Die Sorge, an einer Demenz zu erkranken, ist weit verbreitet – und zuweilen auch übertrieben. Mediziner sprechen inzwischen von „Demenzsorge“ als einem eigenständigen Phänomen. Ob die Angst berechtigt ist, lässt sich mit Tests überprüfen.

Stuttgart - Ich nenne Ihnen jetzt einmal drei Begriffe und möchte Sie bitten, diese zu wiederholen.“ Der Psychologe Marc Borner von der Berliner Charité schaut Markus Becker erwartungsvoll an. Die Begriffe sind: Apfel, Lampe und Tisch. Herr Becker wiederholt die Wörter. Bevor er sie noch einmal nennen soll, muss er ein Wort buchstabieren. Zunächst vorwärts und dann rückwärts. Der 81-jährige Markus Becker (Name von der Redaktion geändert) nimmt an einer Langzeitstudie teil. Das Ziel der Untersuchung ist, noch unbekannten Unterschieden zwischen normalem und krankhaftem Altern auf die Spur zu kommen. Über fünf Jahre hinweg lässt Herr Becker dafür jedes Jahr sein Erinnerungsvermögen einem Check unterziehen. Früher an der Charité durchgeführte Gedächtnistests hatten keine Anzeichen einer beginnenden Demenz oder einer leichten kognitiven Störung gefunden.

 

„Nach den ersten Tests war es für mich eine große Erleichterung, dass ich so gut abgeschnitten hatte und mein Gedächtnis nun ganz offiziell noch gut funktionierte“, sagt Markus Becker. Sein Bruder sei an Alzheimer erkrankt. „Das war der hauptsächliche Grund, die Gedächtnissprechstunde hier im Haus aufzusuchen.“ Die Studie sieht er in erster Linie als eine Chance, früher von einer sich möglicherweise anbahnenden Demenz zu erfahren.

Die Ängste der Menschen vor Demenz interessiert die Alternsforschung zunehmend. „Dementia worry“, zu Deutsch etwa „Demenzsorge“ nennen Forscher das Phänomen. „Demenzsorge ist die emotionale Reaktion auf die wahrgenommene Bedrohung, irgendwann einmal an Demenz zu erkranken“, sagt Eva-Marie Kessler. Sie ist Alternspsychologin an der Universität Heidelberg. Neben Gefühlen wie Ängsten gehe die Demenzsorge einher mit Grübeleien und bestimmten Bildern im Kopf, sagt Kessler. „Man stellt sich beispielsweise vor, mit Alzheimer im Altersheim zu leben und auf andere angewiesen zu sein.“

Ein Ausdruck der Sorge vor Demenz: Gehirnjogging

Die bisherigen internationalen Untersuchungen legen nahe, dass die Demenzsorge zumindest in westlichen Ländern weit verbreitet ist. In einer noch unveröffentlichten deutschen Studie hat Eva-Marie Kessler mit ihren Kollegen rund 200 Menschen aus der allgemeinen Bevölkerung befragt. Die Ergebnisse ähneln denen aus den internationalen Erhebungen: Etwa 40 Prozent der Befragten gaben mäßige bis starke Demenzsorgen an. Zudem ist aus Krankenkassendaten bekannt, dass Demenz nach Krebs die am meisten gefürchtete Erkrankung ist. Und Eva-Marie Kessler verweist noch auf ein indirektes Indiz: „In dem riesigen Markt kommerzieller Gehirntrainings drückt sich vielleicht am besten aus, dass Ängste vor Demenz durchaus weit verbreitet sind.“

Die Demenzsorgen der Betroffenen sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. „Es gibt viele Menschen, die sich in dieser Hinsicht gar keine Sorgen machen oder nur dann, wenn man sie darauf anspricht.“ Manche verhalten sich Kessler zufolge aber auch wie Hypochonder. Nur hätten sie eben keine übertriebene und ungerechtfertigte Angst vor Krebs oder einem Herzinfarkt. „Sie müssen sich stattdessen ständig rückversichern bei anderen Menschen, dass bei ihnen im Kopf noch alles in Ordnung ist.“

