Der Ex-US-Präsident lässt bei seinem Auftritt in Berlin etwas von seinem Glanz auf die Kanzlerin abstrahlen – aber das Gespräch zwischen zwei Profis in Sachen politischer Geduld gerät nicht zur plumpen Wahlkampfhilfe.

Berlin - Ein guter Rausch ist etwas wert – und manchmal ist es ganz leicht, an den rechten Stoff zu kommen. In Berlin jedenfalls muss man an Christi Himmelfahrt nur angemessen früh aufstehen, sich Richtung Brandenburger Tor in Bewegung setzen, um in einen Strom anderer einzutauchen, und schon ist eine Reihe erhebender Erlebnisse garantiert. Denn erstens ist Evangelischer Kirchentag. Es singt und klingt also von allen Seiten, Menschen tragen freundliche Gesichter und orangefarbene Schals. Und zweitens kommt an diesem Morgen, wenn schon nicht der Messias persönlich, dann doch jemand, dem ähnliche Kräfte zugetraut werden: Barack Obama – einst „Yes we can“-Heilsbringer und Friedensnobelpreisträger, zwischendurch US-Präsident und nun Elder Statesman mit Popstarstatus – wird erwartet.

 

Gemeinsam mit Angela Merkel liefert Obama den Top Act des Kirchentags: eineinhalb Stunden Gespräche über Demokratie auf der Hauptbühne am Brandenburger Tor – besser kann es eigentlich für die Veranstaltung nicht kommen. Schon die Ankündigung, dass Obama in wenigen Sekunden die Bühne betreten wird, löst Applaus aus. Als der Ex-Präsident dann tatsächlich erscheint, tobt die Menge.

Jubel schon fürs Wassereinschenken

Der Glanz strahlt ab auf Merkel. Schon als sie sich vor Diskussionsbeginn ein Glas Wasser einschenkt, brandet Jubel auf. Die 80 000 auf der Straße des 17. Juni bilden auch ohne Fußball-WM eine Fanmeile für die Kanzlerin und den Pensionär. Und als Obama am Anfang Merkel als „eine meiner liebsten Partnerinnen in der Politik“ und ihre „tolle Arbeit in Deutschland und der Welt“ lobt, scheinen sich die Befürchtungen der innenpolitischen Konkurrenz zu bewahrheiten.

Genau wegen solcher Aussagen hat der Auftritt schon im Vorfeld viel Aufregung erzeugt. Sagen wollte das kein Sozialdemokrat offiziell, aber im Willy-Brandt-Haus waren sie alles andere als erfreut darüber, dass Merkel vier Monate vor der Bundestagswahl eine solche Bühne geboten bekommt. Das Kirchentags-Orange ähnelt verblüffend dem der CDU, dazu Sonnenschein, beseelte Zuhörer und ein Gast, der verglichen mit seinem Nachfolger umso heller strahlt. Dass er sich erneut als Fan der Kanzlerin outen würde, war abzusehen. Im Kanzleramt dagegen erzählen sie eine andere, völlig unschuldige Geschichte. Die Chefin, ohnehin stets Gastrednerin auf der großen Glaubensparty, sei zuerst vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, angesprochen worden, ob sie etwas gegen einen weiteren Diskussionsteilnehmer namens Obama hätte. Fast zu kitschig klingt in dieser Version die vermeintlich von Merkel gestellte Bedingung, dass sie nur mit Obama am Brandenburger Tor auftreten werde, wenn die Bühne nicht eigens für diese Veranstaltung aufgebaut werde. Es ist wohl, nun ja, Glaubenssache.