlheinz Böhms Aktion "Menschen für Menschen" unter anderem mit Mikrokrediten Frauen zu Einkommen und Anerkennung verhilft. Sogar Männer seien dann mit Familienplanung einverstanden. Und Frauen sind, wie Mankell ergänzte, in Afrika für Kindererziehung ebenso zuständig wie für Nahrungsbeschaffung. Sie zu stärken ist zentral.

Als schließlich Fragen zugelassen wurden, meldete sich ein Lehrer aus Äthiopien. Er bekräftigte die Forderung: "Ohne Beteiligung keine Entwicklung!" In Äthiopien aber säßen Menschenrechtsaktivisten in Dunkelhaft, ihre Konten seien gesperrt. Dann richtete der politische Flüchtling an Köhler die Frage, wieso die Bundesregierung dem Dialog mit Journalisten und Oppositionellen vor Ort ausweiche und seit Jahrzehnten, und jüngst erhöht, die Regierung finanziere. Warum prangere man Menschenrechtsverletzungen in Weißrussland an und schweige zu denen in Afrika?

"Das finde ich unfair", beklagte sich Köhler gereizt. Der Frager habe ihm nicht zugehört. Er habe nicht die Regierung besucht, sondern eine private Hilfsorganisation. Hier war der CDU-Politiker schon einmal deutlich weiter: Als noch frischer Bundespräsident hielt er 2004 in Tübingen eine Weltethos-Rede, die den Konflikt zwischen Entwicklungshilfe und Menschenrechtsverletzungen wenigstens benannte. Jetzt aber hieß es nur allgemein, man müsse die Zivilgesellschaft stärken. Auch der Moderator, der Juraprofessor Heinz Dieter Assmann, konnte Köhler zu keinen konkreten Äußerungen bewegen. Die Publikumsdiskussion war mit der ersten Frage zu Ende.

Europa straft die eigenen Werte Lügen

Konkret zu werden, fiel den beiden Afrikaliebhabern ohnehin schwer. Mankell, der seit 1985 einen Teil des Jahres in Mosambik lebt, erinnerte: der Mensch hat zwei Ohren, aber nur einen Mund. Statt als ein Kontinent von Klugschwätzern aufzutreten, müsse Europa lernen zuzuhören. Dann gelinge die Zusammenarbeit. Weiter hob Mankell das böse Erbe des Kolonialismus hervor, das man so gern über der "bad gouvernance" herunterspielt: Europa hat Strukturen zerschlagen, um Afrika auszubeuten, und es dadurch künstlich arm gemacht. Diese Strukturen wieder aufzubauen braucht viel Zeit. Und: "Demokratie kostet Geld." Europa vergesse den eigenen langen Weg zur Demokratie. Mankell rät zur Tugend der Geduld und predigt afrikanische Weisheit: "Nur dumme Menschen nehmen sich für Entscheidungen nicht genügend Zeit."

In "Schicksal Afrika", von Köhler herausgegeben, beklagt ein Autor die zivilisierenden Maßnahmen des Westens. Dadurch, dass man Afrika das westliche Wertesystem überstülpe, schaffe man mehr Chaos als Ordnung. Doch welche Werte sind das? Teilhabe, Freiheit, Sicherheit der Person, gemeinwohlorientierte Politik? Oder bloße Verfahrensregeln, etwa die Wahlhelfer, die Kanzlerin Merkel schicken will, wo Geld und die Aufnahme von Flüchtlingen - Stichwort Lampedusa - vonnöten wären? Die Werte scheinen nicht das Problem zu sein, sondern die Interessen. Europa straft die eigenen Werte Lügen.