Region: Verena Mayer (ena)

Der 62-jährige Althistoriker ist dem Chor mit seiner Frau beigetreten. Cornelia Munderich war überzeugt, nicht singen zu können. „Das weiß man einfach.“ Doch seit der große Auftritt naht, erhebt die Bankkauffrau ihre Stimme so oft wie nie zuvor. Auf keinen Fall will sie den Text vergessen. Und Notenblätter gibt es keine. „California Dreamin“ in der Endlosschleife.

 

Die Untersuchungen über die Folgen des Singens für die Sänger sind so zahlreich wie eindeutig: Singende Menschen sind lebensfroher, ausgeglichener und zuversichtlicher. Durch das aktive Musizieren werden Stresshormone ab- und Glückshormone aufgebaut. Die Organe werden besser mit Sauerstoff versorgt, die Muskeln im Rücken gestärkt, die Abwehrkräfte ertüchtigt. Das kontrollierte Ein- und Ausatmen kann ähnlich entspannend wirken wie Yoga, und das Stimulieren des Gedächtnisses möglicherweise bis zu einem gewissen Grad vor der Entwicklung einer Demenz bewahren. Menschen, die singen, verfügen zudem über ein größeres Selbstvertrauen, handeln sozial verantwortlicher als nichtsingende und sind psychisch belastbarer. Kurzum: Singen ist der Hit!

Régis Titeca hat bis er zum Ich-kann-nicht-singen-Chor kam, nie gesungen. Nicht mal unter der Dusche. In seiner Familie war das irgendwie kein Thema und an seiner Schule auch nicht. Wenn seine Freunde am Lagerfeuer „Blowing in the Wind“ oder „Country Roads“ heulten, kam Régis Titeca gar nicht auf die Idee, miteinzustimmen. Singen war für den 62-Jährigen etwas völlig Fremdes. Bis er „auf seine alten Tage“ beschloss, diese Hemmung vor dem Mundaufmachen abzulegen. Und? „Ich fühle mich befreit!“

Lieselotte Buch hat einst im Schulchor geträllert. „Im Frühtau zu Berge“ und so. Die 76-Jährige hat nie vergessen, dass sie dabei Freude hatte – was zu einem großen Teil auch daran lag, dass sie in den Chorleiter verschossen war. Später hat sie ihre Kinder in den Schlaf gesungen und an Weihnachten „Schneeflöckchen Weißröckchen“ begrüßt. Doch die besinnliche Hausmusik liegt schon so lange zurück, dass Lieselotte Buch ihre Stimme komplett eingerostet wähnte. Und? „Jetzt ist sie wieder viel beweglicher.“

„Die Jeschi reißt uns einfach mit“, preist Karin Ongaro die Chorleiterin. Beim Gedanken an das Singspiel aus der jüngsten Probe muss die 64-Jährige gleich wieder lachen: „Wenn ich heut’ nix schaffen will und schaff das, habe ich denn dann was geschafft oder nicht?“ Glatt, oder? Taktgefühl kann so viel Spaß machen.

Doch Kube jammert nicht, er handelt. Auf dem bunten Flyer, der für die Stuttgarter Stadtmusikanten wirbt, steht: „Selbst Frösche können singen! Und Sie glauben, Sie könnten es nicht?“ Zum Auftakt vor zwei Jahren traute sich gerade mal ein wagemutiges Dutzend nach Cannstatt, inzwischen kommen zur unverbindlichen monatlichen Singstunde (die nächste findet am 6. Dezember um 15 Uhr statt) an die 40 Männer und Frauen jeden Alters aus der ganzen Region. Wenn das so weiter geht, muss Edgar Kube bald einen größeren Saal für die Proben suchen.

Jeschi Paul flötet: „Wollt ihr noch ein bisschen lachen?“ Lachen ist gut, weil es die Stimmbänder in Schwingung bringt. Also erzählt Jeschi Paul schnell einen Witz: „Zwei Musiker gehen an einer Kneipe vorbei. – Darüber lachen wir jetzt!“ Die Bässe hohohohoho ganz tief. Die Soprani hihihihihi ganz hoch. Hätte Jeschi Paul gesagt: „Singt mal ein zweigestrichenes Dis“, hätten die Damen den Auftrag bestimmt vergeigt. Aber mit der Lachnummer fliegen die Töne federleicht aus den Mündern. Rolf Munderich, ein wohlklingender Bass, schwärmt: „Die Jeschi macht so viele Übungen mit uns, irgendwann glaubt man, man kann singen.“ Sein Loblied hat zahlreiche weitere Strophen. Ein paar davon klingen so: Wenn man seine Stimme als Instrument betrachtet, kommen tatsächlich Laute raus. Die Erfahrung, dass man in der Lage ist, einen Ton zu produzieren, ist fantastisch. Das gemeinsame Singen macht unheimlich Spaß. Man fühlt sich als Neuling nicht wie ein Fremdkörper.

