Wie aufgeschlossen ist unsere Gesellschaft beim Thema Homosexualität? „Hitzlsperger fanden viele toll, und das spiegelt einen großen Teil der ­Gesellschaft wider. Aber genau deshalb wird der kleine konservative Teil so bissig“, sagt der Stuttgarter Pfarrer Axel Schwaigert .

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Wie aufgeschlossen ist unsere Gesellschaft? Momentan gibt sie ein höchst widersprüchliches Bild ab: In der einen Woche donnert die große Hurra-Parade durch die Medien, weil Fußballprofi Thomas Hitzlsperger den Mumm aufbringt, sich als schwul zu outen, in der nächsten erfährt die homophobe Online-Petition des Realschullehrers Gabriel Stängle enormen Zuspruch. Der Pädagoge wendet sich gegen die Pläne der Landesregierung, das Thema Homosexualität in den Lehrplan aufzunehmen und bedient in seiner Argumentation vertraute Vorurteile. Die Zahl der Unterzeichner hatte rasch die 100 000er Marke erreicht und lag am Freitagabend bei mehr als 150 000, was in Schwulenkreisen mit Bestürzung aufgenommen wurde.

 

Am Samstag konnte Teilentwarnung gegeben: Nachdem die Betreiber der Seite www.openpetition.de alle ungültigen, da massenhaft automatisierten, Unterschriften gelöscht hatte, waren es noch etwa 140 000 Unterzeichner für die Petition „Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“, davon rund 65 000 aus Baden-Württemberg.

„Hass wird geschürt“

„Mit der Petition wird gezielt Hass geschürt und die Angst verbreitet, dass Homosexualität auf die Schüler abfärbt, wenn sie damit im Unterricht konfrontiert werden. Da wird quasi der Untergang des Abendlandes angekündigt“, sagt Cristoph Michl vom Vorstand des IG Christopher-Street-Day Stuttgart. Das Ausmaß an Unwissen und Vorurteilen zeige doch bloß, wie dringend der neue Bildungsplan der Landesregierung gebraucht werde. Er verweist auf die Gegenpetition zu Stängle, die ebenfalls unter www.openpetition.de zu finden ist und es innerhalb weniger Tage auf fast 80 000 Unterschriften gebracht hat – knapp 32 000 davon wurden von Baden-Württembergern getätigt. Auch den Stuttgarter Pfarrer Axel Schwaigert beunruhigt die „Eigendynamik“ der Stängle-Petition. Schwaigert gehört der protestantischen Freikirche Metropolitan Community Church an, die 1968 in den USA von einem schwulen Priester gegründet wurde. „Mit der Petition wird politisch Stimmung gemacht – auch gegen die Landesregierung.“ Schwaigert sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Begeisterung für das Outing eines Fußballprofis und den Unterschriften im Netz: „Hitzlsperger fanden viele toll, und das spiegelt einen großen Teil der Gesellschaft wider. Aber genau deshalb wird der kleine konservative Teil so bissig. Die wollen zurück in die 50er Jahre, für die dreht sich die Welt zu schnell.“

Christoph Michl hat eine andere Erklärung parat für diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im derzeitigen Homo-Diskurs: „Hitzlsperger betrifft einen Heterosexuellen nicht persönlich. Da kann er großzügig zustimmen. Aber sobald es sein Umfeld angeht – den Kollegen, den Bruder oder das Kind in der Schule – ist es etwas ganz anderes. Da stehen wir in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung noch ganz am Anfang.“

Heftige Diskussionen

Mark Friedrich misst dem Fall Hitzlsperger eine weitaus größere Bedeutung bei. Der Vorsitzende des schwulen VfB-Fanclubs Stuttgarter Jungxx berichtet, dass unter den Fans heftig diskutiert wurde. „Gefühlte 90 Prozent waren Zustimmung. Das kann letztlich zu Nachahmungen führen, weil man sieht, Schwulsein wird akzeptiert. Ich glaube auch, dass Homosexualität in den Stadien weniger ein Problem ist. Die Kurve ist da viel weiter als die Vereine und Verbände. Die haben Angst, dass ihnen die Sponsoren abspringen. Die unternehmen nichts gegen Homophobie.“ Als sprechendes Beispiel nennt Friedrich, dass der Strafkatalog zwar „schwarze Sau“ als Schimpfwort listet, nicht aber „schwule Sau“.

Auch der Stuttgarter Thomas Ulmer, Bundesvorsitzender des Verbands für lesbische und schwule Polizeibedienstete, erhofft sich vom Fußballer-Outing wichtige gesellschaftliche Impulse: „Wichtig ist uns, dass es in der ganzen Debatte um die Vielfalt geht, nicht um Sexualität, die ist immer noch Privatsache“, betont Ulmer. „Wir wollen, dass die Leute ihren Kollegen sagen können, mit wem sie zusammen sind und in den Urlaub fahren.“