Die alpine Arztserie „Der Bergdoktor“ im ZDF wird immer stärker. Vor grandioser Bergkulisse werden existenzielle Lebensfragen verhandelt – auch am Donnerstag wieder.

Stuttgart - Wer sich als erwachsener Mann gerne die ZDF-Arztserie „Der Bergdoktor“ ansieht, tat stets gut daran, seiner Begeisterung höchstens mit einer großen Portion Ironie Ausdruck zu verleihen. So wie Schlager auf Schlagerpartys ironisch mitgrölen als cool gilt, Schlager in den Bergen vor sich hinzupfeifen jedoch als beschränkt. Wer anderen seine Wertschätzung für den „Bergdoktor“ ohne ironischen Schutzschild mitteilte, bekam im besten, im mitleidigen Fall zu hören: „Aha, verstehe, dir gefallen die bergsatten Naturaufnahmen.“ Im schlechteren Fall fahndete der Gesprächspartner schlecht gelaunt nach einer Ironie, die er überhört zu haben glaubte. Oder aber man bekam gleich eine Diagnose: „Du spinnst!“

 

Seit den letzten drei Folgen der derzeit ausgestrahlten achten „Bergdoktor“-Staffel ist besagte Ironie nicht mehr vonnöten. Vor allem die letzte Folge, Nummer fünf, „Abschiede“ genannt und wegen des karnevalistischen Treibens am vergangenen Donnerstag bereits vor 14 Tagen ausgestrahlt, hatte es dermaßen in sich, dass am Tag danach erwachsene Männern Kantinengespräche dieser Art führten: „Mal ehrlich, wer hat gestern Abend geweint?“ „Okay, ich geb’s ja zu.“

Starke Schauspieler transportieren Tragik

Es ging in dieser Folge um einen 18-jährigen Jungen mit Lymphdrüsenkrebs im Endstadium. Das herausragende Drehbuch erzählte nicht nur vom Abschied dieses Jungen und den vergeblichen Versuchen des Bergdoktors Martin Gruber, sein Leben zu verlängern. „Abschiede“ war viel mehr – ein modernes Märchen über die Liebe, das Leben und den Tod, eine inspirierende Geschichte über die Endlichkeit, hoch emotional erzählt – und doch nicht kitschig. Der junge Schauspieler Johannes Franke lieferte als Krebspatient eine starke Leistung, und Hans Sigl, der Bergdoktor-Darsteller seit sieben Jahren, wuchs in dieser existenziellen Folge über sich hinaus: Es ist eine große Kunst, auf die Frage des Sterbenden, ob nun die letzte Chance dahin sei, knapp mit „Ja“ zu antworten und gleichzeitig die ganze Tragik zu transportieren, die diesem Bescheid innewohnt.

Schon seit Beginn der gerade laufenden achten „Bergdoktor“-Staffel hebt sich zudem die Kameraführung wohltuend von der schnöden Draufhaltetaktik manch anderer Serie ab. Wenn der Bruder des Bergdoktors mit seiner Mutter mit der Sense am Hang zugange ist, dann wird gerne mal von schräg unten in einen schier unglaublich blauen Himmel hineingefilmt. Die Ironie, die Bergdoktor-Fans früher zur Vertuschung ihrer Leidenschaft benötigten, wird mittlerweile von der Serie selbst geliefert, aber nur ganz zart, nie Richtung Sarkasmus kippend, eher als Zeugnis weiser Schicksalsergebenheit, so wie wenn der Bergdoktor Martin Gruber gelegentlich gerne mal „Okaaay“, sagt, wenn ihm etwas gar nicht behagt.

Alpine Unterhaltung mit Tiefe

Beim Publikum kommt die immer unheiler sich präsentierende Bergwelt gut an. In Deutschland hat die Serie die Sechs-Millionen-Zuschauer-Marke übertroffen, mitunter sehen beinahe sieben Millionen zu, wenn die beiden Gruber-Brüder zeitgleich in ihren jeweiligen Liebesbeziehungen scheitern, wenn der Spielverderber Arthur Distelmeier eben doch nicht vom Alkohol loskommt und die Familie Gruber am Auseinanderbrechen ist. Über Ellmau in Tirol hängt zeitweise die Depression in dieser Staffel. Aber das schadet nicht. Das verleiht ihr eine Tiefe, die alpiner Fernsehunterhaltung gut ansteht.

In der neuen Folge „Zwei Mütter“, die das ZDF an diesem Donnerstag ausstrahlt, wird die biblische Geschichte, in der sich zwei Frauen um ein Kind bekriegen, bis König Salomon sein Urteil spricht, in die Neuzeit transferiert, In-vitro-Fertilisation und soziales Gefälle inklusive. Das Baby, um das zwei Frauen streiten, ist sterbenskrank, und die Lösung, auf die der Bergdoktor hinarbeitet, taugt als Modell für die Beilegung von Bürofehden ebenso wie als Denkanstoß für die eigene Lebensgestaltung.

Der Bergdoktor macht auch Fehler

Der Trick dabei: der Bergdoktor ist kein Heiliger. Während er als Arzt die Leben seiner Patienten aufopferungsvoll in erträgliche Bahnen lenkt, entgleitet ihm seine eigene Existenz auch deshalb, weil er als Mensch Fehler macht. In seinen Extremen ist Doktor Martin Gruber eine Kunstfigur – das vergisst die Serie nie. Aber Züge von ihm stecken in den meisten Leuten, die sich donnerstagabends Tirol ins Wohnzimmer holen und auch in denen, die das nicht tun. Letztere hören freitags in der Kantine meistens genervt weg.