Der Rap-Zirkus von Deichkind spielt in der Schräglage sein neues Album erstmals live. "Niveau weshalb warum" ist auch das Motto des Abends: da regiert nicht Tiefgang, sondern Extase.

Stuttgart - Was vom Abend übrig bleibt: ein mit Federn und Papierschnipseln bedeckter Boden in der Schräglage, Deichkind-Fans mit klatschnassen T-Shirts auf der Tanzfläche, von Wasserspritzpistolen getroffen oder mit Bier abgeduscht. Es ist das Ergebnis einer durchchoreographierten Ekstase in 45 Minuten – berechnend, dabei aber nicht weniger spaßig.

 

Was zuvor geschah: „Seid ihr bereit für Deichkind?“, ruft MC Puppet durchs Mikrofon. Dazu spielt sein DJ Rockmaster B sämtliche HipHop-Songs der vergangenen Jahrzehnte chronologisch bis zur Jetztzeit. Beide sind vom Radiosender BigFM, der diese Party veranstaltet.

Auf der Damentoilette werden Neonarmbänder angelegt und Selfies geknipst. Draußen vor der Tür die letzte Zigarette geraucht, auf der Tanzfläche die Wangen bemalt. Vollständig verkleidet, wie sonst auf Deichkind-Konzerten oft gesehen, ist aber nur einer: Mit Zylinder und einem Müllbeutel am Leib, festgemacht mit Klebeband. Ein anderer verrät auf seinem T-Shirt: Meine Eltern sind auf einem Tennisturnier.

Die Tickets: priceless

Die Gäste, schreit MC Puppet ins Mikro, sind an diesem Abend alle Gewinner. Die Tickets für das Konzert gab es nur per Verlosung. Manche sind hundert Kilometer nach Stuttgart gefahren.

Mit „So ne Musik“ entert Deichkind schließlich die Bühne. Das Lied ist von der neuen Platte „Niveau weshalb warum“, die vor wenigen Tagen erschienen ist. Es ist das erste Konzert der Band mit dem neuen Album überhaupt -  in so einer kleinen Location kriegt man die Hamburger Elektro-HipHoper wahrscheinlich tatsächlich nicht mehr so schnell zu sehen. Das weiß auch das Publikum, das sofort wie angeknipst ist, hüpft, in der Mitte im Kreis Pogo tanzt, schreit und textsicher mitsingt.

Die Band um Philipp Gütering, Sebastian Gürre und Ferris MC macht kaum Zwischenansagen. Ist aber auch gar nicht nötig, die glücklichen Gewinner sind sowieso damit beschäftigt ihr Wochenende auf den Montag auszuweiten, grölen mit und versuchen sich vor den Wasserstrahlen aus den Pumpguns zu ducken oder der Bierdusche bei „Illegale Fans“. Beim Deichkind-Konzert wird nicht gequatscht sondern ausschließlich gefeiert.

Stempeln mit Deichkind

Die ganz vorne in den ersten Reihen strecken irgendwann ihre Wangen gen Bühne, bekommen Stempel oder Farbe auf dieselben gedrückt. Währenddessen wirbeln Deichkind-Statisten im Hintergrund wild verkleidet mit Besen und Tröten auf und ab. Beinahe jedes Lied bringt andere Gimmicks auf die Bühne, Kostümwechsel, ein anderes Schauspiel. Bei „Like mich am Arsch“ – auch ein Song der neuen Platte – zeigen die Deichkinder gut einstudierte Tanzschritte, bei anderen Stücken wird nicht getanzt sondern nur still gestanden mit blinkenden LED-Pyramiden-Hüten.

Von der Metaebene der Texte, vor allem des neuen, sechsten Albums aber auch der alten, ist in der Schräglage kaum etwas zu spüren. „Denken Sie groß“, welches das Gefasel der Motivationscoachs aufs Korn nimmt („Kaufen Sie kein Weed man / Kaufen Sie Jamaica“, „Ein bisschen Größenwahnsinn kann doch nicht schaden“) wird weggepogt. Die Kapitalismuskritik in „Arbeit nervt“ und „Bück dich hoch“ auch. Aber egal, live regiert die Ekstase, wer was von der Subtilität haben will, muss sich die Lieder Zuhause anhören.

Erst ganz am Ende mit Schlauchbot

Neben den neuen Liedern, haut die Band aber auch Klassiker raus. Etwa „Komm schon“ und „Bon Voyage“ – wenn auch nur kurz angespielt. Und, schließlich ist das Konzert in Stuttgart und dort oben steht Ferris MC, „Reimemonster“. Nach „Limit“ ist Schluss, nach nur einer guten dreiviertel Stunde. Dabei fehlt eines oder besser es fehlen zwei wichtige Komponenten eines Deichkind-Konzerts. Klaro: „Remmidemmi“ und das Schlauchboot.

Zugabe, Zugabe! Und da erklingen schon die ersten Töne von „Remmidemmi“, die Band springt nochmal raus, singt und schiebt dann auch das altbekannte Schlauchboot über die Köpfe auf der Tanzfläche. Papierschnipsel knallen von der Bühne, Federn fliegen aus dem Schlauchboot.