Der Cotta Literatur- und Übersetzerpreis der Stadt Stuttgart ist im Rathaus an Ulrike Edschmid und Joachim Kalka verliehen worden. So unterschiedlich die beiden Preisträger auch sind: in ihren Werken kommen die Abwesenden zu ihrem Recht.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Im Orient soll der Glaube weit verbreitet sein, dass man einen gefährlichen Zauber ausüben kann, indem man jemanden zu sehr lobt. Die höheren Mächte könnten neidisch werden. Für eine Preisverleihung ist dies möglicherweise keine geeignete Maxime, auch nicht in Stuttgart, wo man sie ja weniger östlichem Aberglauben als schwäbischer Eigenart unterschieben könnte: Net gschimpft isch globt gnug! Beim Festakt zur Verleihung des Johann-Friedrich-Cotta-Preises an die Schriftstellerin Ulrike Edschmid und den Übersetzer und Essayisten Joachim Kalka im Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses wird also naturgemäß wacker gelobt.

 

Die Jurorin und Literaturwissenschaftlerin Claudia Schmölders preist Edschmid für ihre fruchtbare Aversion gegenüber Adjektiven und ihre subtile Erinnerungskunst, die aus einer Gabe des Zuhörens erwachse und doch die eigene Person nicht ausblende. Hermeneutische Selfies seien das Ergebnis – und obendrein das vielleicht erstaunlichste Nachzüglerwerk der RAF-Literatur, der Roman „Das Verschwinden des Philip S.“, der vom Abgleiten eines jungen Mannes in den bewaffneten Untergrund erzählt und vom Scheitern einer Liebe.

Die Schriftstellerin Ulrike Draesner wiederum – auch sie Mitglied der Jury – würdigt das umfassend vielstimmige Werk des 1948 in Stuttgart geborenen Kalka, das in seiner Vielfalt eine lohnende Leseliste für den Sommer abgebe und sich auf einzigartige Weise um die Vermittlung englischer, amerikanischer und französischer Literatur verdient gemacht habe.

Frei von starrem Prunk

Und doch ist dieser Abend erfreulich frei vom starren Prunk feierlicher Laudationes, er entspricht eher dem, was die Stuttgarter Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann in ihrer Einführung in Aussicht stellt: ein konkurrenzfähiges Kontrastprogramm zur WM. Das liegt daran, dass die denkbar verschiedenen literarischen Temperamente der Preisträger die Gelegenheit erhalten, sich in einem von der Literaturkritikerin Insa Wilke klug moderierten Gespräch die Bälle zuzuschieben.

Zuvor allerdings drängt es Ulrike Edschmid, ihren Dank an die Stadt zu entrichten. Sie hat ihr Leben auf Stuttgart-Bezüge hin befragt und dabei folgendes gefunden: die Erinnerung daran, eines späten Nachmittags einmal auf dem Hauptbahnhof umgestiegen zu sein, was nicht eben viel ist – später freilich wird man erfahren, dass es eben die unwichtigsten Kleinigkeiten sind, auf die es ankommt.

Ergiebiger sind die Kreuzungspunkte in ihren Büchern. Der Bruder jenes Philip S. – hinter dem S. verbirgt sich der Name der Schweizer Unternehmerfamilie Sauber – war der Besitzer eines Formel-1-Rennstalls, wodurch der Bezug in die „Zentrale wirtschaftlicher Macht“ gegeben war. Die zweite Textspur führt in eine mittlerweile leider nicht mehr existente, einst im Kampf um eine bessere Welt tief involvierte Buchhandlung, deren einstiger Inhaber die Liebe Edschmids zu dem Philosophen Walter Benjamin teilt. In dem Roman „Die Liebhaber meiner Mutter“ erfährt man schließlich, dass ihr Vater in Stuttgart Architektur studierte und hier offenbar auch das Fliegen lernte. Er habe ihr den Satz eingeprägt, der Teufel stecke im Detail – „beim Schreiben aber“, so die sprachsensible Edschmid, „steckt er im Adjektiv.“

Keine Scheu vor Adjektiven

Die Werke sowohl der Lebenserzählerin Edschmid wie des Homme de lettres Kalka ruhen auf Hinterlassenschaften, aber doch auf sehr verschiedene Weise: hier die empathische Zuhörerin, die aus Gesprächen und Fotografien ihre Erinnerungstexturen wirkt, die sie wie einen Mantel um ihre Gestalten legt; dort der emphatische Leser, der Fundstücke aus dem Kosmos der Texte und Sprachen in Konstellationen bringt, die aus fernen Zeiten erhellend in die Gegenwart strahlen.

Wie gegensätzlich diese Einstellungen sind, offenbart sich im Gespräch der beiden Autoren nicht nur inhaltlich, sondern auch formal. Edschmid spricht in klaren, schlichten Wendungen von ihrer Skepsis gegenüber dem eigenen Tun, Menschen in Literatur zu verwandeln. Kalka lebt in kunstvollen Perioden eine Lust am Wort aus, die keine Scheu vor Adjektiven kennt und gerade aus der Fülle des Ausdrucks die Toten wieder zum Leben erweckt. „Es gehört für mich zum Schönsten, einen vergessenen Autor wieder in Erinnerung zu rufen.“ Er erwähnt die alte Form der Totengespräche, die suggeriere, dass es auch eine Demokratie der Toten gibt und die Gespräche nicht abreißen. Dies aber ist dann doch gar nicht so weit entfernt von jenem Impuls Edschmids, die Geschichte ihres toten einstigen Geliebten wieder zu erzählen.

„Eines der wesentlichsten Dinge bei meinem Schreiben ist das Wegstreichen alles Überflüssigen, das Skelettieren“, sagt die Autorin. Was sie meint, kennt auch der Übersetzer und zitiert einen Ratschlag Walter Benjamins: „Wenn dir etwas besonders gut gefällt, streich es weg.“

Eine andere Strategie aber verfolgt Kalka als Essayist. Der luziden Sparsamkeit, die er bei den Erinnerungsstücken Edschmids bewundert, setzt er in seinen Arbeiten eine barocke Überwältigungsstrategie entgegen. Was darunter zu verstehen ist, macht eine Kostprobe einer seiner „Ehrfurchtsnotizen“ anschaulich: Ein gelehrter Zitaten-Parcours über die Schicksalsergebenheit, den in den höchsten Tönen zu loben allenfalls die darin erläuterte – eingangs erwähnte – orientalische Lobesscheu verbietet.