Je monolithischer und dogmatischer das fromme Gehabe, desto dekulturierter, argumentiert der französische Islamforscher Olivier Roy und spricht von einer Dekulturation des Religiösen. Vor allem der salafistisch-wahhabitische Islam, der nach 1979 in Saudi-Arabien mit aller Staatsmacht neu eingeschärft wurde, ist dezidiert kulturfeindlich und antiintellektuell. Kultur gilt als unberechenbarer und verführerischer Gegenspieler der reinen Rechtgläubigkeit. Kulturelle Vielfalt ist eine Bedrohung, sie verunklart und verwässert die angeblich eindeutige Botschaft des Koran sowie die gottgegebenen Moralregeln aus der goldenen Vergangenheit des Propheten und seiner Mitstreiter.

 

Ihre verheerende regionale Wirkung konnte diese hermetische Version des Islam vor allem deshalb entfalten, weil sie besonders leicht zu exportieren ist. Sie ist mit keiner Hochkultur verwoben, braucht kaum kulturelle Kontexte und entlastet ihre Anhänger von komplexen und vielschichtigen Aneignungsprozessen. Die fundamentalistischen Missionare der Arabischen Halbinsel locken ihre Glaubenskunden mit einer Handvoll simpler religiöser Marker, mit denen sich ihre Rechtgläubigkeit demonstrieren lässt – in den arabischen Ländern entlang der Mittelmeerküste genauso wie zunehmend auch in Europa.

Mit schnellem Sprung befindet sich der neu Erweckte in einer übersichtlich-strenggläubigen Welt von Eindeutigkeit und Orientierung, mit vermeintlich klaren Unterscheidungen zwischen Gläubigen und Ungläubigen, Gläubigen und Irrgläubigen. Die mittlerweile 30 000 ausländischen IS-Gotteskrieger in Syrien und im Irak, von denen mindestens 6000 aus Europa, Amerika oder Australien stammen, sind dabei nur ein kleiner, wenn auch besonders virulenter Ausschnitt.

Das Ideal der Vieldeutigkeit gerät unter Druck

Dagegen lässt sich der inkulturierte Islam charakterisieren als eine mit ihrer Umgebungskultur untrennbar verwobene Glaubenspraxis. In seinem Buch „Die Kultur der Ambiguität“ arbeitet der Münsteraner Islamforscher Thomas Bauer heraus, wie positiv fasziniert die islamische Theologiegeschichte in früheren Jahrhunderten von Gegensätzen, geistigen Spannungen, Pluralität und Widersprüchen war. Es dominierte nicht der Wunsch nach einer eindeutigen, unumstößlichen Wahrheit, sondern die Faszination am Vieldeutig-Schillernden, auch verstanden als Indikator für die Grenzen menschlichen Begreifens angesichts der göttlichen Fülle.

Die Wertschätzung des Vieldeutigen ist eine ausgesprochene Fähigkeit von Hochkultur, setzt breites Lernen und tiefe geistige Kenntnisse voraus. Man fühlt sich angezogen und stimuliert von dem, was anders ist, was nicht zusammenpasst. Das macht das Ideal der Ambiguität automatisch zum Instrument von Toleranz und praktizierter Pluralität. Seit einer Generation nun wächst in der religiösen Realität des Nahen Ostens der militante Druck auf die alteingesessene Lebenspraxis des Islam.

Je monolithischer und dogmatischer das fromme Gehabe, desto dekulturierter, argumentiert der französische Islamforscher Olivier Roy und spricht von einer Dekulturation des Religiösen. Vor allem der salafistisch-wahhabitische Islam, der nach 1979 in Saudi-Arabien mit aller Staatsmacht neu eingeschärft wurde, ist dezidiert kulturfeindlich und antiintellektuell. Kultur gilt als unberechenbarer und verführerischer Gegenspieler der reinen Rechtgläubigkeit. Kulturelle Vielfalt ist eine Bedrohung, sie verunklart und verwässert die angeblich eindeutige Botschaft des Koran sowie die gottgegebenen Moralregeln aus der goldenen Vergangenheit des Propheten und seiner Mitstreiter.

Ihre verheerende regionale Wirkung konnte diese hermetische Version des Islam vor allem deshalb entfalten, weil sie besonders leicht zu exportieren ist. Sie ist mit keiner Hochkultur verwoben, braucht kaum kulturelle Kontexte und entlastet ihre Anhänger von komplexen und vielschichtigen Aneignungsprozessen. Die fundamentalistischen Missionare der Arabischen Halbinsel locken ihre Glaubenskunden mit einer Handvoll simpler religiöser Marker, mit denen sich ihre Rechtgläubigkeit demonstrieren lässt – in den arabischen Ländern entlang der Mittelmeerküste genauso wie zunehmend auch in Europa.

