Luitpold und Michael Domberger haben die Region zu einem internationalen Zentrum des künstlerischen Siebdrucks entwickelt. Nun wird ihre Arbeit in der Galerie Stihl gewürdigt.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart/Filderstadt - Die Räume in dem mächtigen Bau mitten in Filderstadt-Plattenhardt sind hoch, Bilder hängen an der Wand. Es ist eine Galerie, in der Michael Domberger seinen Gast empfängt. Sein Haar ist weiß geworden über die Jahre, doch das Alter jenseits der 70 sieht man dem drahtigen Mann nicht an. Er strotzt vor Energie, wie immer schon, auch sein Vater Luitpold war von diesem Schlag. Und wahrscheinlich ist nur so die Erfolgsgeschichte des kleinen, feinen Unternehmens Domberger zu erklären, durch das sich die Region Stuttgart in den vergangenen 50 Jahren zu einem internationalen Zentrum des künstlerischen Siebdrucks entwickelt hat. Werke renommierter zeitgenössischer Maler von Max Ackermann über Richard Estes bis hin zu Sigmar Polke verbinden sich damit, die zu einer Sammlung von rund 2200 Meisterwerken dieser Druckkunst zählen. Von Samstag an ist eine Auswahl davon in einer großen Schau in der Galerie Stihl in Waiblingen zu sehen.

 

Wer den Anfängen der Firma Domberger nachspürt, muss freilich in der Villa Oppenheimer auf der Gänsheide 26 beginnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das durch Bombeneinschläge ramponierte Gebäude von einem bunten Völkchen in Beschlag genommen worden. Im Erdgeschoss hat sich ein Schuhmacher eingenistet, im Keller eine Ballettschule – und eines Tages kam ein junger Mann hinzu, Luitpold Domberger. Und für diesen sollte der Einzug eine folgenreiche Entscheidung sein.

Domberger war 1912 geboren worden und hatte an der Kunst- und Gewerbeschule Pforzheim studiert, ehe er Mitte der dreißiger Jahre nach Stuttgart übersiedelte. Er versuchte, als Gebrauchsgrafiker beruflich Fuß zu fassen, was aber nicht recht gelingen wollte. „Die gab es wie Sand am Meer“, erinnerte er sich später. „Ich war einer von ihnen, und viele waren sicher besser als ich.“ Dann kam ohnehin der Krieg dazwischen. Nach russischer Gefangenschaft fing er wieder bei null an. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang unbedingt seine Frau Karin, die ihm zeitlebens eine wichtige Stütze war. Ihr habe er, bekannte Domberger einmal, manch klares Urteil und weiterführende Idee zu verdanken. Und wenn es sein musste, war sie es auch, die ihn antrieb.

Er selbst war ein kreativer Geist, neugierig, experimentierfreudig. Und so ließ ihn 1948 eine US-Ausstellung, die er im damaligen Amerikahaus gesehen hatte, nicht mehr los: Bilder waren dort gezeigt worden, die wie gemalt aussahen, aber gedruckt waren. „Silk Screen Printing“, hieß dieses Verfahren, das Domberger faszinierte. Zwei Bücher ließ er sich kommen und startete noch im selben Jahr Versuche mit der für ihn neuen Technik. „Dazu hat er meiner Mutter einen Seidenstrumpf stibitzt, ihn aufgeschnitten, auf einen Holzrahmen gespannt und angefangen, mit Fettkreide das Motiv in mehreren Farben – jede Farbe brauchte ein Sieb – zu malen“, erzählt Michael Domberger. Die beiden Lehrbücher und die erste Serigrafie seines Vaters hält er bis heute in Ehren, obwohl er selbst zwiespältige Erinnerungen an die ersten Farbversuche seines Vaters in einer kleinen Dachgeschosswohnung in Stuttgart-Riedenberg hat: „In meinem Kinderzimmer hat es gestunken wie die Pest.“

Begegnung mit Willi Baumeister

Luitpold Domberger (rechts) mit Willi Baumeister Foto: privat

Allerdings sollte sich der typische Geruch der Druckfarbenlösungsmittel noch als segensreich erweisen. Denn ebendieser olfaktorische Faktor führte Luitpold Domberger nur wenig später mit einem Mann zusammen, der sich damals schon einen Namen als Avantgardekünstler gemacht hatte, in Venedig und im brasilianischen São Paulo ausstellte und als Akademie-Professor einen glänzenden Ruf genoss: Willi Baumeister.

