Ishmael Beah war einst Kindersoldat in Sierra Leones Bürgerkrieg. Im Literaturhaus hat er seinen Roman „Das Leuchten von Morgen“ vorgestellt, der vom Neuanfang der Überlebenden erzählt. Opfer und Täter begegnen einander dabei.

Stuttgart - Wie schützen wir die Kinder, diese drängende Sorge ist eine Konstante von Menschen in Kriegsgebieten durch alle Zeiten und Länder. Wie schützen wir uns vor den Kindern, diese Frage ist bittere Realität in vielen Konflikten Afrikas. Nirgends werden so konsequent Kindersoldaten eingesetzt, und nicht nur als rücksichtslos verheiztes Auffüllmaterial ausgedünnter Armee- und Rebelleneinheiten. Kindersoldaten werden von den Warlords aller Seiten als besonders grausame Terrortruppen geschätzt.

 

Selbst traumatisiert von dem, was man ihren Eltern, Familien, Nachbarn angetan hat, von ihren Vorgesetzten mit Drogen aufgeputscht, verfahren sie besonders mitleidlos auch mit Zivilisten. Einer, der im Bürgerkrieg in Sierra Leone Kindersoldat war, der nicht leugnet, Morde begangen zu haben, der aber keine genaue Zahl nennen mag, weil er beim Abschlachten stets zu drogenumnebelt war, sitzt lachend im Stuttgarter Literaturhaus. Ishmael Beah, Jahrgang 1980, einst einer der kindlichen Teufel in der Hölle des Bürgerkriegs, ist nun einer der meistbeachteten jungen Autoren aus Afrika.

Details der Grausamkeiten

Der Autor Ilija Trojanow moderiert den Abend, an dem Beah sein zweites Buch vorstellt, den großartigen Roman „Das Leuchten von Morgen“ (Wunderhorn Verlag, 250 Seiten, 24,80 Euro). Aber er befragt Beah nie als Täter, will nie herausbohren, was dieser freundliche, enthusiastische, das Erzählen als Kraftquelle preisende Mann früher getan haben mag. Trojanow befragt Beah als Opfer, will wissen, wie er mit dem umgehe, was ihm angetan wurde. Das ist keine persönliche Feigheit, auch kein schlecht beratener Versuch, das halbe Hundert Zuhörer nicht all zu sehr zu befremden. Es ist der gängige Umgang mit Beah, hat dieser Mann doch längst bekannt, was andere in sich verschließen würden.

Beahs spektakuläres, in der deutschen Ausgabe etwas plastikglatt „Rückkehr ins Leben: Ich war Kindersoldat“ benanntes Debüt (der Originaltitel „A long Way gone: Memoirs of a Boy Soldier“ klingt sehr viel düsterer) mag keine Opfersumme bilanzieren. Aber es spart nicht an detaillierten Schilderungen von Grausamkeiten, bei denen sich auch der zunächst dreizehnjährige Ishmael drei Jahre lang hervortut.

Ihre Sturmgewehre müssen viele von Beahs jungen Kameraden am Lauf hinter sich herschleifen, weil sie noch zu klein sind, die Mordgeräte zu tragen. Mit der Machete kommen sie besser zurecht. Zivilisten die Hände oder gleich die Arme abzuhacken, damit die keine Waffe mehr gegen die eigenen Truppe in die Hand nehmen können, war eine der prägenden Scheußlichkeiten des von 1991 bis 2002 andauernden Bürgerkriegs in Sierra Leone.

Zurück in der Todeszone

„Das Leuchten von Morgen“ macht einen großen Sprung vorwärts. Der Roman erzählt nicht noch einmal nur vom Krieg, sondern vor allem von der Zeit danach. In einer zerstörte Siedlung in einer der einstigen Todeszonen treffen die sich wieder her wagenden überlebenden Bewohner sowie Entwurzelte auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe ein. Zuerst kommen die ganz Alten, die Tag um Tag die Knochen und Knochensplitter nie beerdigter Massakeropfer zusammensuchen; dann Jüngere; schließlich auch Kindersoldaten. So stoßen Täter und Opfer wieder aufeinander.

Dies ist ein zugänglich erzählter, aber stofflich komplexer Roman, der uns vermittelt, dass es hier keinen Wiederaufbau geben wird. Die Fragen sind, ob es gelingen wird, etwas Neues zu schaffen, welche Splitter des traditionellen Lebens sich retten und wie viele Traumata des Krieges sich nicht werden beilegen lassen.

Endlich heraus einer giftigen Debatte

Für Ishmael Beah ist das auch deshalb ein besonders wichtiges Buch, weil es ihn dank der offenen Zugehörigkeit zur Gattung des Romans endgültig herausführen soll aus einer der giftigsten Debatten um die Glaubwürdigkeit eines Autors in der jüngeren Zeit. Drei Journalisten der Zeitung „The Australian“ haben 2007 Zweifel an einigen Darstellungen Beahs in „Rückkehr ins Leben“ aufgeworfen. Nicht Jahre, allenfalls Monate soll Beah Soldat gewesen sein, die ganze Zeitlinie der Memoiren stimme nicht, für besonders dramatische Geschehnisse ließen sich in Sierra Leone keinerlei Zeugen finden.

Kritiker der Konzerne

Anders als in ähnlichen Fällen, bei denen Täuschungen aufflogen und Verlage Bücher zurückzogen, gingen Beah und sein US-Verlag in die Offensive. Autor und Lektoren stehen zu jedem Wort des Buches, das Fehlen von Zeugen deuten sie unter anderem als Beleg für das Verschlucktwerden von Menschen im Krieg. Und weil „The Australian“ ein Blatt von Rupert Murdoch ist, dem australische Schürfinteressen am Herzen liegen, wittern sie Rufmord und Komplott. Beah ist ein scharfer Kritiker der nach Ressourcen grabenden Konzerne. Ihr Wirken nennt er auch in Stuttgart „verheerender als das Wüten des Krieges“. Die Glaubwürdigkeits- beziehungsweise Faktenfrage aber stellt Ilija Trojanownie. Vielleicht, weil er Beahs früheres Buch wie das neue sowieso als Werk der Literatur gelesen hat, also als Herstellung von Wahrheit mit den Mitteln der Erfindung.

Auf die orale Tradition Afrikas, auf die Funktion von Geschichten als Schlüssel zum Verständnis des Lebens kommt Beah immer wieder zu sprechen. Mit fünfzehn Sprachen um sich her ist er aufgewachsen, in sieben davon konnte er sich gut verständigen, als er in die Schule kam. Mende ist seine Muttersprache, in der sprächen die Figuren seiner Fantasie, forme sich die Landschaft der Fiktion. „Das Leuchten von Morgen“ ist der Versuch, Blick und Tonfall eines Mende-Erzählers in Übersetzung ihre Eigenarten zu lassen. Geschichten seien auch Heimat, sagt der Mann, der auf jeden Fall erfahren hat, wie leicht andere Arten von Heimat zerstörbar sind.