Mit schnellem Sprung befindet sich der neu Erweckte in einer übersichtlich-strenggläubigen Welt von Eindeutigkeit und Orientierung, mit vermeintlich klaren Unterscheidungen zwischen Gläubigen und Ungläubigen, Gläubigen und Irrgläubigen. Die mittlerweile 30 000 ausländischen IS-Gotteskrieger in Syrien und im Irak, von denen mindestens 6000 aus Europa, Amerika oder Australien stammen, sind dabei nur ein kleiner, wenn auch besonders virulenter Ausschnitt.

Das Ideal der Vieldeutigkeit gerät unter Druck

Dagegen lässt sich der inkulturierte Islam charakterisieren als eine mit ihrer Umgebungskultur untrennbar verwobene Glaubenspraxis. In seinem Buch „Die Kultur der Ambiguität“ arbeitet der Münsteraner Islamforscher Thomas Bauer heraus, wie positiv fasziniert die islamische Theologiegeschichte in früheren Jahrhunderten von Gegensätzen, geistigen Spannungen, Pluralität und Widersprüchen war. Es dominierte nicht der Wunsch nach einer eindeutigen, unumstößlichen Wahrheit, sondern die Faszination am Vieldeutig-Schillernden, auch verstanden als Indikator für die Grenzen menschlichen Begreifens angesichts der göttlichen Fülle.

Die Wertschätzung des Vieldeutigen ist eine ausgesprochene Fähigkeit von Hochkultur, setzt breites Lernen und tiefe geistige Kenntnisse voraus. Man fühlt sich angezogen und stimuliert von dem, was anders ist, was nicht zusammenpasst. Das macht das Ideal der Ambiguität automatisch zum Instrument von Toleranz und praktizierter Pluralität. Seit einer Generation nun wächst in der religiösen Realität des Nahen Ostens der militante Druck auf die alteingesessene Lebenspraxis des Islam.

Als die Juden lieber zum Scheich als zum Rabbi gingen

Der Schwerpunkt der religiösen Vielfalt lag stets in den Staaten entlang des Mittelmeeres und Mesopotamiens, die eine vielschichtige, facettenreiche und tief gestaffelte Kultur- und Religionsgeschichte haben – also Nationen wie Syrien, Libanon, Ägypten, Palästina und der Irak. In diesen Traditionen wird religiöse Praxis von den Eltern an ihre Kinder vorlebend und nachahmend weitergegeben, und damit zutiefst kulturell getränkt und kulturell verwurzelt. In solchen Milieus gehörte gegenseitige Toleranz zwischen Muslimen, Christen und Juden zum Alltag, weil sich die lokalen Glaubenden durch gemeinsame kulturelle Wurzeln verbunden fühlten. So berichtete der syrische Intellektuelle Samir Altaqir, in seiner Kindheit vor sechzig Jahren seien syrische Juden bei seelischen Problemen bisweilen lieber zum lokalen Scheich als zu ihrem Rabbi gegangen, weil die Scheichs in ihren Augen weltoffener waren.

Dagegen entwickelte sich die Golfregion seit 1979 zu einer Drehscheibe religiöser Militanz mit Saudi-Arabien im Zentrum. Der Missionsdruck salafistischer Prediger mit ihrer spartanischen, antimodernen und frauenfeindlichen Einheitssaga, geschmiert mit Milliardenbeträgen aus dem in den siebziger Jahren einsetzenden Ölboom, war hoch und entfaltete Wirkung. Heerscharen von Wanderarbeitern aus Ägypten, Jordanien, Palästina, Marokko und Syrien kehrten in den achtziger und neunziger Jahren mit Geld in den Taschen und einem anderem Islam im Kopf aus Saudi-Arabien in ihre Heimatländer zurück. Die Zahl der verschleierten Frauen in den Mittelmeeranrainern stieg, das Niveau von Kunst, Kultur und Unterhaltung sank. Gleichzeitig wuchs der Trend zu Intoleranz, Ausgrenzung von Minderheiten und kultureller Monotonie.

Die aggressive Homogenisierung wird in alle Welt getragen

Das gilt inzwischen auch für moderat-islamische Staaten in Asien wie Indonesien und Malaysia, wo sich die saudisch inspirierten Eiferer und ihre Helfershelfer ebenfalls breitmachen. Von Marokko bis Jemen, von Pakistan bis Indonesien dämonisierten ihre Prediger die eingesessene, vor Ort inkulturierte Religiosität als verdorben, unislamisch oder häretisch. Opulente Stipendienprogramme in Mekka und Medina für Abertausende von Nachwuchsimamen aus aller Welt bewirken, dass diese aggressive Homogenisierung in jeden Winkel getragen wird.

