Sie melken, sie mähen und sie rücken mithilfe von Ponys schwere Baumstämme den Hang hinauf: ein Besuch beim Bauernhofkindergarten in Schiltach

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Schiltach - Im Dickicht singt die Mönchsgrasmücke, entlang des steilen Waldwegs blüht der Fingerhut. Joel hat dafür weder Ohr noch Auge. Er hat T-Shirt und Unterhemd ausgezogen. Der Hosenboden hängt tief im Schritt. „Ich schwitz ganz arg. Jetzt muss ich mal ’ne Pause machen“, sagt der Sechsjährige und lässt die Axt sinken. Sein Oberkörper hat schon ordentlich Muckis vorzuweisen. Bei brütender Hitze hat er einen acht Meter langen Fichtenstamm komplett entastet. Doch zum Ausruhen ist keine Zeit. „Du sollst die Äste hier auf den Haufen legen“, ermahnt er seinen gleichaltrigen Kumpel Nathanael. „Also, ich werf sie einfach hinter mich“, antwortet der und prügelt munter weiter mit seiner Axt auf seinen Stamm ein. Muss Joel halt wieder selbst anpacken.

 

Es dürfte nicht wenige Eltern geben, die bei einem solchen Anblick ihr Totenhemd anziehen. Vorschulkinder, die Beil und Hippe schwingen: Das bedeutet tiefe Fleischwunden, abgehackte Gliedmaßen, gespaltene Schädel. Helmut Siegl grinst. Jahrelang hat der Erzieher in Regelkindergärten gearbeitet. Medizinische Notfälle gab es zuhauf: Kinder flogen von Stühlen, bekamen Schaukeln ins Gesicht, verschluckten Legosteine. In seinen letzten beiden Jahren hat er Buch geführt: „22-mal mussten wir zum Arzt.“ Vor einem Jahr gründete er mit einer Handvoll Eltern den Bauernhofkindergarten von Schiltach. Und siehe da: Blaue Flecken gab’s, manches Pflästerchen musste geklebt, manches Auge getrocknet werden. Das war’s. „Wenn die Kinder neu zu uns kommen, stolpern sie ständig“, sagt Siegl. Doch nach spätestens vier Wochen ist jedes Kind geländegängig.

Einer von vier Bauernhofkindergärten im Land

Vier Bauernhofkindergärten gibt es in Baden-Württemberg, bundesweit dürften es rund 20 sein. Doch dass sie ihren Siegeszug antreten, ist für Siegl ausgemachte Sache. „Das ist wie mit den Waldkindergärten.“ Auch die habe man am Anfang skeptisch beäugt. Inzwischen hätten sie sich etabliert. Den Bauernhofkindergarten hält Siegl, der vorher selbst in einem Waldkindergarten gearbeitet hat, mittlerweile aber für das beste frühkindliche Angebot. „Wir haben nicht nur das Naturerlebnis, sondern auch den Umgang mit Tieren und die Herstellung von Lebensmitteln“, so Siegl. Alles was hochoffiziell im baden-württembergischen Bildungsplan drinstehe und wofür Erzieherinnen an Regelkindergärten pädagogische Klimmzüge vollführen müssten, sei im Bauernhofkindergarten ein ganz natürlicher Bestandteil. „Singen, spielen und tanzen machen wir natürlich auch“, sagt Siegl.

Schiltach ist ein 4000-Einwohner-Städtchen im Mittleren Schwarzwald. Dort, wo das Kinzigtal am engsten ist, klemmen sich stattliche Fachwerkhäuser an die Hänge. Kinder, die hier aufwachsen, wissen, dass Kühe nicht lila sind. Andererseits ist Schiltach kein bäuerliches Idyll, sondern ein kleines Industriestädtchen. Die Eltern der Kindergartenkinder arbeiten als Lehrer, Handwerker, Bürokaufleute. Ein Vater verkauft in Tübingen Brote vom Vortag, ein anderer sitzt in der Führungsetage des Badausstatters Hansgrohe, der in Schiltach Waschtische und Brauseköpfe für den Weltmarkt produziert.