Ein Biobauernhof im südbadischen Seefelden praktiziert die Idee der „solidarischen Landwirtschaft“. Die Hofgemeinschaft erzeugt hier Lebensmittel, deren Produktion ein Kreis von Unterstützern vorfinanziert.

Seefelden - Paul ist faul. Der darf das mit seinen sieben Monaten. Rund und prall liegt das jüngste Mitglied der kleinen Gemeinschaft, die den Luzernenhof in Seefelden (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) 26 Kilometer südlich von Freiburg bewirtschaftet, in seinem offenen Kinderwagen auf dem Rücken und schläft tief und fest. Mutter Magdalena ist es recht, sie muss das Mittagessen für die Belegschaft kochen, die jetzt noch draußen auf dem Feld hackt und scharrt. Vater Johannes wirft den Kühen ein paar Gabeln Gras in die Krippe, frisch geschnittenen Luzernenklee.

 

Ein Bauernhof, der ganz anders aber doch eigentlich ein wenig wie früher sein soll. Auf dem die wichtigsten Grundnahrungsmittel erzeugt werden: Milch, Butter, Käse, Getreide, Gemüse, Fleisch. So etwas gibt es kaum noch, denn die Landwirtschaft ist in der Regel längst auf ein oder ein paar Produkte spezialisiert, auch die Biolandwirtschaft. „Ich will beweisen, dass eine gesunde, ökologische und soziale Form der Landwirtschaft möglich ist“, umreißt Johannes Supenkämper sein Ziel, und zwar „ökonomisch und ökologisch“. Aber „wie früher“ geht es eben nicht oder nicht mehr. „Der Hof muss ein Umfeld haben, das ihn trägt“, betont der junge Neubauer.

Das Dorf im Markgräflerland mit seinen rund 1200 Einwohnern gehört zum ehemaligen Kalibergbauort Buggingen, es wird zerschnitten von der Bundesstraße 3, durch die Felder rauscht die viel befahrene Rheintalbahn. Das Markgräflerland ist fruchtbar und schön, es wird zuweilen die Toskana Deutschlands genannt. Dass Pauls Eltern Johannes Supenkämper (30), seine Frau Magdalena (24) und Tochter Salome ins Markgräflerland gekommen sind, dass sie mit anderen zusammen zielstrebig das Werk einer „solidarischen Landwirtschaft“ betreiben, ist für sie selbst schlüssig, aber auch eine Folge etlicher Zufälle.

Die anthroposophisch geprägte Hofgemeinschaft war wichtig

Zumindest bei Johannes ist das vom Elternhaus geprägt. Vater Hans Supenkämper hat viele Jahre die Landwirtschaft der Lebensgemeinschaft Höhenberg in Bayern geleitet, eine anthroposophisch geprägte sozialtherapeutische Einrichtung für erwachsene Menschen mit Behinderung. Johannes ist das einzige von sechs Kindern, das die landwirtschaftliche Linie fortsetzt. „Vielleicht auch, weil ich nicht in einem Familienbetrieb aufgewachsen bin, sondern in einer Hofgemeinschaft.“

Und es ist ein Zufall, dass in eben jener Hofgemeinschaft seine jetzige Frau ihr freiwilliges ökologisches Jahr absolvierte. Danach machte das junge Paar die Fachausbildung für biologisch-dynamische Landwirtschaft in der Schweiz zusammen. Und als in einem Fachmagazin der Hof der Bäuerin Marga Widmaier in Seefelden zur Übernahme ausgeschrieben war, wusste Johannes Supenkämper wenigstens in etwa, wo das sein könnte, denn seine Schwester lebte da bereits in Freiburg. Marga Widmaier hatte den ererbten Hof in der vierten Generation übernommen und 30 Jahre mit ihrem Mann geführt. Und sie hatte den Hof bereits 1986 auf biologischen Landbau umgestellt und sich mit der Idee der solidarischen Landwirtschaft beschäftigt.

Der Grundgedanke: gute und gesunde Lebensmittel

Die Idee ist nicht in Seefelden erfunden worden, es gibt ein „Netzwerk Solidarische Landwirtschaft“, das vor drei Jahren in Kassel gegründet wurde. Mittlerweile gibt es nach Angaben des Netzwerks 37 Höfe, die in etwa nach dem gleichen Prinzip arbeiten wie der Luzernenhof. „Eigentlich ist es ganz einfach“, sagt Magdalena Supenkämper mit einem Lächeln und wiegt Klein Paul auf dem Arm. „Wir wollen gute, gesunde und frische Lebensmittel erzeugen, nicht allein für uns selber, sondern für eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig hilft.“

Konkret soll das so aussehen: die Verbraucher zahlen einen Obolus, dessen Höhe sie selbst festsetzen, dafür bekommen sie Naturalien. Die können sie an „Verteilpunkten“ abholen, derzeit gibt es zehn davon, einen auch im Ökostadtteil Vauban in Freiburg. Aus den Beiträgen der Unterstützer finanziert sich der Hof. Besser gesagt, er soll sich damit finanzieren, denn derzeit sind es erst knapp hundert Verbraucher, die eine Vereinbarung mit den Landwirten unterschrieben haben. 200 Unterstützer mit 100 Euro Beitrag im Monat würden reichen, um den Hof ökonomisch stabil zu halten und den Bewirtschaftern einen auskömmlichen Lohn zu zahlen.