Domberger hatte sich, weil es in den eigenen vier Wänden zu eng geworden war, mit seiner Werkstatt in der Gänsheide 26 einquartiert – ebendort, wo Baumeister sein Atelier hatte. Eines Tages stand dieser plötzlich an der Werkstatttüre. „Was riecht denn hier so gut?“ – das waren die Worte, die eine tiefe Männerfreundschaft begründen und dem bis dato in Europa allein als Vervielfältigungsverfahren genutzten Siebdruck als künstlerischer Ausdrucksform den Weg bereiten sollten.

Im Baumeister-Archiv in den Katakomben des Stuttgarter Kunstmuseums finden sich eine Reihe von Dokumenten, die die enge Beziehung von Künstler und Drucker belegen: Eintragungen Baumeisters in seinen Tagebüchern, Postkarten, die er bei Reisen etwa in die Schweiz an „Poldi“ schrieb, wie Domberger genannt wurde. Auch dieser wirkte wie beseelt: Die Zusammenarbeit war „eine Art Symbiose, ein glücklicher Umstand“, notierte er.

Impuls für die deutsche Nachkriegskunst

1950 druckte Domberger die erste Serigrafie Baumeisters, der damit auf diesem Gebiet entscheidende Impulse für die deutsche Nachkriegskunst und die internationale Moderne geben sollte. Auf einem legendären Foto stehen die beiden, Domberger und Baumeister, gemeinsam an der Druckmaschine, dahinter an der Wand Serigrafien, mit Reißzwecken befestigt. Baumeister war immer dabei, wenn gedruckt wurde, er mischte selbst die Farben mit an, justierte nach, ließ aber bei der Gestaltung manchmal auch den Zufall schalten und walten. Bis zu seinem Tod 1955 sollten immerhin 64 Siebdrucke entstehen, die   ersten Künstler-Original-Serigrafien in Deutschland, die denn auch nicht zufällig den Mittelpunkt der Waiblinger Schau bilden. Nur eines blieb aus: der durchschlagende Erfolg. Michael Domberger, der das Erbe seines Vaters fortführte und die Serigrafie selbst maßgeblich mit geprägt hat, erinnert sich jedenfalls an eine Reaktion aus dem Kohlhammer Verlag, dem Drucke angedient worden waren. Die lapidare, handschriftliche Antwort damals: „Zurück, da kein Interesse.“

Es sollte also noch dauern, bis der künstlerische Siebdruck in Deutschland wirklich reüssierte. Dabei ist er unter den Druckverfahren eines der ältesten. Denn schon im alten Ägypten wurden Papierschablonen ausgeschnitten und auf Siebe gelegt. Die nicht von der Schablone bedeckten Teile wurden mit Kleister bestrichen, damit die aufgetragene Farbe beim Drucken durch die nicht verdichteten Siebstellen dringend konnte. Und doch sollte es bis ins 20. Jahrhundert hinein dauern, ehe die Serigrafie in den USA, dort früher, und in Europa, hier später, wiederentdeckt und entwickelt wurde. Heute handelt es sich um eine komplexe und anspruchsvolle Drucktechnik von höchster Subtilität – Luitpold Domberger, 2005 gestorben, und Michael Domberger haben sie, jeder auf seine Art und Weise, maßgeblich mit beeinflusst.

Michael Domberger ist früh in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Er war einer der Ersten im Lande, der die Gesellenprüfung als Siebdrucker ablegte. Schon 1967 übernahm er die technischen Werkstätten, 1970 den gesamten Betrieb. Er selbst sieht sich eher als Verleger denn als Künstler – und es ist ohne Zweifel sein Verdienst, dass das Unternehmen zunehmend international Aufmerksamkeit weckte. Der Siebdruck traf den Zeitgeist. Immer mehr Künstler spielten in den sechziger und siebziger Jahren mit dem Verfahren, das ungeahnte Möglichkeiten bot, Farben mal lasierend, mal deckend, stumpf oder glänzend einzusetzen, scharfe Kanten herauszuarbeiten und ebenmäßige Flächen zu markieren ebenso wie fein strukturierte. Vor allem Vertreter von Op- und Pop-Art sowie Konkreter Kunst entdeckten darin eine Spielwiese. Die Preise stiegen. Für eine Mappe der berühmten Serie „Numbers“ werden laut Domberger noch heute bis zu 50 000 Euro aufgerufen.

