Am Mittwoch war die Band Deichkind zu Gast in der Stuttgarter Schleyerhalle und haben ihre Fans in Ekstase versetzt.

Stuttgart - Irgendwo zwischen psychedelischem Maskenball und knallbunter Avantgarde-Karnevalsparty wähnte man sich beim Konzert der Hamburger Band Deichkind am Mittwochabend in der Schleyerhalle. War das überhaupt ein Konzert? Eher ein zunächst streng durchchoreografiertes, später ausgelassenes Musikspektakel: laut, grotesk, spaßig, abgefahren. Poptheater für 17- bis 47-Jährige. Und was ist das überhaupt für eine Musik: Techno-Hip-Hop, Elektro-Spaßpunk, Tech-Rap? Egal, Schubladendenken passt nicht zu Deichkind. Der astreine Sound wummert und schneidet, heult sirenenhaft, marschiert vorwärts und versetzt die 3500 Fans schon in Ekstase, bevor sich der Vorhang in der extrem verkleinerten Schleyerhalle hebt.

 

Das neue Album von Deichkind „Befehl von ganz unten“ knüpft an den Hit „Arbeit nervt“ (2008) an. Es geht um Ausbeutung („Bück dich hoch“), um die Unvereinbarkeit von politisch korrektem Handeln und den Versuchungen der Spaßgesellschaft („Leider geil“) und um die Abgründe der Individualgesellschaft („Egolution“). Was verdächtig weltverbesserisch klingt, ist bei Deichkind leider geil. Das Markenzeichen von Kryptic Joe, Ferris MC, DJ Phono und Porky sind ihre Texte mit der programmatischen schroff-coolen Ironie, für die ihre Fans sie verehren. Die anarchistisch-dadaistische Attitüde gefällt sowohl dem 17-jährigen Azubi, der sich auf dem unwegsamen Arbeitsmarkt zurecht finden muss: „Hab’ endlich einen Job, muss morgen früh raus, versack’ in ner Kneipe – leider geil.“ Auch der 47-jährige Kreativarbeiter mit einem Fass voller Überstunden und verschlepptem Burn-Out ballt die Faust zu: „Bück dich hoch! Steiger den Profit! Bück dich hoch! Sonst wirst du ausgesiebt! Bück dich hoch! Mach dich beim Chef beliebt! Bück dich hoch! Auch wenn es dich verbiegt!“

Mal blaffen die Deichkinder ihren comic-haft verzerrten Sprechgesang, mal verdunkeln sich ihre Stimmen zu gewaltigen Ungetümen. Schräge Kostüme wie Aluminiumumhänge, Neonmasken, Skelettanzüge oder blinkende Hüte in Pyramidenform sieht man nicht nur auf der Bühne. Auch die Fans haben sich in Deichkind-Schale geworfen. Konfetti-Kanonen, Daunenfederngestöber, Badeinseln, Hüpfburgen, Trampoline – es geht alles, was Spaß macht. Das Stagediving im Gummiboot gehört ebenso zur Fete wie der Zugaben-Remix aus alten Hits wie „Remmidemmi“, „Limit“ und „Bon Voyage“. Zum Schluss verwischen die Grenzen zwischen greller Bühnenshow und ekstatischem Massenrave. Die Schleyerhalle ist Deichkind.