Transparenz ist das oberste Gebot

Die Kalkulation liegt für jedermann offen. Sie zeigt für die ersten elf Monate des Jahres 2011 an: Einnahmen 133 129,05 Euro, Ausgaben 131 612,64 Euro. Mit einem Plus von 1516,41 Euro sind keine großen Sprünge zu machen. Auf Dauer muss es sich aber rechnen, denn es gibt Arbeitskräfte, die man entlohnen muss: eine Imkerin, eine Käserin und einen Gärtner, einige Helfer und einen Auszubildenden. Noch ist die Eigentumsfrage nicht geregelt, vermutlich wird ein Fonds das Anwesen erwerben, die Hofgruppe wird dann Pächter sein.

Ist der Luzernenhof also eines der vielen gut gemeinten Projekte, die auf vagen Hoffnungen gebaut sind? Im Moment vielleicht, sagt Johannes Supenkämper und lächelt verständnisvoll. Aber er hat nicht nur den Optimismus, sondern auch das nötige Fachwissen, um an den Erfolg zu glauben. „Wir haben 33 Hektar Fläche, damit kann man ungefähr 150 Menschen ernähren“, sagt Supenkämper. Der größte Teil, 25 Hektar, ist Ackerland, darauf wird Roggen, Braugerste, Hirse, Dinkel, Hafer und Gemüse angebaut. Im Stall stehen zehn Milchkühe, ein paar Kälber und Jungvieh. Die Biomilch wird auch ab Hof verkauft und vor Ort zu Käse verarbeitet. Ein paar Schweine und Hühner dienen vor allem dem Eigenbedarf. „Wir haben momentan noch nicht so viel Kapazitäten, um den Kreis beliefern zu können, den wir als Unterstützer brauchen“, räumt Johannes Supenkämper ein. Deshalb muss auch Geld mit der Belieferung von Bioläden und dem Getreideverkauf verdient werden.

Das Ziel: alle sollen Verantwortung teilen

Es ist ein mühsames Geschäft, und es braucht neben Geduld und Passion auch viel Überzeugungsarbeit. „Wir verlangen den Leuten ein Umdenken ab“, sagt Magdalena nachdenklich. Die Hofgruppe hat sich um den Küchentisch versammelt und isst Fleischküchle und Kartoffelsalat. „Der Grundgedanke ist, dass eine Gruppe von Verbrauchern die Abnahme der Erzeugnisse garantiert und Arbeit und Ernte vorfinanziert. Alle teilen sich die damit verbundene Verantwortung, das Risiko, die Kosten und die Ernte.“ Dazu gehöre auch, dass die Entfremdung von Verbrauchern und Erzeugern aufgehoben wird.

Dass Verbraucher sich mit dem Produzenten solidarisieren sollen, finden viele in Ordnung. Biologische und regionale Produkte werden immer beliebter. Aber immer nur Produkte von ein und demselben Hof abnehmen? Man möchte doch auch mal Abwechslung haben. „Ja, verstehe ich“, sagt Johannes Supenkämper lächelnd, „das ist unsere schärfste Konkurrenz.“ Der tief sitzende Glaube, dass eine Überflussgesellschaft nötig ist, um sich zu ernähren. „Wer gegen die Macht der Gewohnheit antritt, muss einen langen Atem haben.“ Den hat auch Paul – er ist jetzt wach geworden und fordert lautstark seine Mahlzeit.

Die Geschichte der solidarischen Landwirtschaft

Die Solidarische Landwirtschaft entstand unabhängig voneinander in Japan, Europa und Amerika. Mitte der 1970er Jahre gründeten sich in Japan „Teikei“, Partnerschaftshöfe. 1978 entstanden „Les Jardins de Cocagne“ in der Nähe von Genf – unter anderem angeregt durch kollektive Höfe in Chile und durch die Bauern- und Arbeiterbewegung in der Bretagne. 1985 griffen US-amerikanische Biolandwirte Projektideen aus der Schweiz auf. Aus Amerika stammt auch der Begriff Community Supported Agriculture (CSA). In Frankreich wurde 2004 ein internationale Netzwerk der CSA-Bewegungen gegründet. Allein in den USA gibt es heute mehr als 2500 CSAs, in Deutschland sind es nach Angaben des Netzwerks 37. Alle Projekte eint der Grundgedanke, dass sich um einen landwirtschaftlichen Betrieb ein Kreis von verantwortlichen Unterstützern bildet, der die Produktion vorfinanziert. Viele Initiatoren sind durch die Lehren des assoziativen Wirtschaftens von Rudolf Steiner inspiriert.