Viele Bürger sind verärgert über den Verlust alter Bausubstanz in Stuttgart. Unterm Strich steigt die Zahl der denkmalgeschützten Häuser aber.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Die meisten Stuttgarter lieben ihre Stadt; dieses Ergebnis steht am Ende jeder Bürgerumfrage. Aber schön finden viele Einwohner ihr Stuttgart höchstens wegen der Lage, nicht aber wegen des Stadtbilds – manchmal hat man eher den Eindruck, es ist die fast etwas trotzige Liebe zu einem hässlichen Entlein. Zu viele alte Gebäude sind im Krieg vernichtet worden, zu viele alte Häuser sind aber auch mit Absicht später abgerissen worden. Und das erbost die Menschen, denn sie haben den Eindruck, ihr Stuttgart werde immer gesichts- und seelenloser. Nachdem jetzt bekannt geworden ist, dass ein vielleicht 550 Jahre altes Wengerterhaus im Hospitalviertel bald verschwinden wird (die StZ berichtete), haben sich viele Historiker und Architekten zu Wort gemeldet. Ihre Kritik ist manchmal vernichtend.

 

Der Architekt Roland Ostertag, der sich seit Jahrzehnten für ein lebenswertes Stuttgart einsetzt, spricht sogar von einem „Abrissfuror“, der in Stuttgart krasser wüte als in anderen Städten. Hier sei der „Wille und das Wissen“ nicht da, das Alte zu erhalten oder in Neues zu integrieren. „Alle Menschen haben die Sehnsucht, in einer Umwelt zu leben, die mit ihnen spricht. Das geht verloren, wenn man die alten Schichten abreißt“, sagt Ostertag.

Neidischer Blick nach Frankfurt

Der Historiker Harald Schukraft ist ähnlicher Ansicht. In Frankfurt werde beispielsweise gerade ein altes Viertel in der Innenstadt mit den originalen Straßenzügen rekonstruiert; acht Fachwerkhäuser entstehen im sogenannten Dom-Römer-Projekt nach alten Plänen wieder. „Stuttgart dagegen ist verblendet“, so Schukraft. Rolf Zielfleisch, der um den Erhalt alter Luftschutzstollen kämpft, sieht ein allgemeines Defizit in Sachen Geschichte in der Landeshauptstadt. Es sei symptomatisch, dass so spät ein Stadtmuseum eingerichtet werde, sagt er; und auch die historische Forschung hänge oft stark an Privatleuten: „Es gibt in Stuttgart riesige Defizite.“

Tatsächlich ist die Zahl der verlorenen historischen Schätze groß, wenn man die Jahrzehnte Revue passieren lässt. Es sei nur erinnert an das Kronprinzenpalais, das Alte Steinhaus aus dem Jahr 1350 oder den Schocken-Bau – in jüngster Zeit sind die Bürgerhäuser an der Neckarstraße und die Flügel des Hauptbahnhofes hinzugekommen (siehe oben). Beim Durchblättern der Denkmalliste für die Stadtmitte kommt man auf gerade noch 43 Häuser aus der Zeit vor 1800. Oft sind es übrigens die Bürger, die mit ihrem Protest den Abriss noch verhindern – siehe Neues Schloss, Bosch-Areal oder Hotel Silber.

Die Denkmalliste wird länger

Allerdings: so richtig an Zahlen lässt sich der fortwährende Verlust historischer Gebäude nicht festmachen. Ellen Pietrus, die Leiterin der Unteren Denkmalschutzbehörde in Stuttgart, betont zwar, dass immer wieder Häuser aus der Liste herausgenommen werden, weil die originale Bausubstanz verschwunden sei. Unterm Strich aber wachse die Liste durch jüngere Gebäude: Derzeit stehen in der Innenstadt 750 Objekte darin, stadtweit sind es 6000.

Ob ein Gebäude stadtbildprägend ist, spielt keine Rolle

Wirklich lenken kann die Behörde die Entwicklung des historischen Bestandes nicht. Es gebe keine Statistik darüber, wie viele alte Häuser in Stuttgart abgerissen worden seien, sagt Ellen Pietrus. In der Behörde sind nur acht Personen tätig, manche davon in Teilzeit. Sie bearbeiten Baurechtsgesuche, geben Stellungnahmen, beraten Hausbesitzer und ahnden Verstöße: „Wir können in der Regel nur auf Antrag tätig werden“, sagt die Leiterin.

Andere Bundesländer setzen andere Schwerpunkte

Im Übrigen klärt sie ein weit verbreitetes Missverständnis auf: Es sei kein Kriterium für den Denkmalschutz, ob ein Gebäude stadtbildprägend sei oder nicht – viele Bürger wollen aber ein Haus erhalten sehen, weil es charakteristisch ist für ein Viertel. „Andere Bundesländer haben dieses Kriterium in ihren Gesetzen, wir nicht“, so Pietrus. Aus diesem Grund dürfen zum Beispiel die kleinen Häuser, die sich entlang der Rosensteinstraße am Nordbahnhof in die Bögen der Eisenbahnbrücke ducken, in einigen Jahren abgerissen werden – sie sind stadtbildprägend, aber nicht geschützt.

Die Städte können dann versuchen, die Häuser zu kaufen – aber ihnen fehlt meist die Finanzkraft, um das historische Erbe alleine zu bewahren. Bernhard Servatius von der Deutschen Stiftung Denkmalpflege sagte vor Kurzem: „Staat und Kommunen können diese Aufgabe alleine kaum bewältigen. Ohne die Bürgergesellschaft, ohne ein neues Mäzenatentum werden viele Denkmale nicht zu retten sein.“ Stuttgart allerdings ist zuletzt eher in die andere Richtung gegangen – es trennte sich von vielen Liegenschaften; sogar das Alte Rathaus in Weilimdorf sollte verkauft werden. Nur im Rotlichtviertel hat sich die Stadt vor Kurzem durchringen können, ein Haus zu erwerben.

Stadthistoriker vermutet „Überraschung“ im Wengerterhaus

Was das Schicksal des alten Wengerterhauses in der Firnhaberstraße anbetrifft, so sieht es nicht danach aus, als werde es noch gerettet. Ellen Pietrus hält es nicht einmal für möglich, eine Baudokumentation vorzunehmen, um in Fotos und Plänen das Haus zu bewahren – da es nicht denkmalgeschützt sei, könne das Amt nur beratend tätig werden. Beim Nord- und Südflügel und auch bei der Bahndirektion sei eine solche Dokumentation dagegen erfolgt.

Harald Schukraft wäre dagegen zusammen mit Norbert Bongartz, dem früheren Oberkonservator im Landesdenkmalamt, bereit, privat eine Dokumentation vorzunehmen; es müsse aber jemand die Kosten für das Gerüst übernehmen, so Schukraft. Ein Medienfachmann hat angeboten, kostenlos mit einer Panoramakamera durchs Haus zu gehen. Im Übrigen vermutet Schukraft im Erdgeschoss des Hauses Fachwerk, was auf ein hohes Alter schließen lasse. „Bei genauerer Prüfung würde eine große Überraschung herauskommen“, so Schukraft: „Da bin ich sicher.“