Und das Unternehmen selbst?

Längst nach Bonlanden umgezogen, machte die von Luitpold Domberger eigens gegründete Edition Domberger 1967 mit einer Mappe aus jungen zeitgenössischen Künstlern Furore: „Formen der Farbe“. Josef Albers, Indiana, Victor Vasarely fanden sich darin. Sammler rissen sich darum, nach wenigen Tagen war die Ausgabe vergriffen. Oder 1989, mittlerweile in Plattenhardt angekommen: das Portfolio „Kinderstern“, darunter Arbeiten von Keith Haring und Sigmar Polke, spielte rund zwei Millionen Mark an Spendengeldern ein. So baute Domberger seinen weltweit guten Ruf aus, wie auch mit der 1992 unter der Schirmherrschaft des spanischen Königs Juan Carlos entstandenen Edition „Columbus“ gegen die Zerstörung des Regenwaldes. Roy Lichtenstein, Christo und andere waren mit dabei.

Denkwürdige Ereigenisse

Die Lust, den Künstlern die berühmte „dritte Hand“ zu sein, wie es hieß – die bildete für Domberger senior wie junior stets ein schier unerschöpfliches Kraftfeld. Die Werkstatt war über all die Jahre hinweg ein Treffpunkt von Kreativen aus aller Welt. Die Episoden und Geschichten, die sich um die Druckarbeiten ranken, sind ebenso vielfältig wie teilweise legendär. Michael Domberger erinnert sich beispielsweise gerne an Besuche des Amerikaners Richard Estes, der beim Entstehen der Serigrafien stets selbst vor Ort sein und nicht aus der Ferne steuernd tätig sein wollte, wie andere, die lediglich Vorlagen für den Druck nach Filderstadt schickten. Ein ganz besonders Werk Estes’ hat er in seinem Domizil verwahrt und packt es immer wieder gerne aus. Sieben Monate lang dauerte die Arbeit an der Serigrafie „D-Train“ im Format 195 x 107. Nicht weniger als 212 Farben, die einzeln verarbeitet werden mussten, wurden dabei nach und nach gedruckt – eine „Pionierleistung des Handwerks“, wie Silke Schuck befindet, die Leiterin der städtischen Galerie Stihl.

Auch ein anderes „denkwürdiges Ereignis“ verbindet Domberger mit dem nahezu fotorealistisch arbeitenden Estes. Das Blatt „Cafeteria, Vatican“ war so gut wie fertig gedruckt, als der Künstler eines Morgens ins Studio kam und klarmachte, dass die darauf abgebildete Kuppel verschoben werde müsse. Die Arbeit mehrerer Tage war perdu. Immerhin, der Dank des Künstlers war Domberger gewiss. „With thanks for a pleasant stay und good job“, notierte er freundlich ins Gästebuch.

Anderen Künstlern ist Michael Domberger hinterhergeflogen, um Farbnuancen abzustimmen, wie bei Robert Indiana. Dabei behagte der Hang zur Perfektion, zur akribischen Arbeit, zur klaren Kontur, für die das Haus Domberger steht, nicht jedem. Andy Warhol erteilte dem Schwaben, der eigens nach New York gejettet war, eine Abfuhr: „Your printing is much too superb for my work.“

Zusammengekommen ist über fast ein halbes Jahrhundert dennoch eine für den Siebdruck einmalige, spektakuläre Sammlung. Seit 2009 befindet sie sich in Händen des Landes und wird in Filderstadt verwahrt. In der Waiblinger Schau, das ist deren Stärke, werden neben den Originalen, darunter echte Inkunabeln der Serigrafie, auch Vorlagen, Andrucke und Korrekturen gezeigt, so dass der Entstehungsprozess der Werke nachgezeichnet wird – ein echter Mehrwert für die Besucher.

Dort, wo alles angefangen hat, in der Villa Oppenheimer auf der Stuttgarter Gänsheide, ist jede Spurensuche übrigens vergeblich. Das Gebäude wurde 1972 abgerissen, als auf dem Gelände der Verleger Georg von Holtzbrinck seine Konzernzentrale errichtete.