Seit der aktuellen Saison können Fußballfans die Liga-Spieldaten ihrer Lieblings-Spieler im Internet verfolgen - sehr zum Ärger der Fußballvereine.  

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Wenn es stimmt, was die fünf Männer oben auf der Tribüne der Mercedes-Benz-Arena mit Hilfe ihrer Kameras und Computer errechnet haben, dann ist dem Stuttgarter Mittelfeldspieler Christian Gentner vor fast vier Wochen ein formidabler Sprint gelungen. Mit 33,7 Kilometern in der Stunde war der gebürtige Nürtinger beim Sieg gegen Hannover 96 unterwegs. Das ist zwar längst nicht so schnell wie der Jamaikaner Usain Bolt - der Weltrekordhalter über die 100 Meter beschleunigt seinen Körper auf mehr als 43 Stundenkilometer. Der Spitzenwert für einen VfB-Spieler ist es aber dennoch bis heute.

 

Dass die Wissenschaft, anders als zu Großvaters Zeiten, im Profifußball Einzug gehalten hat, ist nichts Neues. Auch an Statistikwerte wie den prozentualen Ballbesitz beider Teams, die Anzahl der Torschüsse jeder Mannschaft oder die Ballkontakte pro Spieler haben sich die Fans und die Verantwortlichen längst gewöhnt. Neu ist seit dieser Saison aber die Offenlegung der sogenannten physischen Daten. Dazu gehören neben der exakten Erfassung der Laufwege eines Spielers auch dessen jeweiliges Lauftempo, seine Sprintfähigkeit und die Ruhephasen.

Um wie viel Prozent ist der Profi X also schneller als sein Gegenspieler Y? Hat sich die letzte Verletzung negativ auf die Laufleistung des Profis Z ausgewirkt? Dies sind Fragen, die nun jeder Bundesligatrainer anhand des Zahlenmaterials analysieren kann. "Fußball ist keine Mathematik", hat der Bayern-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge einst 2007 nach einer 1:3-Niederlage beim VfB gesagt - und damit seinen damaligen Trainer Ottmar Hitzfeld, einen ehemaligen Mathematiklehrer, attackiert. Muss Rummenigge sein Urteil spätestens jetzt korrigieren?

Daten sind erstmalig den Medien zugänglich

"Für mich ist das eine schöne Spielerei", sagt der VfB-Manager Fredi Bobic zu der Arbeit der Münchner Firma Impire, die von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) erstmalig den Zuschlag erhalten hat, seit dieser Saison die physischen Daten zu erheben. "Wichtig ist, dass man die Daten in Relation zu den taktischen Aufgaben eines Spielers setzt, sie nicht aus dem Zusammenhang reißt - und damit womöglich falsch interpretiert", sagt Bobic, der nicht der einzige Kritiker an der Arbeit von Impire ist.

Immerhin erhalten sämtliche Proficlubs der ersten und zweiten Liga die Daten nun kostenlos zur Verfügung gestellt. Denn völlig neu sind die Analysen nicht. Bereits in den vergangenen fünf Jahren wurden Laufwege, Laufleistung, und Sprintfähigkeiten ermittelt. Damals wie heute etwa von den Firmen Master Coach und Opta. Letztere arbeitet für den Fernsehsender Sky - tut dies aber nicht umsonst. 90.000 Euro für die Hard- und Software sowie 3000 Euro pro Spielanalyse waren bis zu dieser Saison auch für die Bundesligaclubs fällig.

Logisch, dass die neue, kostenlose Datenflut die kleineren Vereine im Sinne der Chancengleichheit bei der Spielvorbereitung nun erfreut. Den Arrivierten der Branche ist Impire derweil ein Dorn im Auge. Auch, weil die Daten inzwischen erstmalig gegen Bezahlung den Medien sowie den Fans im Internet zugänglich gemacht werden. Auch so will sich Impire refinanzieren.

Datenpannen mussten bereits eingeräumt werden

Durch die mediale Offenlegung ließ der erste Aufreger folglich nicht lange auf sich warten: Erstes Opfer wurde der Kölner Nationalspieler Lukas Podolski, der von einer Boulevardzeitung am ersten Bundesliga-Spieltag als "der lauffaulste Spieler der Liga" ausgemacht wurde. Podolski hatte während der 0:3-Niederlage gegen den VfL Wolfsburg lediglich 8,7 Kilometer zurückgelegt (normal sind für einen Stürmer rund 10,5 Kilometer). Aber waren die Daten auch korrekt ermittelt?

Unberücksichtigt blieb zudem der Einwand, dass sich ein Spiel, das oft unterbrochen wird, auch auf die Laufleistung eines Spielers auswirkt. "Einige Medien nehmen die Daten gerne als Anlass, um wieder eine neue Sau durchs Dorf zu treiben", kritisiert Bobic und verweist darauf, dass beim VfB eine andere Regelung als bei der DFL gilt: Leistungsdaten der Profis, aber auch Laktat- oder sonstige Fitnesswerte werden in Stuttgart grundsätzlich nicht weitergegeben.

Dazu passt, dass Impire bereits einige Datenpannen einräumen musste. Weil der DFL-Deal schnell refinanziert werden muss, hatte die Firma wenig Zeit, ihre Beobachterteams zu rekrutieren und zu schulen. Diese nehmen ihre Spielanalyse mit Hilfe von fünf Bildschirmen und zwei HD-Kameras unter den Tribünendächern der Bundesligastadien vor. 25-mal pro Sekunde bestimmt der Computer die Position jedes Spielers. Schwierig wird es, wenn sich - etwa bei einem Eckball - die Positionen mehrerer Profis auf dem Bildschirm überlagern. Dann müssen die Impire-Mitarbeiter dem Programm helfen, die einzelnen Akteure auseinanderzuhalten und sie wieder korrekt zuzuordnen. "Dabei", das weiß nicht nur Bobic, "kann es natürlich zu Fehlern kommen."

Spieldatenflut aus Ismaning

Unternehmen Impire, mit dem Hauptsitz in Ismaning, ist einer der größten Mediendienstleister Deutschlands. Das Angebot umfasst unter anderem sportwissenschaftliche Statistiken und TV-Sendegrafiken. Impire beschäftigt 60 Vollzeitmitarbeiter und 200 Teilzeitkräfte. DFL-Vertrag Seit dieser Saison erhebt Impire für schätzungsweise fünf Millionen Euro zwei Jahre lang die Spieldaten der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Darüber hinaus besitzt das Unternehmen die weltweiten Vermarktungsrechte dieser Daten für Medien und Sportwetten.

Kritik Zu Beginn der Saison regte sich Unmut über die Impire-Daten, auch weil sie nicht immer korrekt waren. Diese Fehler seien nun behoben, sagt Harald Keilbach, der Vorstand der Impire AG. "Die DFL hat bestätigt, dass die folgenden Spieltage sehr gut waren."