Die Redakteurinnen Ingrid Schumacher und Annik Aicher basteln in der Stuttgarter Agentur Fülmbüro Familienalben in Form von Filmen zusammen. Eine neue, kompaktere Version des alten Familienalbums.

S-West - Bedächtig zieht der Vater von Annika Aicher die Taschenuhr auf. Die Uhr habe ihm sein Vater geschenkt, als er 15 Jahre alt war, sagt der 80-Jährige. Sie sei ein Familienerbstück, das seit seinem Großvater weitergereicht werde, erzählt er aus dem Off, als die Szene auf ein Familienfoto aus der Vorkriegszeit überblendet. Noch ist der zweiminütige Film ein Beispielhäppchen. „Er steht aber für das, was wir uns als neue Form des Familienalbums vorstellen“, sagt Annik Aicher von der Agentur Fülmbüro.

 

Der Spaß an Kleinigkeiten-beginnend beim Namen

Das Fülmbüro bietet ein Zusammenspiel aus Journalismus und Unterhaltung. Die falsche Schreibweise ist überdies gewollt. „Das Ü statt des I im Namen soll irritieren und geistreich sein“, sagt Aicher. „Wir haben Spaß an Kleinigkeiten“, ergänzt ihre Kollegin Ingrid Schumacher. Sie sind seit zehn Jahren freischaffende Journalistinnen und haben vor einem Jahr das Fülmbüro an der Hasenbergstraße 44 gegründet.

Das Medium „Film“ eröffnet neue Möglichkeiten

Schumacher hat Architektur studiert und arbeitete als Bauforscherin an Projekten im Jemen und in Deutschland, bevor sie die Ausbildung zur Fachjournalistin absolviert hat. Sie schrieb für den Berliner Tagesspiegel und die Süddeutsche Zeitung. Aicher arbeitete nach ihrem Studium der Kunstgeschichte in Tübingen für mehrere Jahre als freie Journalistin für die Frankfurter Rundschau. Sie steuerte überdies Texte und Hörstationen für das Naturgenusszentrum in Bad Ditzenbach bei. Beide texten und übernehmen die Redaktion für den Reiseführer Marco Polo und den Stadtführer „Stuttgart für Stuttgarter“. 2012 sattelten sie an der Berliner Journalisten- Schule einen Lehrgang für Videojournalismus drauf. „Im Film eröffnen sich neue Möglichkeiten wie Schnitt, Winkel und Dramaturgie“, erklärt Aicher.

Am Ende steht das dramaturgische Ganze

„Es war die Idee meiner Eltern, ihren Alltag auf Film zu bewahren“, erzählt sie. Viele Geschichten gehen nach dem Tod eines Familienmitgliedes verloren. Ein Film in der Länge von 10 bis 15 Minuten beansprucht etwa zweieinhalb Produktionstage. Am Anfang steht ein Vorgespräch, während dem das Material gesichtet wird und die Redakteurinnen mit der Familie thematische Schwerpunkte setzten. „Wir beraten die Familien einen halben Tag lang und sprechen ab, welche Personen und Geschichten wir aufgreifen“, sagt Schumacher. Die Familie oder deren Freunde erzählen die Geschichte zu den Bildern. „Ein typisches Problem ist es, entfernte Verwandte auf Fotos zu identifizieren“, erzählt Aicher, denn sie wollen ja keine verschollenen Personen wiederfinden. Der vierstündige Drehtermin findet in der Wohnung oder an Orten statt, die wichtig für die Familien sind. Die Postproduktionsdauer – Musikuntermalung und Trickfilmsequenzen – beansprucht nochmals rund anderthalb Tage. Der Aufwand schlägt mit 1500 Euro zu Buche. „Wir ordnen Bilder Texte und Eindrücke zu einem dramaturgischen Ganzen“ sagt Schumacher. Dazu gehören Fotos, Filmmaterial aus dem Archiv, Briefe und sonstige Dokumente.

Die Familienmitglieder bleiben die eigentlichen Regisseure

Die Journalistinnen bevormunden die Familien nicht. „Vielmehr sind diese die Regisseure. Wir setzen ihre Vorgaben um“, sagt Aicher. Der Blick von außen sei dennoch wichtig, um die Bedeutung von Situationen beurteilen zu können. Sie sehen es aber nicht als ihre Aufgabe an, Familienmythen zu entzaubern. „Wir sind weder Historiker noch Psychologen. Wir arbeiten nichts auf“, stellt Schumacher klar.

Die neue, kompaktere Variante des Familienalbums

Die Redakteurinnen glauben, dass sich ihr Konzept bewährt. „Durch die Smartphones hat sich in den vergangenen Jahren eine Flut an privaten Aufnahmen angestaut“, sagt Aicher. „Auf uns wird jede Menge Arbeit zukommen, dieses Material zu sortieren und zu verarbeiten.“ Die jüngere Generation konsumiert Geschichten heute vorzugsweise über Filme. „Die Filme sind eine kompaktere Variante des Familienalbums“, sagt Schumacher.

Weitere Informationen:

www.fuelmbuero.de