Annette Röser hat aus ihrem Buch „Mein Vater und die Gummiente“ in der Schillerbuchhandlung in Stuttgart Vaihingen gelesen. In einem Videointerview erzählt sie von ihren Erfahrungen mit Demenzkranken.

Die Lesung in der Buchhandlung

Wenn der ehemalige Beamte nicht weiter weiß, füllt er die Lücken seiner Sätze mit dem Wort Postsparbuch. „Weil er dieses Wort abertausende Male in seinem Leben gesagt hat, geht es ihm trotz des Durcheinanders in seinem Gedächtnis immer noch leicht über die Lippen“, sagt die Verlegerin Annette Röser. Es ist der vergangene Mittwochabend in der Schillerbuchhandlung in Vaihingen. Röser liest im Rahmen der Demenzkampagne von Möhringen und Vaihingen aus ihrem Buch über Demenzerkrankte „Mein Vater und die Gummiente“.

 

Darin sind Erzählungen von Angehörigen, Pflegern und einigen prominenten Betroffenen festgehalten. Die Mischung aus Tragik und Komik in den Geschichten bewegt die Buchhändlerin Susanne Martin. Sie ist durch den Singliesel-Verlag auf Annette Röser gestoßen und hat sie in die Buchhandlung eingeladen. „Es ist wichtig, dass dieses Thema in der Gesellschaft ankommt“, sagt Martin.

Ein eigener Verlag

Annette Röser ist die Gründerin des Verlags. Dieser hat sich auf Bücher für Menschen mit Demenz spezialisiert. Das Thema betrifft sie selbst. „Mein Vater und meine Mutter waren beide dement, mit ganz unterschiedlichen Ausprägungen und Krankheitsverläufen“, sagt Röser. Über zehn Jahre hat sie die Demenz ihrer Eltern gemeinsam mit ihren Geschwistern begleitet. „Das prägt das Leben“, sagt sie. Ihre Erfahrungen im Umgang mit den dementen Eltern will Röser anderen Angehörigen weitergeben. „Das Buch zeigt den Menschen, dass sie mit ihren Erlebnissen nicht alleine sind“, sagt Röser. Den Titel „Mein Vater und die Gummiente“ hat das Buch einer weiteren Geschichte zu verdanken, die sie dem Publikum in der Schillerbuchhandlung vorliest.

Ein in seiner Blütezeit imposanter Mann ist für seinen vierjährigen Enkel heute mehr wie ein großer Bruder. Um den immer noch stolzen Herrn dazu zu bewegen, die für den Badetag besorgten Schwimmflügel anzuprobieren, sitzt beim Abendessen schließlich die ganze Familie mit Schwimmflügeln am Tisch. Beim anschließenden Badbesuch lässt der Großvater eine Gummiente mitgehen, und das Spielzeug wird zum ständigen Begleiter.

Dass man dem alten Mann das Kinderspielzeug nicht wegnimmt, gehöre zu einem Grundsatz im Umgang mit dementen Leuten. „Man muss sie da abholen, wo sie sind“, sagt Röser. Es bringe nichts, Erwartungen an sie zu stellen, die sie gar nicht mehr erfüllen können.

Eigenständigkeit bei Demenz

Ihre Worte finden Anklang beim Publikum. Auch hier sitzen Betroffene, die sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Eine Frage wird in den Raum gestellt: „Ab wann habe ich das Recht, die persönliche Freiheit des Erkrankten einzuschränken und in sein Handeln einzugreifen?“ Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht, sagt Röser. Doch spätestens, wenn die Erkrankten sich oder andere gefährden, muss gehandelt werden. Röser liest eine dazu passende Szene vor.

Eine Ehefrau säbelt in mühsamer Arbeit, stets versteckt vor den Blicken der Pflegerin, den Gurt des im Rollstuhl sitzenden Partners mit einem Buttermesser durch. Der alte Herr hat sich vor Kurzem den Oberschenkelhalsknochen gebrochen und muss deswegen im Rollstuhl gesichert werden, damit er nicht aufstehen und erneut fallen kann. Als die Frau den Gurt durchgetrennt hat, droht genau dies zu passieren. Gerade noch rechtzeitig eilt eine Pflegerin herbei. Auf ihre entsetzte Frage, warum sie den Mann so in Gefahr gebracht habe, antwortet die Ehefrau: „Er muss doch sein Bier aus dem Keller holen. Ich hole es ihm sicher nicht.“