Califonia Dreamin in Cannstatt

Der 62-jährige Althistoriker ist dem Chor mit seiner Frau beigetreten. Cornelia Munderich war überzeugt, nicht singen zu können. „Das weiß man einfach.“ Doch seit der große Auftritt naht, erhebt die Bankkauffrau ihre Stimme so oft wie nie zuvor. Auf keinen Fall will sie den Text vergessen. Und Notenblätter gibt es keine. „California Dreamin“ in der Endlosschleife.

Die Untersuchungen über die Folgen des Singens für die Sänger sind so zahlreich wie eindeutig: Singende Menschen sind lebensfroher, ausgeglichener und zuversichtlicher. Durch das aktive Musizieren werden Stresshormone ab- und Glückshormone aufgebaut. Die Organe werden besser mit Sauerstoff versorgt, die Muskeln im Rücken gestärkt, die Abwehrkräfte ertüchtigt. Das kontrollierte Ein- und Ausatmen kann ähnlich entspannend wirken wie Yoga, und das Stimulieren des Gedächtnisses möglicherweise bis zu einem gewissen Grad vor der Entwicklung einer Demenz bewahren. Menschen, die singen, verfügen zudem über ein größeres Selbstvertrauen, handeln sozial verantwortlicher als nichtsingende und sind psychisch belastbarer. Kurzum: Singen ist der Hit!

Régis Titeca hat bis er zum Ich-kann-nicht-singen-Chor kam, nie gesungen. Nicht mal unter der Dusche. In seiner Familie war das irgendwie kein Thema und an seiner Schule auch nicht. Wenn seine Freunde am Lagerfeuer „Blowing in the Wind“ oder „Country Roads“ heulten, kam Régis Titeca gar nicht auf die Idee, miteinzustimmen. Singen war für den 62-Jährigen etwas völlig Fremdes. Bis er „auf seine alten Tage“ beschloss, diese Hemmung vor dem Mundaufmachen abzulegen. Und? „Ich fühle mich befreit!“

Lieselotte Buch hat einst im Schulchor geträllert. „Im Frühtau zu Berge“ und so. Die 76-Jährige hat nie vergessen, dass sie dabei Freude hatte – was zu einem großen Teil auch daran lag, dass sie in den Chorleiter verschossen war. Später hat sie ihre Kinder in den Schlaf gesungen und an Weihnachten „Schneeflöckchen Weißröckchen“ begrüßt. Doch die besinnliche Hausmusik liegt schon so lange zurück, dass Lieselotte Buch ihre Stimme komplett eingerostet wähnte. Und? „Jetzt ist sie wieder viel beweglicher.“

„Die Jeschi reißt uns einfach mit“, preist Karin Ongaro die Chorleiterin. Beim Gedanken an das Singspiel aus der jüngsten Probe muss die 64-Jährige gleich wieder lachen: „Wenn ich heut’ nix schaffen will und schaff das, habe ich denn dann was geschafft oder nicht?“ Glatt, oder? Taktgefühl kann so viel Spaß machen.

In der Schule wird das Singen an den Rand gedrängt

„Wer sprechen kann, kann auch singen“, spricht Jeschi Paul. So wie man Sprechen durch Nachahmung lerne, könne man auch Singen durch Imitieren lernen. Das Problem sei allerdings, dass den wenigsten Kindern so intensiv vorgesungen wie vorgesprochen werde. Nicht mal mehr auf die Schulen kann man sich verlassen. In Baden-Württemberg zum Beispiel ging der Musikunterricht vor zehn Jahren im Fächerverbund Menuk auf. Leider drängten die Komplexe Mensch und Natur die Kultur meist an den Rand. Ab 2016 allerdings soll das Singen an der Grundschule eine Renaissance erleben. Menuk wird aufgelöst, die Musikstunde kommt zurück. „Dafür hat sich der Landesmusikverband sehr stark gemacht“, sagt Edgar Kube zufrieden, dessen Sängerbund Mitglied im Landesverband ist.

So: die Arme im Kursaal sind alle gelockert, die Stimmbänder super in Schwung, die Sänger sowieso in bester Stimmung. Jetzt noch ein Durchgang. „All the Leaves are brown“, beginnen die Männer. „All the Leaves are brown“, wiederholen die Damen. „And the Sky is grey“ singen die Männer weiter. „And the Sky is grey“, folgen die Damen. „I’ve been for a Walk“ –„I’ve been for a Walk“ – „On a Winter’s day“ –„On a Winter’ day.“ Die Cannstatter spazieren in eine Church, gehen auf ihre Knees, durchschauen den Preacher und träumen immer weiter von California. Sehr harmonisch, sehr warm, sehr schön. Auch Jeschi ist zufrieden. „Ich freu’ mich auf morgen.“

Zurecht, wie sich herausstellt. Der Auftritt vor großem Publikum wird prima. Das Ende vom Lied ist, dass die angeblichen Nicht-Singen-Könner eine Zugabe geben: „There is Sunshine“.