Der Afrikanist und Ökonom Robert Kappel erwartet eine stark wachsende Zuwanderung aus Afrika nach Europa. Es fehle gerade im Sahel an Perspektiven.

Stuttgart – - Die EU will mit afrikanischen Ländern auf einem Gipfel in Malta über Konzepte beraten, die Migration aus Afrika zu bremsen. Professor Robert Kappel vom Giga-Institut sagt, Europas müsse Afrika viel mehr unterstützen, damit die Menschen dort bleiben.
Herr Kappel, wie hoch ist der Migrationsdruck in Afrika?
Wir hatten in den letzten Monaten 150 000 Afrikaner, die nach Europa gekommen sind, die meisten von Libyen aus über das Mittelmeer. Die Bilder von Lampedusa sind noch in Erinnerung. Unser Augenmerk hat sich auf die Syrer verlagert, die über die Türkei auf dem Landwege zu uns kommen. Doch der Migrationsdruck aus Afrika ist da. Er wird zunehmen, kurz-, mittel- und langfristig. Wenn wir nicht geeignete Maßnahmen ergreifen, werden noch viel mehr Afrikaner kommen.
Viele afrikanische Staaten haben ein relativ hohes Wirtschaftswachstum. Was treibt die Menschen gen Norden?
Es gibt mehrere Gründe, ich will wenige nennen. In vielen Ländern des Sahel – etwas Mali, Nordnigeria oder der Zentralafrikanischen Republik – ist die Lage sehr angespannt durch terroristische Aktivitäten und politische Unruhen. Der Trend, diese Länder zu verlassen, ist ungebrochen. Aus Nigeria sind rund 1,5 Millionen Menschen vor der Terrorsekte Boko Haram in Nachbarländer geflohen. Aus Mali, wo ein Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Westen herrscht, sind 500 000 in Anrainerstaaten geflohen. Viele von denen wollen weiter nach Europa. Die Sahel-Region ist nach Syrien, Afghanistan, dem Mittleren und Nahen Osten eine Krisenregion, die uns am stärksten beunruhigen muss. Staatliche Strukturen sind dort fragil, oder es gibt sie gar nicht mehr. Terrororganisationen haben da leichtes Spiel.
Alte Kriegsschauplätze – Kongo, Mosambik, Angola – haben sich dafür beruhigt.
Die hatten zu einer Fluchtwelle innerhalb Afrikas geführt. Es leben auf dem Kontinent 16 Millionen afrikanische Flüchtlinge in Lagern in sicheren Nachbarländern der Krisenregionen wie Südafrika, Kenia oder Uganda. Aber von dort gibt es keine Fluchtwelle wie aus dem Sahel. Zwei Fluchtgründe möchte ich noch erwähnen: Auch wegen des Klimawandels, der Zunahme von Dürren im Sahel, werden Menschen versuchen, von dort wegzukommen. Das hohe Bevölkerungswachstum verschärft das Problem: Es beträgt im Sahel 2,5 bis 2,8 Prozent. Das heißt, wir haben eine Verdoppelung der Bevölkerung binnen 25 Jahren. Und das in einer Region mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 bis 70 Prozent. Wo sollen junge Leute ohne Perspektive denn hin?