Der amerikanische Professor Paul von Blum hat am Wilhelms-Gymnasium Schülern von seinen ganz persönlichen Erfahrungen beim Black Civil Rights Movement berichtet.

Degerloch - Guten Morgen“, donnert es durch den Raum 404 des Degerlocher Wilhelms-Gymnasiums wie über einen Kasernenhof. „Morgen“, antworten die Schüler der Jahrgangsstufe eins nicht weniger schneidig und blicken aufgeweckt in Richtung Tafel. Vor der hat sich Professor Paul von Blum positioniert. „Später ich möchte viele Fragen – bitte, bitte“, sagt der Amerikaner in gebrochenem Deutsch, noch bevor er sich seinen Zuhörern vorstellt – in Englisch, seiner Muttersprache.

 

Paul von Blum wurde 1943 in Philadelphia geboren und war viele Jahre der einzige Professor mit weißer Hautfarbe, der in den USA African American Studies unterrichtete. Auf Einladung des Deutsch-Amerikanischen Zentrums (DAZ) ist der heute in Kalifornien Lebende als Zeitzeuge des US-amerikanischen Black Civil Rights Movements nach Stuttgart gekommen, um von seinen Erlebnissen und seinem bis heute andauernden Engagement für Menschenrechte zu berichten.

Als Sohn jüdischer Eltern – sein Vater war einst vor den Nazis aus Berlin in die USA geflohen und hat als Einziger seiner Familie das Dritte Reich überlebt – hat er es sich zur Aufgabe gemacht, gegen jede Form von Rassismus und Ungerechtigkeit zu kämpfen. Mehrfach ist er dafür im Gefängnis gelandet – „und ich bin stolz darauf“, sagt er mit lauter Stimme. Allein schon wegen der Lautstärke Paul von Blums kann am Ende keiner der Schüler sagen, er habe nicht gehört, was der selbst erklärte Kämpfer für Gerechtigkeit gesagt hat. „Ich weiß, ich bin lärmend“, sagt von Blum, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiert, mit einem Schmunzeln. „Ich will aber auch alles andere als leise sein“, betont er und gibt unmissverständlich zu verstehen: Jeder soll hören, was er zu sagen hat. Schließlich sei er davon überzeugt, dass ein nachhaltiger Wandel in der Gesellschaft möglich wäre, würde sich jeder Mensch für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit einsetzen. „Ich werde aber wohl nicht lang genug am Leben sein, um das noch zu erleben“, sagt er nachdenklich.

„Es flogen Steine, und es wurde auf uns geschossen“

Von Blum selbst ist einer der Teilnehmer am Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit am 28. August 1963 gewesen, bei dem Martin Luther King seine berühmte „I have a dream“-Rede gehalten hat. Schon sechs Jahre zuvor hatte von Blum in Levittown, Pennsylvania, als 14-Jähriger äußerst intensiv erlebt, wie Menschen mit dunkler Hautfarbe terrorisiert wurden. Von Blums Eltern hatten sich dafür eingesetzt, dass in der bis dahin nur von Weißen besiedelten Stadt auch Schwarze ein Zuhause finden. Der Zuzug des Ehepaars Daisy und William Myers führte aber zu massiven Protesten und Gewalt – gegen das Ehepaar Myers und von Blums Familie. „Es flogen Steine, und es wurde auf uns geschossen“, erinnert sich von Blum an die Erlebnisse, „die ich bis ans Lebensende nicht vergessen werde“. Die Myers seien als Nigger, er als Nigger-Lover beschimpft worden. Die Polizei habe das Treiben verfolgt, ohne einzugreifen. Erst als die State-Police eingriff, kehrte kurzfristig Ruhe ein. Paul von Blum berichtet auch davon, dass Mitglieder des Ku-Klux-Klans eines Nachts vor dem Haus seiner Eltern ein Kreuz in Brand setzten.

„Was ist aus den Myers geworden“, will ein Schüler wissen, nachdem von Blum berichtet hat, dass seine Eltern nach den Ereignissen nach Kalifornien gezogen waren. „Die Myers sind in Levittown geblieben, haben dem Terror standgehalten“, sagt von Blum und würdigt ihre Haltung. Nicht Martin Luther King und andere Prominente seien im Kampf gegen Rassismus die Helden gewesen, sondern jene Menschen, die täglich den Anfeindungen ausgesetzt gewesen seien.

Der Preis für die Gerechtigkeit

Die Frage, ob der Rassismus in den USA heute überwunden sei, verneint von Blum. Eine seiner Studentinnen mit dunkler Hautfarbe sei, als sie mit dem Auto durch Beverly Hills fuhr, von der Polizei gestoppt und vertrieben worden. Die Begründung der Beamten: Man dulde keine Prostituierten in Beverly Hills. „Zu glauben, es sei in den USA alles in Ordnung, weil wir einen schwarzen Präsidenten haben, ist falsch“, sagt von Blum. Auf die Frage, ob die USA einen neuen Martin Luther King brauchen, hat von Blum eine klare Antwort. „Köpfe in der Bewegung für Gleichberechtigung und Menschenrechte sind wichtig“, noch wichtiger sei aber das Handeln an der Basis.

Sein Handeln habe er zu keiner Zeit bereut, sagt von Blum, der gern „ein Troublemaker“ sei. Er stehe aus Überzeugung an der Seite von Schwächeren, trotz mancher Opfer. Der Preis, den man im Kampf für Gerechtigkeit zahle, sei manchmal hoch, sagt von Blum, dem einmal zwei Zähne ausgeschlagen worden sind. „Ich habe zwei Zähne verloren, andere ihr Leben“, sagt er und überlässt es den Schülern, zu bewerten, wer da den höheren Preis bezahlt hat.