Der Bundesrechnungshof warnt vor noch höherer Belastung der Steuerzahler und fordert viel strengere Überwachung des Projekts. Die Bundesregierung sieht dafür trotz Milliardenzuschüssen keinen Bedarf.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Es sind 20 Seiten voller Brisanz. In seinem Bericht an den Bundestag warnt der Bundesrechnungshof vor gravierenden Fehlentwicklungen und Kontrollmängeln beim Bahnprojekt Stuttgart 21. Die wichtigsten Kritikpunkte und Forderungen der Prüfer im Detail:

 

Baurisiken

Die Deutsche Bahn lässt für S 21 fast 60 Kilometer Tunnel in Stuttgart bohren und verlegt den Hauptbahnhof tief unter die Erde. Der Rechnungshof befürchtet hohe Folgekosten für die Steuerzahler, falls beim Bau gespart oder gepfuscht wird – oder der unterirdische Knoten Stuttgart zu geringe Kapazität für den wachsenden Zugverkehr hat. Denn die Anlagen werden Teil der Schienenwege des Bundes, für die der Staat die „verfassungsrechtliche Gewährleistungs- und Finanzierungsverantwortung“ trage. Vor der Gefahr, dass die krisengeschüttelte Bahn wegen des Kostendrucks die Bauausführung und Dimensionen „vereinfachen“ könnte, warnen die Prüfer explizit.

Der Rechnungshof fordert daher eine viel strengere Überwachung der Bauqualität durch den Bund, der hohe Zuschüsse zahlt. Das zuständige Bundesverkehrsministerium sehe dafür aber weiterhin „keinen Bedarf“, schreiben die Prüfer. Das Urteil der Kontrollbehörde lautet deshalb: Es gibt bei S 21 hohe Qualitäts- und Folgekostenrisiken für den Bundeshaushalt – und die Regierung tut bisher kaum etwas, um diese Risiken abzuwenden.

Gesamtfinanzierung

Der Rechnungshof warnt seit Jahren, dass die Kosten für S 21 unvollständig ermittelt werden. Bereits 2008 kamen die Experten auf 5,3 Milliarden Euro, bei der Finanzierungsvereinbarung 2009 gingen die Projektpartner und der Bund dennoch nur von knapp 3,1 (inklusive Risikozuschlag: 4,5) Milliarden Euro aus. Erst Ende 2012 gestand die Bahn weitere Mehrkosten ein und gab später bekannt, dass der Finanzrahmen um zwei auf 6,5 Milliarden Euro ausgeweitet werde.

Der Rechnungshof wirft dem Verkehrsministerium vor, weder vor noch nach dem Abschluss der S-21-Finanzierungsvereinbarung im Jahr 2009 ausreichend geprüft zu haben, inwieweit die Gesamtfinanzierung gesichert sei. Daraus könnten „bedeutende finanzielle Risiken für den Bundeshaushalt entstehen“.

Die Behörde betont, dass der Bund keine Projekte fördern darf, die finanziell nicht abgesichert sind. Das verbiete das Wirtschaftlichkeitsprinzip, das in der Bundeshaushaltsordnung festgeschrieben ist. Der Rechnungshof wirft der Regierung daher Verstöße gegen das Haushalts- und Zuwendungsrecht und damit faktisch fortlaufenden Rechtsbruch vor.

Die Experten verlangen von der Regierung eine „begleitende Überwachung der Gesamtfinanzierung“, um rechtzeitig gegensteuern zu können, wenn sich Kostenüberschreitungen und ein zusätzlicher Finanzbedarf abzeichnen. Das Verkehrsministerium lehnt das ab und argumentiert, allein die Bahn sei als Bauherr verantwortlich, S 21 umzusetzen und zu überwachen. Die Gesamtfinanzierung sei weiterhin durch Eigenmittel des Konzerns gesichert, der sich dafür aber noch höher verschulden muss.

Bundeszuschüsse

Die Kontrollbehörde kritisiert mit Nachdruck, dass der Bund seine hohen Zuschüsse für S 21 „nicht wirksam“ kontrolliert. Ausdrücklich warnen die Experten, es bestehe für die Bürger bei S 21 die Gefahr einer „unkontrollierten Finanzierung von Mehrkosten zulasten des Bestandsnetzes und des Bundeshaushalts“.

Im Bericht kommt der Rechnungshof zum Fazit, dass die Regierung für S 21 bereits ein Drittel mehr Förderung zugesagt hat als bisher offiziell angeben. Nicht 1,22 Milliarden wie vom Ministerium behauptet sondern mindestens 1,65 Milliarden Euro beträgt demnach das direkte und indirekte Engagement des Bundes.

Noch höher könne die Belastung werden, wenn es dem Verkehrsministerium nicht gelingt, wie geplant die direkten Bauzuschüsse von 563,8 Millionen Euro für S 21 aus dem Bundesetat vollständig durch EU-Fördermittel zu ersetzen.

LuFV-Mittel

Besonders kritisch sieht der Rechnungshof die Zuschüsse aus den Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen (LuFV) zwischen Bund und Bahn. Hier erhält der Konzern bis 2020 rund 20 Milliarden Euro zum Erhalt des bundesweiten Schienennetzes. Die Mittel sind aber nur für das Bestandsnetz und nicht für Neubauprojekte wie S 21 bestimmt. Dennoch fließen laut S-21-Finanzierungsvereinbarung bis zu 497 Millionen Euro.

Das Verkehrsministerium könne nicht kontrollieren, ob diese Summe überschritten werde. Hier seien rechtsverbindliche Vorkehrungen nötig, um diese „Schutzlücke“ zu schließen. Sonst könne die LuFV zum „Einfallstor“ für die unkontrollierte Finanzierung von S-21-Mehrkosten werden. Allein 2016 bekomme die Bahn 3,15 Milliarden Euro LuFV-Mittel, ohne dass die wirtschaftliche, zweckbestimmte und ordnungsgemäße Verwendung nachgewiesen werden müsse, so der Bundesrechnungshof.

Die Kontrolle allein von Buchungsregeln durch einen Wirtschaftsprüfer und anhand allgemeiner „Qualitätskennzahlen“ halten die Fachleute für völlig unzureichend.