Wie Leberwurst und Mundpflege zusammenhängen und warum im Sonnenberger Generationenzentrum eine Bushaltestelle steht, weiß die Möhringerin Susanne Kränzle. Die Hospizleiterin begleitet auch Demenzkranke bei ihrem Sterbeprozess.Wir trafen sie zum Gespräch.

Frau Kränzle, vor der Diagnose Demenz haben viele Menschen Angst. Wie wird Demenz diagnostiziert?
Es gibt noch keinen eindeutigen Demenztest. Ärzte können nur andere Krankheiten ausschließen oder Bilder des Gehirns auswerten. Es gibt allerdings Tests, die den mentalen Zustand prüfen. Ein Beispiel ist der Uhrentest. Haben Sie davon gehört?
Nein, erzählen Sie.
Die Patienten bekommen einen Kreis vorgelegt, in dem sie die Zahlen der Uhr eintragen sollen. Die meisten können das bereits in einer frühen Demenzphase nicht mehr. Das kann man sich gar nicht vorstellen, eigentlich sind das ja die Koordinaten, in denen wir leben.
Angenommen, die Diagnose Demenz steht fest, wie geht es weiter? Die Krankheit kann ja nicht geheilt werden.
Nein, zumindest noch nicht. Es gibt zwar Medikamente gegen Demenz, die den Kranken etwas mehr Orientierung zurückgeben. Sich über die eigene Lage bewusst zu werden, tut den Kranken oft nicht gut. Was immer hilft, ist Fürsorge und alles, was das Wohlbefinden der Demenzkranken erhöht.
Wohlbefinden fördern, das heißt konkret?
Naja, grundsätzlich nutzen wir alle Möglichkeiten der Palliativpflege. Allgemein ist alles gut, was die sinnliche Wahrnehmung anregt und keine rationale Verarbeitung braucht, wie Musik und Düfte. Die Patienten müssen darüber nicht nachdenken, das können sie einfach erleben. Wir brauchen aber Menschen, die uns sagen können, was der Patient zu Lebzeiten mochte, denn das können sie oft nicht mehr selbst. Ich denke da an so einfache Dinge wie die Mundpflege am Lebensende und die Frage, ob wir dabei besser Honig oder Herzhaftes wie Olivenöl und Leberwurst verwenden.
Das müssen Sie erklären.
Wenn Essen und Trinken nicht mehr funktionieren, ist die Mundpflege ein wesentlicher Bestandteil der palliativen Pflege. Dabei kann man den Mund auspinseln mit Dingen, die der Kranke mochte. Ob das jetzt Kaffee ist, Sekt oder eben die Kalbsleberwurst. Die Mundpflege ist ein Lieblingsthema von mir, da kann man als Pflegender ganz kreativ sein.
Was müssen Pflegende neben den Vorlieben des Erkrankten sonst noch beachten?
Demenzkranke können ihre Wünsche, Fragen oder Ängste oft nicht mehr ausdrücken. Das erfordert mehr Achtsamkeit und Sensibilität der Pflegenden. Wir müssen verstärkt auf kleine Gesten der Demenzkranken achten wie ein Stirnrunzeln oder ein Lächeln. Aber ein Patentrezept gibt es nicht. Jeder Mensch, jede Situation ist anders. Wichtig ist einfach, den Menschen ernst zu nehmen und dort abzuholen, wo er steht.
Bedeutet das, dass Pflegende auf die teils wirren Aussagen der Dementen eingehen sollen?
Ja. Demenzkranke leben in ihrer eigenen Realität. Sie erkennen sich oft nicht mehr im Spiegel und denken, sie seien im jungen Erwachsenenalter. Sie meinen zum Beispiel, sie müssten jetzt zur Arbeit gehen. Dann sollte ich als Pflegende nicht sagen: „Unsinn, du liegst krank im Bett“, sondern Fragen zur Arbeit stellen. Ein Beispiel für diese Achtsamkeit steht im Generationenzentrum in Sonnenberg. Im Foyer gibt es eine nachgebaute Bushaltestelle. Dort können sich die Patienten hinsetzen, wenn sie das Gefühl haben, sie müssen jetzt wohin reisen. Das hilft ihnen.
Weg von der Pflege hin zum Lebensende: Sterben Demenzkranke an ihrer Krankheit?
In der Regel treten andere Komplikationen auf, die zum Tod führen, wie zum Beispiel eine Lungenentzündung. Aber man kann natürlich auch am letztendlichen Untergang des Gehirns sterben.
In Ihrem Vortrag im Bürgerhaus Möhringen beschäftigen Sie sich mit dem Thema Demenz und Tod. Worin unterscheidet sich das Lebensende eines Demenzkranken zu dem anderer Sterbender?
Im klassischen Hospizdienst sprechen wir mit den Sterbenden über ihr Leben und den Tod, wenn sie das möchten. Sie können Bilanz ziehen über ihr Leben. Mit Demenzkranken ist dieses letzte Gespräch oft nicht mehr möglich, sie verabschieden sich ja schon viel früher aus dem bewussten Leben. Ich habe das Gefühl, Demenzkranke haben am Lebensende weniger Lasten, sie werfen ihren Ballast vorher ab. Was nicht besser sein muss. Man merkt jeden Tag, dass einem noch eine Fähigkeit verloren geht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sein muss. Aber die letzte Phase des Sterbens unterscheidet sich nicht so sehr bei Menschen mit oder ohne Demenz.
Ganz nach dem Sprichwort „Im Tod sind alle gleich“. Aber was bedeutet das konkret, die letzte Phase?
Das ist schwierig zu erklären. Es gibt körperliche Anzeichen für den bevorstehen Tod, zum Beispiel fällt das Gesicht etwas ein oder Hände und Füße sind blau marmoriert. Aber meist ist es ein viel subtileres Anzeichen. Im Raum eines Sterbenden herrscht eine andere Atmosphäre als sonst, zumindest empfinde ich es so. Man merkt, es hat sich etwas verändert, der letzte Schritt kommt. Ob dement oder nicht, das ist dann nicht mehr entscheidend.
 

Das Gespräch führte Rebecca Beiter

 

Veranstaltungshinweis

Susanne Kränzle hält am Donnerstag, 10. März, einen Vortrag zum Thema „Demenz und Tod“ im Rahmen der aktuellen Demenzkampagne in Vaihingen und Möhringen. Der Vortrag ist im zweiten Stock des Bürgerhauses in Möhringen, Filderbahnplatz 32. Beginn ist um 15 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Zur Person

Susanne Kränzle ist ausgebildete Kinderkrankenschwester, wechselte aber im Jahr 1994 in die Hospizarbeit. Sie absolvierte den Masterstudiengang Palliative Care und Organisationsethik. Die 49-Jährige ist stellvertretende Vorsitzende des baden-württembergischen Hospiz- und Palliativverbands. Außerdem leitet sie das Esslinger Hospiz, wo sie Schwerstkranke in den Tod begleitet. Susanne Kränzle wohnt in Möhringen.

Hintergrund

Palliative Begleitung,

auch Palliative Care genannt, umfasst die ganzheitliche Versorgung sterbender Menschen. Das restliche Leben wird dabei weder verlängert noch aktiv verkürzt. Stattdessen helfen Ärzte oder Pflegende, die letzte Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Außerdem unterstützen sie Angehörige beim Abschied nehmen.