Entfesselt durch den Arabischen Frühling zogen diese Salafisten dann eine Spur der Verwüstung durch Ägypten, Libyen und Tunesien, der Hunderte von Sufi-Stätten, Friedhöfen und Pilgermausoleen zum Opfer fielen, ein düsterer Prolog zu der kulturellen Apokalypse, die der Islamische Staat jetzt in Syrien und Irak anrichtet.

„Kairo schreibt, Beirut publiziert und Bagdad liest“, hieß einmal ein arabisches Bonmot. Heute gelten diese traditionellen Kulturmetropolen sämtlich als Krisen- oder Kriegsgebiete – Damaskus, Aleppo, Kairo, Beirut, Bagdad. In Ägypten gewannen die Salafisten nach dem Arabischen Frühling bei der einzigen freien Parlamentswahl 2012 auf Anhieb ein Viertel aller Mandate. Selbst der aktuelle Krieg im Jemen hat seine Wurzeln in der Salafistenmission. Schon bald nach 1979 schickte Saudi-Arabien seine radikalen Prediger ins südliche Nachbarland, wo sie religiösen Unfrieden säten und die Gründung der Houthi-Bewegung provozierten.

Der sunnitische Islam ist auf dem Tiefpunkt angekommen

Das kulturelle Gepräge der gesamten Golfregion dagegen ist dünn und dürftig. Die meisten der heutigen Glitzermetropolen auf der Arabischen Halbinsel waren vor einer Generation noch kleine Perlenfischerorte. Überspitzt könnte man sagen, die Menschen in Saudi-Arabien wissen im Grunde erst seit gut einer Generation, wie man überhaupt in einer Großstadt zusammenlebt. Emirate wie Katar, Abu Dhabi oder Dubai kaufen internationale Kultur mit Millionenaufwand in Europa oder den USA ein, um sie an den Golf zu verpflanzen. Sie dient sozusagen als Zusatzunterhaltung für zahlungskräftige Touristen, denen man noch etwas mehr bieten möchte als endlose Sonne, luxuriöses Essen und monotone Shoppingmalls.

Mit dem Wüten des Islamischen Staates ist der sunnitische Islam nun 35 Jahre nach der fatalen Entweihung von Mekka an einem absoluten Tiefpunkt angekommen, auch weil die sunnitische Gelehrsamkeit dieser militanten Ausrottung der eigenen Tradition spirituell und geistig nichts entgegenzusetzen hat. Herkömmliche Theologie und Koranausbildung sind den modernen Herausforderungen nicht mehr gewachsen. „Die größten, reichsten und prominentesten islamischen Institutionen leben immer noch in einer intellektuellen Welt, die sich in den letzten dreihundert Jahren kaum verändert hat“, diese Bilanz zog kürzlich der ägyptische Intellektuelle Tarek Osman. Die meisten Fatwas beschäftigen sich mit realitätsfremden Trivialitäten. Das Bildungsniveau der Prediger ist allzu oft miserabel. Viele sind staatlich alimentierte Religionsbeamte, die nur ihren Status genießen und ihre angeblich gottgegebene Autorität zelebrieren.

Der IS als „zionistische Verschwörung“?

Entsprechend defensiv wirkt die islamische Geistlichkeit des Nahen Ostens, hilflos und unfähig, in dieser Megakrise Orientierung zu geben und den IS-Wahn erfolgreich zu diskreditieren. Ahmad Mohammad al-Tayyeb, Oberster Gelehrter von Kairos Universität Al-Azhar, die sich gerne im Ruf der wichtigsten Lehranstalt des sunnitischen Islam sonnt, nennt den Islamischen Staat bei jeder Gelegenheit eine „zionistische Verschwörung“, die die arabische Welt auf die Knie zwingen soll. Eine breite innermuslimische Debatte zu den geistigen Wurzeln der Radikalen findet nicht statt. Und Millionen von Muslimen in Nahost tun mit Verweis auf die innere Pluralität ihrer Religion so, als wenn sie das alles gar nichts anginge.

Sunnitische Muslime sollten ihre übliche Reaktion „Das ist nicht der wahre Islam“ als sinnlos aufgeben, forderte der türkische Intellektuelle Gökhan Bacık in einem Essay mit dem Titel „Was ist los mit dem sunnitischen Islam?“ In seinen Augen ist die Megakrise nur zu bewältigen mit einer neuen sunnitischen Theologie, die künftig jede Gewalt kategorisch ablehnt. „Es reicht nicht aus, radikale Gruppen als pathologische Fälle abzutun“, argumentiert er. „Wir müssen versuchen zu verstehen, warum unsere Lehrtradition diese Leute so nährt, wie sie es tut.“