Während des Ersten Weltkriegs sind sie aufgefallen, die Menschen mit ihren ungewohnten Kleidern und Kopfbedeckungen. Es waren Türken auf Besuch beim Bündnispartner. Bei den Kickers haben sie zum Beispiel gesportelt.

Degerloch - Der Erste Weltkrieg wirbelte einzelne Menschen, ganze Gruppen, ja Völker durcheinander. Soldaten marschierten in fremde Länder ein, Gefangene wurden ins Land der Gegner verschleppt, befreundete Truppen kamen in Gebiete von Verbündeten. Von einem weitgehend vergessenen Kapitel dieser kriegsbedingten Migration handelt dieser Beitrag.

 

„Manchmal“, so schrieb das Schwäbische Bilderblatt 1916, „begegnen wir in der Stadt, da und dort, oder in der Umgebung Stuttgarts jungen Leuten, denen wir es auf den ersten Blick ansehen, daß es Türken sind. An ihren Kleidern sehen wir’s und an ihren Kopfbedeckungen. Wie diese Söhne eines Landes zu uns kommen, das uns treu zur Seite steht in diesem Weltkrieg, wir wissen es. Sie lernen bei uns fliegen, und wir nennen sie gern unsere türkischen Fliegergäste.“ Besonders amüsiert sich der Schreiber darüber, wie begeistert sich die Osmanen über die orientalische Architektur der Wilhelma – damals ja noch kein Zoo, sondern eine Schlossanlage mit Park – gezeigt hätten. „Die türkischen Gäste machten große Augen und waren zufrieden.“

Der Krieg ist im türkischen Bewusstsein wenig verankert

Und auch nach Degerloch kamen die Fremdlinge. „Das [...] Bild zeigt unsere sportbegeisterten Verbündeten auf dem Spielplatz“ – der damalige Begriff für Sportplatz – „der Stuttgarter Kickers.“ Und der nicht genannte Journalist fährt fort: „So sammeln die Türken bei uns eine Erinnerung nach der andern, und es ist nicht unmöglich, daß neben sonstigen Beziehungen, die ohne Zweifel mit unseren Freunden angeknüpft werden, auch andere Andenken geprägt werden, die in ihren Herzen, so hoffen wir, so leicht nicht verstauben.“

Zur Erinnerung: Die verbündeten „Mittelmächte“ des Ersten Weltkrieges waren neben Deutschland und Österreich-Ungarn eben auch Bulgarien und das Osmanische Reich. Trotz hoher Menschenverluste gerade dieser südöstlichen „Waffenbrüder“ ist der Große Krieg 1914/18 im türkischen Bewusstsein bis heute wenig verankert. Der Berliner Geschichtsprofessor Oliver Janz, der sich auch besonders mit den Vorgängen auf dem Balkan und in Kleinasien beschäftigt hat, erklärt das so: Für die Türkei „wurde nicht der Erste Weltkrieg, sondern der unmittelbar aus ihm entspringende Unabhängigkeitskrieg, der vor allem gegen Griechenland geführt wurde und in die Gründung der Republik mündete, zum zentralen Bezugspunkt der kollektiven Erinnerung“.

Die hier abgedruckte Fotografie erschien erstmals am 20. Oktober 1916. Leider erfahren wir den Fotografen nicht.