Im Fall Böhmermann müssen Politik und Kunst sauber getrennt werden. Doch die StZ-Redakteurin Hilke Lorenz fragt sich: Ist das Vorgehen Böhmermanns überhaupt Satire-fest und durch die Kunst gedeckt?

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Die Debatte, wie weit der Arm der Türkei in Sachen Meinungsfreiheit reichen darf, wird im Moment auf zwei Ebenen geführt. So ist politisch die Frage zu beantworten, wie die Bundeskanzlerin aus der Zwickmühle wieder herauskommt, in die sie sich selbst ohne Not in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Türkei gebracht hat. Zudem obliegt es der Bundesregierung nun zu entscheiden, ob der Fall des ZDF-Moderators Jan Böhmermann auch zu einem Gerichtsfall wird. Erst wenn Merkel grünes Licht gibt, läuft die Maschinerie der Strafverfolgung an. Gerade das macht die Angelegenheit so besonders und so irritierend: dass hier das Strafgesetzbuch der Politik Entscheidungsgewalt über die Exekutive zubilligt.

 

Und die andere Frage lautet schlicht, aber über den Fall hinausweisend: Wie Satire-fest und durch die Kunst gedeckt ist das Vorgehen Böhmermanns?

Alles, was einen türkischen Mann beleidigt

Viel zu schnell hat Angela Merkel durch ihren Sprecher Seibert erklären lassen, sie habe in einem Telefonat mit dem türkischen Premierminister Davutoglu den Beitrag Böhmermanns als „bewusst ehrverletzend“ bezeichnet. Der hatte, darüber diskutieren inzwischen ganz Deutschland und die Türkei, den türkischen Präsidenten Erdogan in einem clever selbst als Schmähkritik eingestuften und in einen Satire-tauglichen Kontext eingebetteten Gedicht mit Begriffen belegt, die alles beinhalten, „was einen türkischen Mann beleidigt“, wie es Anne Will am Sonntagabend treffend umschrieb. Das offizielle Strafverlangen aus der Türkei folgte prompt.

Dass die Kanzlerin diesen Beitrag, den auch das ZDF genauso vorauseilend gehorsam sofort aus seiner Mediathek gelöscht hat, in ihrer Funktion als Regierungschefin über ihren Sprecher – und nicht als private Fernsehkonsumentin – kommentiert hat, macht das Ganze aber auch auf der deutschen Seite zu einer Staatsangelegenheit. Merkel hat zudem, wenn sie sich schon auf dieses Machtspiel einlässt, die Chance vertan, gleich bei dieser Gelegenheit auf die besondere Bedeutung von Meinungsfreiheit und der Freiheit von Kunst und Satire hinzuweisen. Dieses Vorgehen der bis vor Kurzem noch so Türkei-kritischen Kanzlerin überrascht nicht, wird der Satirestreit doch ausgetragen, während Europa mittels der Türkei versucht, die vielen Flüchtlinge auf Abstand zu halten. Merkel weiß also genau, was sie tut. Beruhigend ist einzig, dass im Ernstfall ein Gericht entscheidet, ob wirklich eine Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten vorliegt, wie es im Gesetzestext heißt.

Ist Böhmermann noch Herr des Verfahrens?

Wie aber kommt Jan Böhmermann aus dieser Nummer wieder heraus, in die er sich ja ebenso wie die Kanzlerin vorsätzlich hineingebracht hat? Ist der Meister der Provokation noch Herr des Verfahrens? Böhmermanns Abtauchen aus der Öffentlichkeit zeigt, dass auch er weiß, worauf es ankommt. Er darf seinen Fernsehauftritt nun nicht kommentieren. Denn Kunst erklärt sich aus sich selbst. Jedes weitere Wort würde die Inszenierung und den Kunstanspruch zerstören. Schließlich hat Böhmermann bewusst eine Rahmenhandlung gewählt, die suggeriert, er wolle erklären, was man nicht sagen darf und was die Grenze zur Schmähung überschreitet. Das kann man für pubertäres Gehabe halten. Doch jedes Wort zu viel würde nun Belege liefern, dass die vermeintliche Satire ein Straftatbestand ist.

Solidaritätsadressen sind Böhmermann ohnehin sicher. Aber vermischen wir die politische und künstlerische Ebene nicht deshalb so bereitwillig, weil sich Böhmermann konsequenterweise Erdogan vorgenommen hat, der in seinem Land die Meinungsfreiheit mit Füßen tritt und verlässlich auf jede Form von Satire wie ein HB-Männchen reagiert? Wie groß wäre der Aufschrei wohl, wenn etwa der französische Premier im Mittelpunkt der Böhmermann’schen Abhandlungen stünde?