Island könnte seit einigen Tagen Mitglied der EU sein – wenn sich die ursprünglichen Zeitpläne denn erfüllt hätten. Inzwischen sieht es so aus, als ob die Insel von ihrem Beitrittswunsch Abstand nehmen wird.

Reykjavik - Zum 1. Januar 2013 hätte Island der EU beitreten sollen. So war es geplant, damals im Jahr 2009, als die Inselrepublik auf dem Tiefstpunkt ihrer Finanzkrise die EU-Mitgliedschaft als einzigen Ausweg sah. Lang ist es her. Zwar machen die für die Beitrittsverhandlungen Verantwortlichen in Reykjavík und Brüssel weiterhin auf Optimismus, doch in Island sinkt die Zustimmung ständig, und spätestens nach den Parlamentswahlen im April dürfte der Europatraum ausgeträumt sein.

 

Als kurz vor Weihnachten acht weitere der 33 Kapitel des Beitrittskatalogs eröffnet wurden, pries EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle die raschen Fortschritte und den „positiven Geist“ der Gespräche, und die Nachrichtenagenturen kabelten aus Brüssel, dass Island der Union immer näher rücke. Das Gegenteil ist der Fall. Die Verhandlungen, die man einst in einem Rekordtempo von 18 Monaten abwickeln zu können glaubte, ziehen sich. Die bisher abgeschlossenen Kapitel sind jene, bei denen Island durch seine Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum das EU-Regelwerk ohnedies schon umgesetzt hat. Kritische Themen wie Regionalpolitik und Währungsfragen kommen erst noch dran, über Knackpunkte wie Fischerei und Landwirtschaft haben die Gespräche noch gar nicht begonnen.

Außenminister auf verlorenem Posten

Islands Außenminister Ossur Skarphedinsson sagt, er werde immer überzeugter, dass EU und Euro „der richtige Weg“ für sein Land seien: eine Zukunft mit der Island-Krone als „Quelle von Instabilität, Inflation und hohen Zinsen“ sei ebenso unakzeptabel wie die „Zwangsjacke der Kapitalkontrolle“, die zu weniger ausländischen Investitionen, weniger Wachstum und weniger Jobs führe. Islands Inflation beträgt 4,2 Prozent, der Leitzins liegt bei 5,5 Prozent und nur die Kontrolle der Kapitalbewegungen verhindert einen totalen Verfall des Kronenkurses. Dennoch ist der Außenminister ein einsamer Rufer: nur noch seine Sozialdemokraten halten am Ziel des EU-Beitritts fest, ihr links-grüner Koalitionspartner ist ebenso wie die rechte Opposition strikt gegen die Mitgliedschaft.

Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardóttir hat das Ja zu den EU-Verhandlungen mit harter Hand in der Koalition durchgesetzt, doch bei den anstehenden Parlamentswahlen wird die 70-Jährige nicht mehr kandidieren. Die Konservativen, die in den Meinungsumfragen vorne liegen, wollen die Beitrittsgespräche abbrechen, und auch die Links-Grünen halten weitere Verhandlungen für Zeitverschwendung. „Wir sagten Ja zur Aufnahme der Gespräche, weil wir sehen wollten, was das EU-Paket enthält“, sagt Jon Bjarnason. „Jetzt ist völlig klar, dass es für Island keine dauerhaften Ausnahmen geben wird.“

Nach den Wahlen dominiert das Nein

Ohne Sonderregeln, die den Isländern das alleinige Recht auf ihre Fischgründe und Einfuhrzölle für gewisse Lebensmittel sichern, sei ein EU-Ja undenkbar, meint Bjarnason, der als Fischereiminister alles tat, um eine Annäherung an EU-Positionen zu hintertreiben, bis er von Sigurdardóttir wegen seiner Obstruktionshaltung gefeuert wurde. Jetzt macht er im Außenpolitischen Ausschuss gemeinsame Sache mit der Opposition, so dass dort nun die Forderung, den Beitrittsantrag zurückzuziehen, eine Mehrheit hat. Ein Parlamentsvotum darüber wäre eine neue Zerreißprobe für die rot-grüne Koalition, die Sigurdardóttir verhindern will. Doch dies ist nur ein kurzfristiger Zeitgewinn.

Nach den Wahlen wird in Reykjavík eine klare Nein-Mehrheit dominieren, und selbst wenn die EU-Verhandlungen zu einem Abschluss gebracht würden, wäre die dann notwendige Volksabstimmung eine unüberwindliche Hürde. Die Eurokrise hat den „Rettungsanker EU“ nicht attraktiver gemacht. Streit um die Entschädigung ausländischer Anleger in den isländischen Pleitebanken und um die Quoten für die Makrelenfischerei haben die EU in den Augen der Isländer unattraktiv gemacht. Die Stimmung lässt sich aus den Meinungsumfragen ablesen: Seit dem Beitrittsantrag 2009 hat es nicht eine einzige Umfrage mit einer Mehrheit für die Mitgliedschaft gegeben. Die Neinsager haben derzeit stabil zwei Drittel der Bevölkerung im Rücken.