Den Grund für die Häufigkeit der Demenzsorgen sieht die Alternspsychologin darin, dass die Menschen zunehmend mit dem Thema konfrontiert werden. Das Phänomen ist von anderen Krankheiten bekannt. So entstand etwa in den 80er Jahren durch die vielen Medienberichte das Phänomen der Aidsphobie. So sagt dann auch der Psychologe Marc Borner, dass durch die mediale Aufmerksamkeit zwar insgesamt nicht unbedingt mehr Menschen die Gedächtnissprechstunde bei ihm im Haus aufsuchen würden. „Es ist aber durchaus auffällig, dass nach einem größeren Beitrag in den Medien eine Welle von Patienten zu uns kommt, weil sie von der Berichterstattung beunruhigt sind.“

Doch nicht nur Berichte in den Medien, sondern auch persönliche Erfahrungen können Befürchtungen und Sorgen auslösen. „Immer mehr Menschen haben schließlich Angehörige und Freunde, die an einer Demenz erkrankt sind“, erklärt Eva-Marie Kessler. In der Tat zeigen Untersuchungen, dass etwa einen Angehörigen mit der Erkrankung zu pflegen mit eigenen Demenzsorgen einhergehen kann.

Übertriebene Sorgen trüben den Blick auf positives Altern

Auch die psychische Verfassung eines Menschen spielt eine Rolle. Denn ein großer Teil der älteren Menschen erlebt, dass die eigene Gedächtnisleistung nachlässt. Aber längst nicht bei allen ergeben sich Ängste vor einer demenziellen Erkrankung. „Wer allgemein stärker psychisch belastet ist, ängstlich oder depressiv verstimmt ist, bei dem sind auch Demenzsorgen stärker ausgeprägt“, sagt Kessler. In solch einem Fall sei auch eine psychotherapeutische Behandlung hilfreich.

Viele Menschen, so vermutet Kessler, malen sich zudem ein Leben mit Demenz negativer aus, als es von Betroffenen dann tatsächlich – insbesondere im Frühstadium – erlebt wird. „Demenz ist das Schreckgespenst des Alters schlechthin.“ Verschiedenen Studien zufolge stellt sich zumindest ein Teil der Befragten ein Leben mit Demenz als sehr stressig vor und glaubt, dass die Betroffenen sich nicht mehr am Leben erfreuen könnten. Kessler zufolge erleben demente Patienten zwar häufig negative Emotionen und depressive Zustände – aber doch viel seltener, als es gesunde Menschen annehmen.

Was ihre Folgen angeht, haben Demenzsorgen zwei Seiten. So kann etwa eine mäßig stark ausgeprägte Sorge zu einem sinnvollen Vorsorgeverhalten führen. Erlebt man bei sich selbst zunehmend Gedächtnishänger und andere aus dem Umfeld bestätigen das, ist ein Besuch beim Hausarzt oder sogar bei einer Gedächtnisambulanz vernünftig. Aber eine übertriebene Demenzsorge kann sich negativ auf die Lebensqualität auswirken und den Blick auf ein normales positives Altern trüben.

Für den Psychologen Marc Borner ist Markus Becker ein typischer Fall in der Gedächtnissprechstunde. Er mache sich Sorgen um sein Gedächtnis. „Aber wie die meisten unserer Patienten leidet er nicht unter sehr starken Ängsten im Sinne einer Hypochondrie.“ Einen Grund zur Sorge hat Markus Becker derzeit jedenfalls nicht. Bei dem heutigen Test hat er für sein Alter auf jeden Fall wieder sehr gut abgeschnitten.

Gedächtnis-Ambulanzen in der Region

Angebot
Mit neuropsychologischen Untersuchungen kann man in einer Gedächtnisambulanz feststellen, ob subjektiv erlebte Gedächtnisprobleme normal oder stärker als normal ausgeprägt sind.

Region
Es gibt zwei Gedächtnissprechstunden in der Umgebung: Das Klinikum Stuttgart – Bürgerhospital bietet mit seiner Memory Clinic eine Gedächtnissprechstunde zur diagnostischen Abklärung von Gedächtnisproblemen an. Telefon: 07 11/27 82 29 70. Das Geriatrische Zentrum am Universitätsklinikum Tübingen bietet ebenfalls eine Gedächtnissprechstunde an. Telefon: 070 71/2 98 71 26.

Online
Zudem kann man bei der Online-Sprechstunde auf www.gedaechtnisonline.de nach einer anonymen Anmeldung in 20 Minuten seine Gedächtnisleistungen prüfen lassen.